Als einer der fleißigsten und wandlungsfähigsten Charakterdarsteller des englischsprachigen Kinos gehört Sir Michael Caine nicht nur zu den meistprämierten, sondern auch zu den meistparodierten Schauspielern seiner Generation. Der 1,88 Meter große gebürtige Londoner wurde zur Hochzeit der Swinging Sixties zum Kultschauspieler, der sich durch seine unverwechselbare Sprechweise, sein elegantes Auftreten und sein intelligent-selbstironisches Spiel von seinen Kollegen abhob. Es folgten fünf arbeitsintensive Jahrzehnte, in denen Caine sowohl durch mimische Glanzleistungen als auch durch eine nicht immer überzeugende, zuweilen schludrige Rollenwahl auffiel, die viele spöttische Kommentare, nicht zuletzt von Caine selbst, provozierte. Neben Jack Nicholson ist der Brite der einzige Schauspieler, der zwischen den 1960er und 2000er Jahren in jeder Dekade jeweils mindestens einmal für den Oscar nominiert wurde.
Die Caine war sein Schicksal
Maurice Joseph Micklewhite, Jr. wurde am 14.03.1933 als Sohn eines irisch-katholischen Fischmarktarbeiters und einer Putzfrau geboren und wuchs in South East London auf. Während einer Kindheit in armen Verhältnissen reifte das feste Vorhaben, es später einmal besser zu haben – bereits mit 15 verließ er die Schule und nahm eine Reihe von Gelegenheitsjobs an, bis er in die britische Armee eintrat. Nach dem Militärdienst, der ihn unter anderem nach Korea brachte, ging Maurice zum Theater und wollte dafür den Künstlernamen Michael Scott annehmen. Doch weil der Name bereits vergeben war, entschied sich der Nachwuchsdarsteller spontan für Michael Caine, inspiriert von einem Poster zum Film „Die Caine war ihr Schicksal“, in dem sein Idol Humphrey Bogart die Hauptrolle spielte. Für Caine folgten darauf gefühlt unzählige Auftritte in Bühnenstücken, Fernsehfilmen und bald auch größere Rollen in Kinofilmen. Der Durchbruch gelang ihm mit Hauptrollen in drei Kassenhits: als aristokratischer Leutnant im Kriegsfilm „Zulu“ von 1964, als unorthodoxer Spion im Thriller „Ipcress - Streng geheim“ von 1965 und als selbstverliebter Frauenheld in der Komödie „Der Verführer läßt schön grüßen“ von 1966.
Zwischen Swinging London und Classical Hollywood
Für seine charmante Vorstellung des unverbesserlichen Herzensbrechers Alfie, der Skrupel über seinen rücksichtslosen Lebensstil entwickelt, gab es für Michael Caine die erste von bisher sechs Oscar-Nominierungen, während „Ipcress – Streng geheim“ in Serie ging – auch in den vier Fortsetzungen glänzte er als Geheimagent Harry Palmer. Mit seinem auffälligen Cockney-Akzent aus der britischen Arbeiterklasse und seiner Vorliebe für Hornbrillen avancierte Michael Caine in England bald zu einer ungewöhnlichen Pop-Ikone der 1960er, was mit dem Erfolg des kultigen Caper-Movies „Charlie staubt Millionen ab“ von 1969 weiter zementiert wurde. In dieser Zeit kamen auch die ersten Angebote aus Hollywood: So wollte ihn Shirley MacLaine als Leinwandgespielen für die Räuberkomödie „Das Mädchen aus der Cherry-Bar“ haben. Caine pendelte fortan zwischen englischen und amerikanischen Projekten. Unter den zahlreichen Filmen aus dieser Phase seiner Karriere finden sich Klassiker wie John Hustons Abenteuerfilm „Der Mann, der König sein wollte“ mit Sean Connery und Joseph L. Mankiewicz’ Kammerspiel „Mord mit kleinen Fehlern“.
Ausnahmemime und Auftragsschauspieler
Für den wortgewaltigen, knifflig konstruierten Schauspielerfilm „Mord mit kleinen Fehlern“ erhielt Michael Caine 1973 eine weitere Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller, während er immer mehr Rollen in Filmen mit großen Star-Ensembles akzeptierte. So spielte er ab Ende der 60er in einigen spektakulären Kriegsfilmen über den Zweiten Weltkrieg mit, als Kampfpilot in Guy Hamiltons „Die Luftschlacht um England“ neben Trevor Howard, Curd Jürgens und Christopher Plummer, als Kommandeur in John Sturges’ „Der Adler ist gelandet“ neben Donald Sutherland, Donald Pleasance und Robert Duvall, und als Leutnant in Richard Attenboroughs „Die Brücke von Arnheim“ neben Sean Connery, Gene Hackman und Anthony Hopkins. Für noch mehr Aufsehen sorgte Caine mit seiner Hauptrolle als kaltblütiger, rachsüchtiger Gangster in Mike Hodges’ düsterem Kultfilm „Get Carter“. Zum Ende der 70er und vor allem in den 80ern wurde die praktische Arbeitsphilosophie des Ausnahme-Mimen zum Ärgernis für Kritiker, weil er bei seiner Rollenauswahl immer seltener auf das Drehbuch, sondern vielmehr auf sein Honorar achtete.
Die Talfahrt eines Oscar-Preisträgers
Berühmt ist die Geschichte, Michael Caine hätte seinen ersten Oscar für seine Nebenrolle als verliebter Universitätsprofessor in Woody Allens Tragikomödie „Hannah und ihre Schwestern“ bei der Verleihung 1987 nicht persönlich abholen können, weil er zeitgleich für „Der weiße Hai IV - Die Abrechnung“ vor der Kamera stand. Die bei Kritik und Publikum durchgefallene Fortsetzung, für die Caine im nächsten Jahr eine Nominierung für die Goldene Himbeere als schlechtester Nebendarsteller bekam, ist bloß der bekannteste von vielen unterirdischen Caine-Projekten aus den 80ern. Auch wenn er sich immer wieder mal mit schauspielerischen Kraftakten – etwa als sarkastischer, versoffener Literaturdozent in Lewis Gilberts Komödie „Rita will es endlich wissen“ – weitere Oscar-Nominierungen erspielte, reihten sich in seiner Filmographie viele Flops aneinander. Nach erinnerungswürdigen Auftritten in Filmklassikern wie Brian De Palmas packender Hitchcock-Hommage „Dressed to Kill“ und Neil Jordans atmosphärischem Neo-Noir „Mona Lisa“ erreichte Caine seinen Tiefpunkt als Bösewicht im Steven-Seagal-Debakel „Auf brennendem Eis“.
Wiederaufstieg zum fleißigsten Nebendarsteller Hollywoods
Erst Ende der 90er konnte sich der von Rückschlägen unbeirrt weiter arbeitende Michael Caine wieder als echte Schauspielgröße etablieren. Seine Rolle als schmieriger Musikmanager im britischen Independent-Hit „Die Stimme ihres Lebens“ bescherte ihm einen Golden Globe und ein Comeback, auf das er im nächsten Jahr mit seiner oscarprämierten Vorstellung in der erstklassigen John-Irving-Adaption „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ aufbauen konnte. Mit seinem zweiten Oscar für den besten Nebendarsteller in der Tasche trieb Caine seine Karriere in den Nullerjahren nun gewissenhafter voran. Mit Komödien wie „Miss Undercover“ neben Sandra Bullock und „Austin Powers in Goldständer“ neben Mike Myers feierte er große Erfolge an der Kinokasse, während er sich den über lange Jahre verspielten Respekt mit historischen Dramen zurück eroberte. In „Quills - Macht der Besessenheit“ mit Geoffrey Rush, Joaquin Phoenix und Kate Winslet und in „Der stille Amerikaner“, für den es eine weitere Oscar-Nominierung gab, lief Caine endlich wieder zu alter Hochform auf.
Remakes, Flops und Erfolge als Nolans Stammschauspieler
Während in den Nullerjahren viele Caine-Klassiker neu aufgelegt wurden – „Get Carter - Die Wahrheit tut weh“ mit Sylvester Stallone, „The Italian Job - Jagd auf Millionen“ mit Mark Wahlberg, „Alfie“ und „1 Mord für 2“ mit Jude Law –, war Michael Caine, der in einigen dieser Remakes sogar mitwirkte, an der Seite vieler Hollywood-Stars zu sehen: Neben Nicole Kidman in der Komödie „Verliebt in eine Hexe“, als Nicolas Cages Vater in der Tragikomödie „The Weather Man“, als Clive Owens Vertrauter im dystopischen Sci-Fi-Drama „Children of Men“ und als Demi Moores Komplize im Räuberfilm „Makellos“. Mehr Aufmerksamkeit erregte Caine aber als neuer Christopher-Nolan-Stammschauspieler. Einschließlich „The Dark Knight Rises“ hat Caine in fünf Nolan-Produktionen mitgewirkt: Als Butler Alfred in „Batman Begins“ und „The Dark Knight“ und als weise Mentorfigur in „Prestige - Die Meister der Magie“ und „Inception“. Eine weitere Hauptrolle spielte Caine im kontrovers diskutierten Rachedrama „Harry Brown“. Außerdem kehrte er mit einer Sprechrolle im Pixar-Film „Cars 2“ selbstironisch zu seinen Agenten-Wurzeln zurück.
Michael Caine ist seit 1973 mit seiner zweiten Ehefrau, der ehemaligen „Miss Guyana“ Shakira Baksh verheiratet, die er als Schauspielerin auf dem Set seines erklärten Lieblingsfilms „Der Mann, der König sein wollte“ kennenlernte. Gemeinsam haben sie eine Tochter. Eine weitere Tochter hat er aus seiner ersten Ehe zur Fernsehschauspielerin Patricia Haines („Mit Schirm, Charme und Melone“).