Wenn jemand zwei Regie-Oscars sein Eigen nennen kann und sich damit in die Riege großer Namen wie Billy Wilder („Das Appartement“), Oliver Stone („Platoon“) und Steven Spielberg („Schindlers Liste“) einreiht, kommt das nicht von ungefähr. Der taiwanische Regisseur Ang Lee ist spätestens seit seinem Wuxia-Epos „Tiger & Dragon“ im Jahr 2000 einer der weltweit bedeutendsten Vertreter seiner Zunft.
Nur wenige seiner Kolleg*innen haben sich so selbstverständlich in verschiedenen Genres ausprobiert und dabei dennoch fast immer höchst bemerkenswerte Arbeiten abgeliefert, wie es Lee seit nunmehr über 30 Jahren demonstriert. Doch nicht nur seinen Fans wird aufgefallen sein, dass sich der 70-Jährige zuletzt ziemlich rargemacht hat.
Sein bis dato letzter Film, der Sci-Fi-Actioner „Gemini Man“ mit Will Smith, stammt aus dem Jahr 2019. Seitdem stand Lee nicht mehr hinter der Kamera. Die Gründe dafür haben unter anderem mit seinem kritischen Blick auf die aktuelle Situation des Kinos zu tun, wie World of Reel berichtet.
Ang Lee fordert "drastischen Wandel"
Anlässlich einer Award-Zeremonie in Tokio, bei der Lee als „einer der großen Innovatoren des Weltkinos“ ausgezeichnet wurde, äußerte er sich zu seinem derzeitigen Karrierestatus und seinen Gefühlen gegenüber der Entwicklung des Kinos.
„Ich habe seit sechs Jahren keinen Film mehr gemacht, und ich weiß nicht, wo ich wieder anfangen soll. Das Kino braucht einen drastischen Wandel. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es eine Sackgasse sein. Wir brauchen etwas, das das Publikum wieder zum Staunen bringt.“
Eindringliche Worte, die definitiv aufhorchen lassen. Lee führte seine Gedanken aber noch weiter aus und fand einen bildhaften Vergleich für das Zuschauerverhalten im Kinosaal: „Kinos waren unsere Tempel, in die wir alle gemeinsam mitgenommen wurden. Aber wenn man heute jemanden bittet, sein Smartphone wegzulegen, ist das so, als würde man ihn bitten, den Mount Everest barfuß zu besteigen.“
Regie-Comeback oder Kino-Rente?
Bedeuten diese Aussagen, dass Lee nun in Rente gehen und nie wieder einen Film inszenieren wird? Das muss nicht unbedingt sein. Vielmehr klingen seine Äußerungen nach einem eindrücklichen Appell an seine Zunft, etwas Neues für die Leinwand zu erschaffen, dem sich das Publikum trotz digitaler Ablenkungen nicht mehr entziehen kann. Dass er sich dabei auch selbst in die Verantwortung nimmt, steht bei einem visionären Regisseur wie Lee außer Frage.
Und trotzdem wird es wohl noch eine ganze Weile dauern, bis wir ein neues Werk des zweifachen Oscar-Preisträgers zu sehen bekommen. Um einst von ihm geplante Projekte wie einem Bruce Lee-Biopic oder dem Box-Film „Thrilla in Manila“ ist es längst still geworden. Da bleibt uns nur zu hoffen, dass Lee seine Hoffnung ins Medium Kino zurückerlangt und bald sein Comeback hinter der Kamera feiern wird.
Immerhin erwog Lee vor 20 Jahren schon einmal den Regie-Ruhestand, woraus zum Glück nichts wurde, wie ihr hier nachlesen könnt:
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