Der Disney-Zeichentrickklassiker „Der König der Löwen“ lässt sich zweifelsfrei als Film bezeichnen, der gewaltige kulturelle Spuren hinterlassen hat. Nicht nur, dass das 1994 uraufgeführte Animationsmusical weltweit über 978,8 Millionen Dollar eingenommen hat, zum bestverkauften Film auf Videokassette aufstieg, diverse Floskeln prägte und unzählige Menschen verschiedensten Alters berührte:
„Der König der Löwen“ inspirierte Fernsehserien, Direct-To-Video-Fortsetzungen, eines der beliebtesten und erfolgreichsten Bühnenmusicals der Theaterhistorie sowie ein fotorealistisch animiertes Remake und dessen Prequel „Mufasa“ (das ihr seit dem gestrigen Donnerstag im Kino sehen könnt). Wahrlich keine schlechte Leistung für eine Produktion, die einst studiointern in der Underdog-Rolle firmierte.
Denn dass man im Hause Disney vorübergehend felsenfest davon überzeugt war, dass „Der König der Löwen“ bloß die Zeit bis zum Trickmusical „Pocahontas“ überbrückt, in das man gigantische Hoffnungen steckte, dürfte mittlerweile Popkultur-Allgemeinwissen darstellen. Es ist einfach zu griffig und ironisch-dramatisch, um nicht unzählige Male nacherzählt zu werden.
Wir wollen an dieser Stelle aber nicht auf den zeitweise ungleichen Erwartungen herumreiten, die man in den Walt Disney Animation Studios an „Der König der Löwen“ und „Pocahontas“ hatte. Stattdessen wollen wir euch zurück zu einem studiointernen Screening führen, das eindrücklich unterstreicht, dass selbst unbestrittene Meisterwerke im Laufe ihrer Produktion pechschwarze Stunden durchlaufen.
"In diesem Raum ist noch nie irgendetwas Gutes passiert"
Es ist in der Filmindustrie alltäglich, unfertige Filme intern vorzuführen – schließlich wollen die Verantwortlichen Rückmeldung von Personen, die ihr Werk mit frischen Augen begutachten können. Ebenso wollen die Geldgeber*innen und Studiobosse wissen, wofür ihre Mittel verwendet werden.
Im Animationsmetier hat diese Praktik einen besonders hohen Stellenwert: Da sich die Produktion eines Trickfilms über viele Jahre zieht und der vollständige Animationsprozess hohe Summen verschlingt, ist es wichtig, potentielle Schwachstellen vorab ausfindig zu machen. Dieser Optimierungsschleife haben einige der größten Trickfilmklassiker viel zu verdanken – was aber keinesfalls bedeutet, dass die Verantwortlichen gerne an den dornigen Prozess zurückdenken.
Beispielsweise erläutert der frühere Disney-Zeichner Chris Sanders, der später für das Haus der Maus „Lilo & Stitch“ und für DreamWorks Animation „Drachenzähmen leicht gemacht“ inszenieren sollte, dem Portal Vulture, dass ihn studiointerne Aufführungen fürs Leben gebrandmarkt hätten. Besonders schlimm wären Vorführungen in einem Disney-Projektionsraum in New York City verlaufen, bei denen auch ranghohe Konzernmitglieder zugegen waren:
„In diesem Raum ist noch nie irgendetwas Gutes passiert“, lässt sich Sanders von Vulture zitieren. Eine Anekdote, die sich besonders tief in sein Gedächtnis brannte, dreht sich um „Der König der Löwen“: Sanders war beim sich später als zeitloses, internationales Phänomen herausstellenden Film sowohl an der Story beteiligt als auch für das Design mitverantwortlich. Bei einer internen Probeaufführung in New York saß er direkt hinter dem damaligen Disney-CEO Michael Eisner – und wäre wegen ihm am liebsten ausgerastet!
Ein geistesabwesender CEO
„Er hatte einen sehr schwierigen Morgen“, erinnert sich Sanders im Austausch mit Vulture. „Wir haben es zuvor schon gehört: ,Er hatte einige miese Meetings!' Alle hatten einen Leuchtstift – du wusstest also, wenn sich jemand eine Notiz macht, weil man dieses Klick hört und dann ein kleines Licht angeht. Ich habe darauf gewartet, dass Michael sich etwas aufschreibt“, so Sanders.
Doch Sanders wartete vergeblich – Eisner habe gedankenverloren gewirkt, ging mutmaßlich noch immer die besagten, schlecht gelaufenen Meetings durch. Gemäß Sanders machte sich Eisner keinerlei Mühen, Aufmerksamkeit zu heucheln: „Er ließ seinen Kopf sinken, schaute ab und zu zur Seite und guckte wieder runter – schaute ein wenig herum, und ließ dann erneut den Kopf sinken.“
Dieses Verhalten habe Sanders die gesamte Vorführung über beobachtet: Während aus Simba erst ein unsicherer Erwachsener und dann ein würdevoller König wird, der den Verlust seines Vaters Mufasa verarbeitet, waren Eisners Augen – laut Sanders – überall, bloß nicht gen Leinwand gerichtet. Selbst während der ikonisch gewordenen Szene, in der der weise Affe Rafiki Simba dazu bringt, das eigene Spiegelbild zu inspizieren, damit er darin seinen Vater wiedererkennt!
Auch der daran anschließende, emotionale Wendepunkt, in dem Simba mit dem Geist seines Vaters spricht, habe Eisner nicht dazu gebracht, sich auf den Film zu konzentrieren: „Mufasas Geist erscheint […] und Michael guckt die gesamte Zeit herunter!“ Beim anschließenden Meeting sei Sanders dann beinahe die Hutschnur geplatzt – denn der unaufmerksame Eisner habe Simbas Entscheidungen in der zweiten Filmhälfte hinterfragt.
„Ich weiß nicht einmal, warum Simba zurück nach Hause gegangen ist“, zitiert Sanders seinen früheren Chef. „Und ich konnte ja kaum aufstehen und antworten: ,Er hat es verpasst! Er hat es nicht gesehen!“ Stattdessen habe der damalige Chef für Disneys Tricksparte, Jeffrey Katzenberg, Eisner im ruhigen Tonfall erläutert: „Nun – Mufasas Geist ist ihm erschienen.“ Doch laut Sanders führte dies bloß zu verwirrten Nachfragen Eisners: „Oh. Das habe ich gar nicht mitbekommen. […] Was ist passiert? Mustafa wer?“
Einige Jahre nach diesem frustrierenden Meeting traf Eisner eine nahezu katastrophale Entscheidung, die er glücklicherweise wieder revidierte. Denn der frühere Disney-CEO wollte den Dreh von „Fluch der Karibik“ abblasen, wie ihr im folgenden Artikel nachlesen könnt:
"Disney wird den Film nicht machen": Aufgrund dieses Flops wäre "Fluch der Karibik" beinahe abgesägt worden!*Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.