„Hexen bis aufs Blut gequält“, „Die Insel der blutigen Plantage“, „Shadow of the Vampire“, „Halloween“- ein Querschnitt durch Udo Kiers Filmografie lässt bereits erahnen, welches Genre die Spezialität des gebürtigen Kölners ist. In seinem über 50-jährigen Wirken als Schauspieler war Kier in mehr als 200 Filmen und Serien auf beiden Seiten des Atlantiks zu sehen. Auch wenn er sich in Horrorfilmen am wohlsten fühlt, reicht seine Wandlungsfähigkeit quer durch alle Genres.
Von Frauenkleidern zu Horrorfilmen
Udo Kierspe wurde am 14. Oktober 1944 in Köln geboren, mitten im Chaos des Zweiten Weltkriegs. Seinen Hang zur Verkleidung, der sich auch später als leitendes Motiv durch seine Rollenwahl ziehen sollte, lebte er schon als Kind aus, wenn er sich als Frau schminkte und verkleidete. Sein markantes Aussehen mit den stechend-grünen Augen verhalf dem Jugendlichen schnell zu Modeljobs in der Modebranche. Mit 18 Jahren zog er nach London, um Englisch zu lernen und eine Schauspielschule zu besuchen. Dort machte Kier Bekanntschaft mit dem italienischen Regisseur Luchino Visconti und dem österreichischen Schauspieler Helmut Berger, mit dem er später in „Das fünfte Gebot“ spielte. Während seines Schauspielunterrichts stand er 1966 in Michael Sarnes Kurzfilm „Road to St.Tropez“ das erste Mal vor der Kamera. Kier wusste bald, welche filmische Richtung er einschlagen wollte, denn sein erster großer Film „Hexen bis aufs Blut gequält“ wurde aufgrund seiner brutalen Folterszenen in 31 Ländern verboten. Der von ihm dargestellte Charakter Graf Christian von Meruh sollte bei weitem nicht die letzte seiner Figuren sein, die auf grausame Weise zu Tode kommt.
Udo Kier, der Vampir
Zur Kultfigur wurde Udo Kier in den 1970ern durch Paul Morrisseys „Andy Warhols Frankenstein“ und „Andy Warhols Dracula“, an denen Pop-Art-Künstler Andy Warhol selbst nicht beteiligt war. Er spielte in je einem der beiden Horrorfilme eine große Figur der Literaturgeschichte – einmal Baron Frankenstein und einmal Graf Dracula – wobei er nach eigenen Angaben den „Dracula-Film“ bevorzugt. Durch seinen starken und zugleich kühlen Ausdruck sollte Kier in Folge zu einem der gefragtesten Vampir-Mimen avancieren. Unter anderem war er auch in „Shadow of the Vampires“, „Feardotcom“ und „Blade“ als Blutsauger zu sehen. 1986 arbeitete er für „Egomania - Insel ohne Hoffnung“ an der Seite von Tilda Swinton erstmals mit dem 2010 verstorbenen deutschen Regisseur Christoph Schlingensief zusammen. Bis 2000 drehten sie gemeinsam zehn surrealistische Filme, darunter „Das Deutsche Kettensägenmassaker“ und „Tod eines Weltstars“, in dem Udo Kier sich selbst spielte.
Der gefragte Charakterdarsteller
In den 90ern kam der große Durchbruch in Hollywood als Hans in „My Private Idaho“ unter der Regie von Gus Van Sant, in dem sich Udo Kier sogar als Sänger am Soundtrack des Filmes versuchte. Seitdem war er in Hollywoodblockbustern wie „Armageddon - Das jüngste Gericht“, „Ace Ventura - Ein tierischer Detektiv“ oder „Ein Concierge zum Verlieben“ in Nebenrollen zu sehen. Dabei drehte er mit zahlreichen großen Filmstars: Nicole Kidman, Michael J. Fox, Keanu Reeves, Bruce Willis, Jim Carrey, Dolph Lundgren, John Malkovich und Arnold Schwarzenegger. Gelegentlich stand er auch in deutschsprachigen Theatern auf der Bühne. Bis heute spielt er in europäischen und amerikanischen TV-Produktionen mit.
Udo Kier und Lars von Trier
Udo Kiers enorme Leinwandpräsenz bescherte ihm über Jahrzehnte Engagements in Filmen – auch wenn er aufgrund seines markanten deutschen Akzents oft von Sprechern im englischen Original synchronisiert werden musste. Auch sein enger Freund und Kollaborateur Lars von Trier raubte ihm mehrere Male die eigene Stimme. Kier spielte nicht nur in vielen Filmen des dänischen Regisseurs (darunter „Dogville“, „Melancholia“, „Dancer in the Dark“, „Breaking the Waves“ und „Manderlay“) und dessen Mini-Serie „Geister“, sondern ist auch Pate von Lars von Triers Tochter. Neben Lars von Trier und Christoph Schlingensief konnte auch der 1982 verstorbene Regisseur Rainer Werner Fassbinder Udo Kier stets zu seiner fixen Besetzung zählen. Kier und Fassbinder lernten sich in den 1960ern, lange bevor beide internationale Bekanntheit erfuhren, kennen und drehten mehrere Filme, darunter „Berlin Alexanderplatz“ und „Lili Marleen“.
Ein Teufel oder ein Engel?
Zuletzt war Udo Kier auch wieder in deutschen Filmen wie der Komödie „1 1/2 Ritter - Auf der Suche nach der hinreißenden Herzelinde“, Fatih Akıns „Soul Kitchen“ oder „Das Leben ist zu lang“ zu sehen. Mit dem Kontrast zwischen seinen zarten Gesichtszügen und seiner eiskalten Mine spielt der bisexuelle Schauspieler vor allem bei seiner Darstellung von Bösewichten, die er sich selbst folgendermaßen erklärt: „Nur ein Engel kann einen Teufel spielen, denn ein Teufel ist ein gefallener Engel.“ Böse ist auch seine Rolle eines Nazi-Offiziers, den er in „Iron Sky - Wir kommen in Frieden“, welcher auf der Berlinale 2012 lief, verkörpert.