Vielen ist der Kanadier Denis Villeneuve inzwischen bekannt als Meister des großen Popcorn-Kinos, zeichnete er doch zuletzt für die Sci-Fi-Blockbuster „Dune” und „Dune: Part Two” verantwortlich. Auch zuvor war er mit „Arrival” und „Blade Runner 2049” bereits in Hollywood unterwegs. Doch betrachtet man seine Karriereleiter ein paar Stufen tiefer, so stößt man auf zutiefst philosophische Filmwerke ganz ohne Popcorn-Bombast, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.
Sein erster Spielfilm, „Der 32. August auf Erden”, ist ein intensives Erlebnis irgendwo zwischen Raum und Zeit, zwischen Traum und Wirklichkeit. Und sein zweiter Film „Maelström” knüpft direkt daran an: Ausgerechnet ein Karpfen, der kurz vor seiner Schlachtung steht, nutzt seine letzten Worte, um eine schmerzlich-schöne, existenzialistische Geschichte über die Menschheit zu erzählen. Das Ergebnis ist ein modernes Märchen mit wahrhaftiger Sogwirkung – nur allzu passend also der Titel, der so viel wie „Sog” bedeutet.
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Eine Frau macht sich auf die Reise in Richtung Realität
Und dies ist die Geschichte, die der Fisch (Stimme: Pierre Lebeau) erzählt: Bibiane (Marie-Josée Croze) befindet sich gerade in keiner guten Position. Sie hat soeben eine Abtreibung hinter sich und dann kündigt ihr Bruder ihr auch noch ihren Job in einem renommierten Modehaus. Sie betrinkt sich auf einer Party – und setzt sich danach ans Steuer. Mit bösen Folgen, denn auf ihrem Weg nach Hause überfährt sie einen älteren Mann. Dieser kann sich noch in seine Wohnung schleppen, erliegt dort aber seinen Verletzungen.
Die Schuld lastet schwer auf Bibiane. Sie irrt durch die Gegend, ihr Auto stinkt nach Fisch – denn, wie könnte es auch anders sein – die Fische ziehen sich hier durch den Film – der Überfahrene verdiente sein Geld in einem Kühlhaus, in dem Fisch verarbeitet wird. Die Kreise ziehen sich weiter: Bibiane versucht, sich zu ertränken, doch überlebt sie. Sie beißt auf zähen Tintenfisch, was dazu führt, dass der tote Mann in seiner Wohnung erst gefunden wird. Und schließlich trifft sie den Sohn (Jean-Nicolas Verreault) desselben Mannes und Leben und Tod geben sich die Klinke in die Hand.
"Jede menschliche Handlung ist eine Manifestation gegen den Tod"
Das im Film besprochene Zitat von Björn Magnussen dient letztlich als Parabel nicht nur für die Handlungen von Bibiane, sondern gleichwohl für die Handlung des gesamten Films: Alles, was hier passiert, ist erfüllt von Leben und Tod gleichermaßen. Abtreibungen treffen auf Unfälle treffen auf Liebe: Zufall und Unausweichlichkeit sind eng ineinander verzahnt.
Alles ist ein ewig währender Kreislauf, ein Sog, dem der Mensch ausgesetzt ist, wie ein Fisch im Strudel. Das Wasser zieht sich durch den Film, ebenso wie die Fische – kein Wunder eigentlich, ist das Wasser doch der Ursprung unserer Existenz. Und während Bibiane unter der Dusche steht, sich ihres Körpers und ihrer selbst immer mehr bewusst wird, vergisst sie paradoxerweise die Zeit und alles um sich herum, so erzählt der Fisch.
So kühl und glatt wie ein Fisch, so kommt „Maelström” auch optisch daher: Die Farbpalette meist in Blautönen gehalten, die Augen Marie-Josée Crozes stechend in der fahlen Komposition. Als geradezu farbig kann dagegen der Soundtrack bezeichnet werden, der aus einer Mischung von klassischen Stücken u.a. von Edvard Grieg und experimentellen Kompositionen von Tom Waits („The Ocean doesn’t want me anymore”, natürlich) geradezu bunt daher kommt. Bevor uns das Ende mit „Good Morning Starshine” aus „Hair” niederschmettert.
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