Der britische Regisseur und Produzent Alfred Hitchcock, der 1955 auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, gilt als Meister des Suspense. Darunter versteht man einen inszenatorischen Kniff zur Spannungssteigerung: Hitchcock gibt dem Zuschauer in bedrohlichen Szenen mehr Informationen an die Hand als seinen Filmfiguren. In der Folge fiebert der Zuschauer umso mehr mit den Ahnungslosen mit. In Thrillern wie „Das Fenster zum Hof“, „Der unsichtbare Dritte“ und „Psycho“ gelangen dem Regisseur damit Momente atemloser Spannung. Hitchcocks bediente im Laufe seines Schaffens verschiedene Genres: Spionagegeschichten und Horrorgeschichten gehörten ebenso zu seinem Repertoire wie sein schwarzer Humor, den er in seinen Werken immer wieder zum Ausdruck brachte.
Das gebrannte Kind
Alfred Hitchcock wurde am 13. August 1899 als Alfred Joseph Hitchcock in London als drittes Kind von William Hitchcock und Emma Jane Whelan geboren. In seiner Kindheit lernte Alfred Hitchcock die Einsamkeit: Mit seinen Geschwistern verstand er sich ebenso wenig wie er keine Freunde fand. Aufgrund seiner Körperfülle wurde er sogar regelrecht verspottet. Hitchcock wurde streng katholisch erzogen und stieß so bereits früh auf die Thematik von Schuld und Sühne, der er später in zahlreichen seiner Filme einen Platz einräumen sollte. Hitchcock besuchte zunächst eine Jesuitenschule, verließ diese jedoch mit 14 Jahren wieder. Stattdessen lernte er in Abendkursen das technische Zeichnen und eignete sich Kunstgeschichte an. Nachdem er einige Zeit als technischer Angestellter bei der W. T. Henley Telegraph Company gearbeitet hatte, wechselte er zu Beginn der 1920er-Jahre zum neu gegründeten Londoner Filmstudio Famous Players-Lasky. Dort gestaltete er Zwischentitel für Stummfilme und empfahl sich für die künstlerischen Aspekten des Filmemachens, wie etwa das Gestalten von Szenebildern. Über die Jahre sammelte Hitchcock immer mehr an Erfahrung und bekam schließlich grünes Licht für seinen ersten eigenen Film.
Allround-Talent von der Insel
Hitchcocks Regiedebüt „Number 13“ (1922) blieb jedoch aufgrund finanzieller Nöte des Studios unvollendet. Der Sprung auf die Kinoleinwand gelang stattdessen Hugh Croise' Komödie „Always Tell Your Wife“, an dessen Fertigstellung Hitchcock jedoch auch beteiligt gewesen sein soll. Hitchcock begleitete fünf weitere Filme des Regisseurs Graham Cutts als Organisator und Szenebildner, ehe er mit seinem Melodram „Irrgarten der Leidenschaft“ das erste Mal selbst auf dem Regiestuhl Platz nahm. In England wurde die tragische Liebesgeschichte - ebenso wie Hitchcocks darauffolgender Film „Der Bergadler“ - zunächst jedoch nicht veröffentlicht, da der Verleiher C. M. Woolf nicht an einen kommerziellen Erfolg glaubte. Erst mit dem Thriller „Der Mieter“, der von einem fälschlicherweise des Mordes verdächtigten Mann handelt, gelang Hitchcock der Durchbruch als Regisseur. Das Thema des Unschuldigen, der durch unglückliche Umstände in das Visier der Polizei gerät, sollte in Zukunft eines der zentralen Motive des Auteurs Hitchcock werden. Der Erfolg des Films sicherte ihm weitere Budgets, mit denen er Sozialdramen und Thriller realisierte. Den spannenden Stummfilm „Erpressung“ (1929) über eine Frau, die aus Notwehr getötet hat und deshalb nun erpresst wird, wertete Hitchcock im Nachhinein durch Toneffekte auf, da er von den neuen Möglichkeiten des Tonfilms überzeugt war. Mit dem Spionagethriller „Der Mann, der zuviel wußte“ erreichte Hitchcock einen ersten Höhepunkt seines Schaffens: Der Film um ein Pärchen, das in einen Strudel aus gefährlichen Ereignissen gerissen wird, nahm einige von Hitchcocks späteren Innovationen bereits vorweg. Mit dem humorvollen Thriller „39 Stufen“ (1935) um einen Durchschnittsmenschen, der aus heiterem Himmel von unterschiedlichen Parteien gehetzt wird, bewies Hitchcock außerdem sein Talent für rasante Inszenierungen.
Über den Atlantik
Die Erfolge von Hitchcocks Filmen machten den amerikanischen Produzenten David O. Selznick auf den Engländer aufmerksam. Ende der 1930er-Jahre landete der Filmemacher so schließlich in den USA, wo er das dunkel-romantische Thriller-Drama „Rebecca“ nach einer Vorlage von Daphné Du Maurier auf die Leinwand hievte. Die expressionistische Bildsprache, für die Hitchcock gekonnt mit Licht und Schatten arbeitete, erinnerte stilistisch zwar an das Frühwerk des Regisseurs, begeisterte aber auf einem deutlich höheren Niveau. Nominierungen für den Oscar folgten, Selznick als Produzent gewann sogar in der Königskategorie Bester Film, aber Hitchcock, der als Bester Regisseur vorgeschlagen war, ging leer aus - wie auch im weiteren Verkauf seiner Karriere. Bald kriselte es auf anderer Ebene: David O. Selznick schränkte die künstlerische Freiheit, die Hitchcock in England zugestanden worden war, rigoros ein. Der Brite konnte seine Vision zwar trotzdem umsetzen, die Zusammenarbeit der beiden aber blieb problematisch. Konsequenterweise schuf Hitchcock seine besten Filme in den Vierzigerjahren nicht für Selznick, sondern für die RKO Pictures Inc.: In „Verdacht“ agierte Cary Grant als Mann, dessen Aufrichtigkeit nachhaltig erschüttert wird und auch die Spionagegeschichte „Berüchtigt“ - erneut mit Cary Grant und Ingrid Bergman in den Hauptrollen -, wurde zum Triumph für Hitchcock. Bemerkenswert das Thriller-Drama „Ich kämpfe um dich“, das die junge Profession der Psychoanalyse aufnimmt und mit Traumsequenzen aufwartet, die der spanische Surrealist Salvador Dalí gestaltet hat. O. Selznick kürzte den Film allerdings um 20 Minuten. Neben seinen Spielfilmen drehte Hitchcock auch vereinzelt Propagandawerke während des Zweiten Weltkriegs.
Meister des Suspense
Ende der 1940er Jahre trennten sich Hitchcock und O. Selznick schließlich, sodass der britische Regisseur wieder vermehrt kreativen Freiraum hatte. 1951 gelang ihm mit dem verzwickten Thriller „Der Fremde im Zug“ ein künstlerischer wie kommerzieller Erfolg. In der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Patricia Highsmith brillieren Farley Granger und Robert Walker als Fremde, die sich im Zug begegnen und kurzerhand vereinbaren, jeweils eine unliebsame Person aus dem Umfeld des anderen zu töten. Auf diese Weise sollte die Polizei in die Irre geführt werden. Für "Der Fremde im Zug" entwickelte Hitchcock die Technik des Suspense weiter und behandelte ein Thema, das tief in seiner religiösen Erziehung verwurzelt war: Schuld und Sühne. Der Film markiert den Auftakt zu einer Reihe von perfekt inszenierten Genre-Werken, die Hitchcocks Ruf als Meister der Spannung zementierten. Während „Das Fenster zum Hof“ mit James Stewart in der Rolle des Fotografen mit Gipsbein, der glaubt im Haus gegenüber einen Mord beobachtet zu haben, Voyeurismus und Suspense zu einer psychologisch brillanten Angststudie verdichteten, setzte er mit „Über den Dächern von Nizza“ mit Cary Grant als sympathischem Juwelendieb auf humorvolle Töne.
Schwindelerregende Technik
Nach weiteren Erfolgen, darunter auch das gelungene, gleichnamige Remake seines in den 1930er Jahren in England entstandenen Thrillers „Der Mann, der zuviel wusste“, legte Hitchcock mit „Vertigo“ eine eindringliche Studie über Obsession und Verdrängung vor, in der James Stewart als traumatisierter Ex-Polizist und Kim Novak als Objekt dessen Begierde überzeugen. Der Film ist vor allem auch in technischer Hinsicht höchst bemerkenswert, da Hitchcock zur Visualisierung von Höhenangst den Rückwärtszoom verwendete, während er die Kamera zeitgleich auf das Objekt zubewegte. Der Horrorthriller „Die Vögel“, der rasante Verfolgungsthriller „Der unsichtbare Dritte“ und der mit drastischen Pulp-Elementen arbeitende Thriller „Psycho“ avancierten ebenfalls zu Highlights in Hitchcocks Schaffen. Die Schwarzweiß-Optik von „Psycho“, in dem Anthony Perkins als bedrohlicher Motelinhaber Norman Bates brilliert, überhöht die morbide Atmosphäre des Films zu einem Panoptikum der Angst.
Hitchcocks Spätwerk
Nachdem Hitchock „Die Vögel“ fertig gestellt hatte, gelang es ihm zunächst nicht mehr, an die Qualität seiner vorherigen Arbeiten anzuknüpfen. Der Psychothriller „Marnie“ mit Sean Connery und Tippi Hedren in den Hauptrolle blieb ebenso hinter den Erwartungen zurück wie der missglückte Versuch, mit dem 1966 veröffentlichten „Der zerrissene Vorhang“ die Thematik des Kalten Kriegs in einem Spionagethriller zu verarbeiten. Erst mit „Frenzy“, dem in London spielenden Thriller über einen psychisch deformierten Frauenmörder, steigerte sich Hitchcock erneut, um mit seinem letzten Film, dem schwarzhumorigen Thriller „Familiengrab“ aus dem Jahr 1976 noch einmal zu alter Meisterschaft zurückzufinden. 1979 wurde Alfred Hitchcock mit dem Ehrenoscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Bereits 1972 wurde er für sein Schaffen mit dem Golden Globe-Pedant, dem „Cecil B. DeMille Award“ bedacht. Am 29. April 1980 starb Alfred Hitchcock in Los Angeles.