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    "Man muss eine neue Sprache lernen": Der "Mufasa"-Regisseur über die Herausforderungen des Disney-Blockbusters
    Markus Trutt
    Markus Trutt
    -Redakteur
    Filme, Serien, Videospiele. Markus brennt schon seit Kindertagen für so ziemlich alles, was über Bildschirme und Leinwände flimmert.

    Für „Mufasa: Der König der Löwen“ hat „Moonlight“-Macher Barry Jenkins in die Fußstapfen von Jon Favreau getreten. Was ihn vom Film überzeugt hat und mit welchen Herausforderungen er konfrontiert war, verrät der Oscargewinner im FILMSTARTS-Interview.

    Es ist per se natürlich schon eine Mammutaufgabe, einen der größten Disney-Klassiker überhaupt fortzuführen, vor allem wenn man mit einer eigens kreierten Mischung aus Sequel und Prequel zudem an den Riesenerfolg des Remakes von ebenjenem Klassiker anknüpfen will. Wenn man sich dann auch noch ohne Erfahrungen im Animationsbereich an einem komplett dem Rechner entsprungenen Projekt versucht, ist die Herausforderung natürlich umso größer.

    Doch genau dieser hat sich „Moonlight“- und „Beale Street“-Regisseur Barry Jenkins beim jüngst in den Kinos angelaufenen „Mufasa: Der König der Löwen“ letztlich tapfer gestellt – obwohl er zunächst noch ziemlich zögerlich war. Als wir Jenkins zum Interview in Berlin treffen, erklärt er uns, was ihn schließlich umgestimmt hat und wie er seine bisherigen Erfahrungen selbst in ein komplett animiertes Abenteuer einbringen konnte. Zumindest nachdem er diese für ihn so neue Filmsprache erst einmal erlernt hatte...

    „Mufasa“-Regisseur Barry Jenkins steht FILMSTARTS-Redakteur Markus Trutt Rede und Antwort. tb-vent
    „Mufasa“-Regisseur Barry Jenkins steht FILMSTARTS-Redakteur Markus Trutt Rede und Antwort.

    FILMSTARTS: Du hast einmal in einem Interview gesagt, Kunst ist von Natur aus politisch. Was würdest du sagen, ist der politische Aspekt von „Mufasa“? Oder entfaltet sich das erst voll und ganz beim Publikum?

    Barry Jenkins: „Der König der Löwen“ beschäftigt sich mit einigen politischen Dynamiken, wenn sich dort mit Ideen wie Königtum, Monarchie und auch dem sozialen Ökosystem, dem Kreislauf des Lebens auseinandergesetzt wird. Aber für mich geht es immer um die Figuren. Ich habe „Moonlight“ als einen Film beschrieben, bei dem es nicht um Politik geht. Ich denke, das ist vielleicht der Unterschied – es gibt Politik und es gibt etwas, das politisch ist. Es wäre wirklich schwierig, einen Film zu machen, der in keiner Weise politisch ist. Selbst das wäre wiederum eine politische Handlung.

    Ich finde es toll, dass Autor Jeff Nathanson in dieser Geschichte die Idee von Monarchie, Königtum und den Pfad zwischen diesen beiden unterschiedlichen Dingen dekonstruiert oder neu programmiert. Darin liegt ein wirklich schöner Subtext, besonders für zwei Charaktere, die in der öffentlichen Wahrnehmung und im Bewusstsein des Publikums seit 30 Jahren so fest verankert sind.

    Überraschende Origin-Story von Mufasa und Scar

    FILMSTARTS: Ich war tatsächlich auch überrascht zu erfahren, dass es in dieser Geschichte Mufasa ist, der Waise wird und in Takas bzw. Scars Familie aufgenommen wird, und nicht umgekehrt.

    Barry Jenkins: Das habe ich auch nicht erwartet, als ich das Drehbuch gelesen habe. Auch ich ging davon aus, dass Scar sicherlich die harte Kindheit hatte. Schließlich wird er zu einer so schwierigen Persönlichkeit. Man nimmt an, dass schwierige Umstände diese schwierige Figur hervorgebracht haben, und dass Mufasa das perfekte Umfeld hatte. Aber das ist überhaupt nicht der Fall. Das ist eine wirklich wunderbare Erfahrung für Kinder und das Publikum.

    FILMSTARTS: War das der Grund, warum du das Projekt letztlich doch übernommen hast, nachdem du zuvor mehrfach abgelehnt hattest?

    Barry Jenkins: Ja, ich habe die Tiefe und die Frische des Materials zunächst angezweifelt. Es ist interessant, dass ich diese Reise gemacht habe, weil vermutlich jeder, der von diesem Projekt hört, ähnliche Vorbehalte haben wird. Aber als ich begann, das Drehbuch zu lesen – und dies ist nicht das erste große Projekt, das mir angeboten wurde – sah ich so viele Dinge, die mich interessierten und nichts mit dem Ausmaß, Stil oder Genre des Films zu tun hatten. Alles drehte sich um Charaktere und diese zwischenmenschlichen und interkommunalen Dynamiken, die schon in all meinen vorherigen Arbeiten präsent sind. Und was könnte es für eine bessere Möglichkeit geben, eine neue Filmsprache zu erlernen, die aufgrund der Technologie erforderlich ist, als mit Figuren und Themen, die sich irgendwie vertraut anfühlen?

    Mufasa: Der König der Löwen
    Mufasa: Der König der Löwen
    Starttermin 19. Dezember 2024 | 1 Std. 58 Min.
    Von Barry Jenkins
    Mit Aaron Pierre, Wincent Weiss, Kelvin Harrison Jr., Seth Rogen
    User-Wertung
    3,7
    Filmstarts
    3,5
    Vorführungen (701)

    FILMSTARTS: War es dennoch beängstigend, den Sprung von deinen eher kleineren vorherigen Filmen zu diesem großen Projekt zu wagen?

    Barry Jenkins: Es war beängstigend, aber nicht wegen der Größe des Projekts. Dies ist der Film, für den ich bisher am meisten Zeit hatte. Es hat vier Jahre gedauert, ihn zu machen, sogar länger als die Arbeit an der Serie „The Underground Railroad“, obwohl diese fünfmal so umfangreich ist. Es war eher die Tatsache, dass es für mich eine völlig neue Art des Filmemachens war.

    Man muss eine neue Sprache lernen. Und wenn man eine Sprache lernt, lernt man nicht plötzlich neu, wie man denkt oder Emotionen ausdrückt, sondern man erlernt lediglich eine andere Art, sie zu kommunizieren. Es gibt immer diesen Punkt beim Lernen einer Sprache, an dem man aufhört, Vokabeln und Grammatik bewusst zu lernen, und beginnt, sie intuitiv anzuwenden. Wir mussten dasselbe tun – die Grammatik des Filmemachens lernen, die Technologie und Prinzipien dieser Art des Filmemachens, um uns dann auszudrücken, wie wir es schon bei „Moonlight“, „Beale Street“ und „The Underground Railroad“.

    Obwohl „Mufasa“ komplett animiert ist, sollte sich die Kamera dennoch wie bei einem Realfilm eingesetzt werden. Disney
    Obwohl „Mufasa“ komplett animiert ist, sollte sich die Kamera dennoch wie bei einem Realfilm eingesetzt werden.

    FILMSTARTS: Hat es sich dann irgendwann doch gar nicht so sehr davon unterschieden, einen Live-Action-Film zu machen?

    Barry Jenkins: Wir kamen nach etwa einem Drittel der Produktion tatsächlich an einen Punkt, an dem es sich nicht mehr anders angefühlt hat. Da hatten wir die Werkzeuge so gut gelernt und die Animatoren hatten unsere Sprache so gut gelernt, dass wir den Stil dieser Art des Filmemachens frei formen konnten. Mit Stil meine ich nicht den Ausdrucksstil, sondern buchstäblich die Werkzeuge, die man verwendet, um ein Bild zu erschaffen. Wir begannen, diese Werkzeuge anzupassen und zu verfeinern, um sie besser an unsere Herangehensweise an die Bildgestaltung anzupassen. Das war wirklich cool. Es passierte etwa nach anderthalb Jahren, und von da an verschwanden die Technologie und die Ausmaße. Es ging nur noch darum, Geschichten zu erzählen.

    Es soll sich trotzdem echt anfühlen

    FILMSTARTS: Im „König der Löwen“-Remake von 2019 gab es bekanntlich eine Einstellung, die nicht animiert, sondern real gefilmt war. Ist das bei „Mufasa“ auch wieder der Fall oder wurde hier alles komplett animiert?

    Barry Jenkins: Im vorherigen Film war es die Eröffnungsszene. Sie haben tatsächlich diesen Sonnenaufgang gefilmt. Vielleicht sollte das das Auge des Publikums darauf einstimmen, was Realität ist, bevor man in die animierten Bilder übergeht. Wir haben das nicht gemacht. Dieser gesamte Film wurde von den Animatoren und uns erstellt. Für uns ging es nur darum, einfach Bilder erschaffen haben, sobald wir verstanden hatten, wie man diese Bilder macht. Selbst bei meinen Live-Action-Filmen versuche ich nicht, schon vorherzusehen, wie das endgültige Bild aussieht. Wir wählen eine Kamera, eine Linse, einen Drehort und einen Drehtag aus und sammeln alle Informationen.

    Selbst mit digitalen Werkzeugen liebe ich es, im Schnitt oder in der Farbkorrektur herauszufinden, was all diese Elemente für ein Bild ergeben haben. Man könnte denken, dass man immer die Kontrolle über das Bild hat, weil alles am Computer generiert ist. Aber ich liebe es, ein Bild einzufangen. Oft gaben wir den Animatoren die Anmerkung, dass es nicht so aussieht, als hätte ein Kameramann diese Einstellung gemacht. Es fühlt sich nicht so an, als hätte ein Kameramann diese oder jene Anpassung vorgenommen. Ein Kameramann hätte diese Anpassung zwar gemacht, aber es hätte einen Prozess gegeben – diesen flüssigen oder auch nicht flüssigen, vielleicht etwas unbeholfenen Schwenk der Kamera, die eine Perspektive verlässt, weil man einer Figur folgt oder sie nach oben schaut.

    FILMSTARTS: Also reagiert man nach wie vor auf das, was vor der Kamera passiert, obwohl es animiert ist?

    Barry Jenkins: Ganz genau! Normalerweise gehst du raus, drehst einen Film, und es gibt Umgebungsgeräusche oder visuelle Elemente, die Teil der Aufnahme werden. Hier hatten wir gar nichts, sondern mussten alles von Grund auf erschaffen. Trotzdem liebe ich es, auch auf so etwas zu reagieren. Das war die Herausforderung, die wir intellektuell in den Prozess einbringen mussten. Doch man versucht, es emotional und nicht intellektuell wirken zu lassen, als wäre es eine Reaktion oder etwas Eingefangenes und nicht eine Schöpfung.

    In „Mufasa“ dürfen die Tiere mehr Emotionen zeigen als noch in „Der König der Löwen“. Disney
    In „Mufasa“ dürfen die Tiere mehr Emotionen zeigen als noch in „Der König der Löwen“.

    FILMSTARTS: Es wird zu Recht oft positiv hervorgehoben, dass die Gesichter der Tiere in „Mufasa“ wesentlich ausdrucksstärker sind als noch in „Der König der Löwen“ von 2019. Ist das lediglich eine logische Weiterentwicklung der Technologie oder eine direkte Reaktion auf Kritik am ersten Film?

    Barry Jenkins: Es sind zwei Dinge. Erstens: Die gleichen Animatoren, die an diesem Film gearbeitet haben, haben auch an dem Film von 2019 gearbeitet. Wenn man einen weiteren Film in diesem Stil macht, möchte man das, was man vorher getan hat, erweitern. Und zweitens: Im vorherigen Film mussten sie die Modelle von Grund auf erstellen, was viel technische Präzision erforderte. Man baut etwas, bevor man es verändern kann. In diesem Film hatten wir die Freiheit, Dinge zu brechen und zu manipulieren. Wenn es also Unterschiede gibt, liegt das an diesem grundlegenden Prinzip. Jeder, der diesen Film hier nach dem ersten gemacht hätte, hätte wahrscheinlich viele ähnliche Entscheidungen getroffen.

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