Denis Villeneuve kam wie aus dem Nichts, als er 2013 mit „Prisoners“ und „Enemy“ gleich zwei der Thriller-Highlights des Jahres von der Leine ließ. Heute gilt der Kanadier als einer der gefragtesten Filmemacher Hollywoods – und als Science-Fiction-Genie, das Filme wie „Arrival“, „Blade Runner 2049“ und „Dune“ verantwortete. Was jedoch oft vergessen wird: Der Kanadier drehte auch schon davor Filme. Und wie.
FILMSTARTS-Redakteur Daniel Fabian verehrt sämtliche eben erwähnten Kino-Highlight, die Villeneuve in den USA drehte – und räumt ihnen in ihrem jeweiligen Jahrgang fast ausnahmslos einen Platz in seinen Top 10 ein. Villeneuves vielleicht bester Film ist für ihn dennoch ein anderer: „Die Frau, die singt“ – ein Schlag in die Magengrube, der einen an den Rande eines Nervenzusammenbruchs bringt.
Das auf dem Theaterstück „Incendies“ von Wajdi Mouawad basierende Drama erinnert an die unbändige Kraft von Geschichten – und erschüttert mit einer der schockierendsten Erzählungen der Kinogeschichte. Bevor wir darauf aber etwas näher eingehen (natürlich ohne zu viel zu verraten), raten wir euch, euch selbst davon zu überzeugen:
Während es „Die Frau, die singt“ hierzulande bloß auf DVD* (und nicht etwa auf Blu-ray) gibt, könnt ihr den Film bei diversen Streaming-Plattformen wie Amazon Prime Video aktuell bereits ab 2,99 Euro streamen. Und der Autor dieses Artikels kann dafür nur eine uneingeschränkte Empfehlung abgeben, mit der dennoch eine Warnung einhergeht:
Achtung, hier erwartet euch eines der emotional aufwühlendsten Filmerlebnisse, die man sich nur vorstellen kann – und nicht nur der vielleicht härteste Film der letzten 20 Jahre, sondern auch einer der besten. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass „Die Frau, die singt“ in zahlreichen Listen der besten Filme aller Zeiten vertreten ist, darunter bei IMDb (Rang 107) und Letterboxd (Rang 89).
Und wer weiß, vielleicht kommt ihr mit dem Film ja auf den Geschmack und gebt dann auch den weiteren grandiosen Frühwerken Villeneuves eine Chance – etwa dem ebenso durch Mark und Bein gehenden Amok-Drama „Polytechnique“ oder dem von einem Karpfen (!) erzählten „Maelström“.
Darum geht's in "Die Frau, die singt"
Jeanne (Mélissa Désormeaux-Poulin) und Simon Marwan (Maxim Gaudette) staunen nicht schlecht, als ihnen der Notar nach dem Tod ihrer Mutter Nawal (Lubna Azabal) zwei Umschläge überreicht: einen Brief für ihren Vater, von dem sie glaubten, er sei tot. Und einen für ihren Bruder, von dessen Existenz sie gar nichts wussten.
Nawals Tochter ist sich sicher: Hinter dem geheimnisvollen Erbe stecken endlich die Antworten auf jene Fragen, die Nawal in den letzten Jahren ihres Lebens, die sie schweigend verbrachte, aufkommen ließ. Also macht sich Jeanne auf den Weg in die Heimat ihrer Mutter, um deren Vergangenheit zu erkunden. Doch niemand kann sie auf das vorbereiten, was sie dort erwartet…
Zwischen Schuld und Vergebung, Liebe und Hass
Als Inspiration für die Geschichte von Nawal dienten die Schrecken des libanesischen Bürgerkrieges, der zwischen 1975 und 1990 zigtausende Todesopfer forderte, sowie die Lebensgeschichte von Souha Bechara, die nach einem fehlgeschlagenen Attentat an Antoine Lahad, dem Führer der Südlibanesischen Armee (SLA), zehn Jahre in einem Foltergefängnis verbrachte.
„Die Frau, die singt“ zeigt eine von bewaffneten Konflikten geprägte Welt – und schlägt gleichzeitig die Brücke zu einem der vielen Einzelschicksale des Krieges. Mit einer Wucht, die ihresgleichen sucht. Sind die gesellschaftlichen Folgen schlimmer, die auch noch Generationen später in den Köpfen der Menschen stecken? Oder doch der einzelne Mensch, dessen Leben niemals so sein wird, wie es einmal war? Villeneuve macht es einem unmöglich, sich zu entscheiden – verlangt das aber auch gar nicht.
Nawals Geschichte ist eine des Leidens, des Hasses, eine Geschichte, die sprachlos macht. Fassungslos. Es ist eine Erzählung, die in die finstersten Abgründe des Menschen hinab blicken lässt, eine Erzählung, die gerade deshalb so unter die Haut geht, weil sie nie zu explizit wird, der Schrecken nie zum Selbstzweck in den Vordergrund gestellt wird.
Villeneuve gibt seinem Publikum viel Zeit, um die Protagonisten kennenzulernen, ihre (Gefühls-)Welt zu verstehen und mit ihnen gemeinsam auf die Suche nach der Wahrheit zu gehen. Egal wie schmerzhaft diese auch sein möge, nichts ist schlimmer als die Ungewissheit – die „Die Frau, die singt“ mit einer Unnachgiebigkeit zerschmettert, die einen geradezu leer zurücklässt. Genau deshalb zählt Villeneuve zu den größten Geschichtenerzählern unserer Zeit.
So bleibt „Die Frau, die singt“ als Mahnmal in Erinnerung, das unglaublich weh tut und lange nachhallt – und genau das auch soll. Denn der Film zeigt, dass selbst aus einem Leben voller Hass, voller Leid, Hoffnung entstehen kann. Hoffnung darauf, dass all die Tortur nicht umsonst war. Darauf, dass es die nächsten Generationen besser machen – und die Augen vor der Wahrheit niemals verschließen, sondern sich ihr stellen.
In diesem Mindfuck-Thriller vom "Dune"-Regisseur trifft Jake Gyllenhaal auf sich und schockierende Spinnen - bei Amazon könnt ihr ihn kostenlos streamen*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links erhalten wir eine Provision.