In den vergangenen Jahrzehnten gab es mehr als genug deutsche Holocaust-Filme, die vor allem gedreht wurden, weil man mit dem Thema bei der Filmförderung immer gute Chancen hat. Geschaut haben sie dann vor allem Schüler*innen, die vom Lehrkörper ins Kino gezwungen wurden. Nicht wenige Teenager haben deshalb vermutlich ganz die Lust an der großen Leinwand verloren, ähnlich wie die Lust am Lesen nach der gelangweilten, Halbjahr-umspannenden Interpretation irgendeines nichtssagenden Lehrplan-Wälzers.
Aber „Die Ermittlung“ ist anders – und viel, viel besser! Die Schrecken von Auschwitz komprimiert auf vier hochintensive Stunden – in einem theaterhaft-reduzierten Set, bestehend nur aus einigen Sitzplätzen und Mikrofonen. Regisseur RP Kahl („Als Susan Sontag im Publikum saß“) hat sich das epische Stück „Oratorium in 11 Gesängen“ von Peter Weiss vorgenommen, in dem der Jahrhundertautor die Frankfurter Auschwitz-Prozesse aus den Jahren 1963 bis 1965 verarbeitet.
Unterteilt in elf Themenbereiche (etwa die Geschehnisse an der Rampe, auf der Krankenstation oder der Exekutionswand) treten Zeug*innen an die Mikrofone, um Unfassbares zu berichten – konterkariert von den oft ätzend-sarkastischen Ausreden der Angeklagten. Es sind absolut unvorstellbare Grausamkeiten – und trotzdem werden sie in „Die Ermittlung“ so greifbar wie selten zuvor. Es ist eine niederschmetternde, wachrüttelnde Intensität, die ein Spielfilm, der die Taten tatsächlich zeigen würde, so mit Sicherheit niemals erreichen würde.
Die 5 Sterne voll verdient
Das durch und durch begeisterte Fazit der offiziellen FILMSTARTS-Kritik von Jochen Werner bringt es auf den Punkt: „Ein vierstündiges, dialogintensives Theaterstück über die juristische Aufarbeitung des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz, in einem minimalistischen Bühnensetting für die Kinoleinwand inszeniert – das klingt zunächst anstrengend und wahnsinnig unfilmisch, wird aber [...] zur ungeheuer intensiven Kinoerfahrung. Man kann nur dringend anraten, sich auf diese essenzielle filmische Auseinandersetzung mit den leider auch heute hochaktuellen Themen Faschismus, Genozid und Zivilsationsbruch einzulassen. Wahrscheinlich gibt es, dem Bühnensetting zum Trotz, gerade keinen Film, der unbeirrter an die Kraft des Kinos glaubt.“
Wir meinen: Diesen Film muss jeder sehen! Und zwar nicht nur, weil man ihn als „wichtig“ anpreisen muss, sondern vor allem, weil er auch ästhetisch, darstellerisch und inszenatorisch absolut brillant geraten ist. Für einen Spitzenplatz in den Kinocharts wird es für „Die Ermittlung“ wohl trotzdem nicht reichen. Die Top-Position dürfte hingegen mit riesigem Abstand an den selbstironischen Meta-Marvel-Blockbuster „Deadpool & Wolverine“ (» zur FILMSTARTS-Kritik) mit Ryan Reynolds und Hugh Jackman in den Titelrollen gehen.