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    Deadpool & Wolverine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Deadpool & Wolverine

    Ein Marvel-Liebesbrief, aber kein MCU-Meisterwerk

    Von Markus Trutt

    „So fühlt sich das also an“, hauchte vor nunmehr sieben Jahren ein sterbender Wolverine (Hugh Jackman) seinem Schützling Laura (Dafne Keen) im Superhelden-Abgesang „Logan - The Wolverine“ zu – und setzte damit einen durchaus vieldeutigen Kommentar ab. Der alternde Logan selbst erfuhr nach seinem langen Leben doch noch, wie es ist, zu sterben, während er zu der Zeit längst auch Vatergefühle für die aus seinem Genmaterial geschaffene „Tochter“ entwickelt hatte. Zugleich war für Darsteller Hugh Jackman aber auch der Moment gekommen, sich von seiner Paraderolle, die ihn 17 Jahre zuvor weltberühmt gemacht und die er im Laufe dieser Zeit in ganzen neun Filmen aus dem X-Men-Universum verkörpert hatte, gebührend emotional zu verabschieden. Es war der perfekte Schlussakkord für eine ziemlich beispiellose Comic-Helden-Karriere …

    … bis eine Ankündigung im September 2022 zwar einerseits für viel Begeisterung sorgte, aber auch für die Furcht, dass all das eingerissen wird. Denn an der Seite seines Kumpels Ryan Reynolds im passend „Deadpool & Wolverine“ betitelten dritten „Deadpool“-Kino-Abenteuer ist Hugh Jackman jetzt doch noch einmal der krallenbewährte Mutant und wird zudem ins MCU eingeführt. Gelingt „Deadpool & Wolverine“ nun tatsächlich die Gratwanderung zwischen Comeback und „Logan“-Huldigung? Erstaunlicherweise ja. Wird der Film von „Free Guy“-Regisseur Shawn Levy dabei dem absolut gigantischen Hype gerecht, der sich in den vergangenen zwei Jahren mit allen Gerüchten um Gastauftritte und mehr aufgebaut hat? Trotz des wunderbar harmonierenden Traum-Titelduos nur bedingt...

    Disney und seine verbundenen Unternehmen
    Das Traum-Duo, das wir uns erhofft haben: Deadpool (Ryan Reynolds) und Wolverine (Hugh Jackman)

    Wade Wilson (Ryan Reynolds) ist zufrieden – zumindest halbwegs. Zwar hat er seine Beziehung mit Vanessa (Morena Baccarin) an die Wand gefahren und sein Dasein als Deadpool gegen eine ereignislose Karriere als Autoverkäufer eingetauscht. Auf diese Weise stellt er aber sicher, dass seinen geliebten Freunden nichts mehr zustößt. Doch wird er jäh aus diesem beschaulichen Leben gerissen, als eines Tages plötzlich die den Fluss der verschiedenen Zeitlinien überwachende Time Variance Authority vor seiner Tür steht.

    Die TVA eröffnet Wade, dass der Tod von Logan langsam, aber sicher zur Auslöschung seiner Welt führen wird. Das will der Ex-Söldner mit der immer noch großen Klappe natürlich nicht so einfach hinnehmen. Und so schmeißt er sich prompt wieder in den roten Anzug, um im weit verzweigten Multiversum einen geeigneten anderen Wolverine aufzutreiben, um so vielleicht seine Zeitlinie und all die Menschen, die ihm etwas bedeuten, zu retten. Das ist allerdings leichter gesagt als getan...

    Reynolds und Jackman – wirklich ein Traum-Duo!

    „Ich habe so lange auf dieses Team-Up gewartet“, spricht Wade in einer Szene von „Deadpool & Wolverine“ das aus, was nicht wenige Marvel-Fans in den vergangenen Jahren immer wieder gedacht haben dürften. Nach den Seitenhieben auf Wolverine und Hugh Jackman in den ersten beiden „Deadpool“-Filmen war es im Grunde sogar der logische nächste Schritt, den in den Comic-Vorlagen bereits so beliebten Clash der gegensätzlichen Marvel-Kultfiguren endlich auf die große Leinwand zu übertragen – und aller Skepsis nach dem „Logan“-Ende zum Trotz dafür Hugh Jackman aus dem Comic-Ruhestand zu holen.

    Jackman und Reynolds zehren merklich von ihrer echten Freundschaft. Von der ersten Begegnung der Titelhelden legen sie genau die Chemie an den Tag, die man sich von diesem Aufeinandertreffen erhofft hat. In ihren ausgesprochen blutigen Kämpfen, noch mehr aber in ihren vielen Wortgefechten machen sie deutlich, dass in dieser Hinsicht jegliche Vorfreude berechtigt war. Der gewohnt dauerquasselnde Deadpool, der nach dem Aufkauf von 20th Century Fox durch Disney noch mehr gegen seinen alten Arbeitgeber austeilen darf, und der wortkarge Wolverine könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein. Letztlich sind sie jedoch beide auf ihre Art Helden wider Willen, die einander – ob wissentlich oder nicht – in den Sattel zurückhelfen.

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    Wade (Ryan Reynolds) hat zu Beginn seinen roten Anzug an den Nagel gehängt, um Peter (Rob Delaney) und seine anderen Freunde zu schützen.

    Bei allem „Deadpool“-typischen Witz schwingt bei den Kabbeleien der beiden auch immer wieder eine tragische Note mit – insbesondere durch einen abgehalfterten Wolverine, der als emotionaler Anker der Geschichte dient. Er ist kein strahlender Held, sondern ein Versager, der alles verloren hat. Am Ende ist zwar auch diese Variante des Mutanten nur eine leichte Abwandlung jener Version, der wir in „Logan“ Lebewohl gesagt haben. Doch clever wird so sichergestellt, dass das Publikum sich auch mit diesem neuen Wolverine direkt identifiziert. Allerdings wird einmal mehr deutlich, wie gut James Mangolds zurückgenommener Comic-Anti-Western war. In diesem wirkt die Entwicklung der Figur schließlich nicht nur aufgrund ihrer Historie verdienter, sondern kommt auch deutlich ausgefeilter daher. In Shawn Levys MCU-Abenteuer wird die Heldenreise etwas überstürzt – auch wenn sie in einer rührenden Szene mit einer zurückkehrenden Figur einen tollen Wendepunkt findet.

    Ein Wolverine, der seine einstigen Mitstreiter und Mitstreiterinnen im Stich gelassen hat, mag nichts Neues sein, ist aber noch der Story- und Charakter-Baustein, der am besten funktioniert. Der Rest der Geschichte ist nämlich selbst für Deadpool-Verhältnisse allzu sehr Mittel zum Zweck. Das Team hinter der Fortsetzung gab im Vorfeld offen zu, dass man große Probleme hatte, eine passende Handlung zu entwickeln, um den vorlauten Söldner ins MCU zu überführen – bis Hugh Jackman sich zum Comeback entschloss. Doch die vorherigen Schwierigkeiten schimmern angesichts des arg dünnen Irgendwas-mit-Zeitlinien-Fadens, an dem sich Wade und Logan tapfer durch das nach wie vor schwer greifbare Multiversum hangeln, immer noch durch. Und leider erstreckt sich das auch auf die Bösewichte.

    Bösewichte und Action sind nicht so gut, wie es dieser Film verdient hätte

    Charles Xavier Zwillingsschwester Cassandra Nova („The Crown“-Star Emma Corrin) würde eigentlich allein schon genügend Potenzial mitbringen, um ein spannendes Gegengewicht zu den Protagonisten zu bilden. Mit einer von vielen eher ungelenken Expositionen wird ihre kuriose Hintergrundgeschichte um einen Geschwistermord im Mutterbauch aber lediglich vorgetragen und so wenig greifbar gemacht. Das ist sinnbildlich für die gesamte Figur, denn letztlich bleiben ihr Wesen, ihre Motivation und ihre Kräfte dermaßen vage, dass sie sich mühelos in die lange Riege vergessenswerter MCU-Schurken einreiht. „Succession“-Star Matthew Macfadyen spielt dagegen so herrlich auf, dass er als dubioser TVA-Agent einen bleibenderen Eindruck hinterlässt. Allerdings wird er für einen Großteil der Laufzeit aus dem Spiel genommen und spielt so über weite Strecken der Handlung nicht wirklich eine Rolle.

    Leider gibt es auch bei Action noch ordentlich Luft nach oben, obwohl sie im Grunde die nötigen krachenden Voraussetzungen mit sich bringt. Denn eigentlich werden keine Gefangenen gemacht. „Deadpool & Wolverine“ ist schließlich der erste MCU-Kinofilm mit einer US-Altersfreigabe für Erwachsene (in Deutschland ist er ab 16 Jahren freigegeben) – und diese hat sich das Comic-Spektakel, wie bereits zuvor seine beiden Vorgänger, redlich verdient. Das (CGI-)Blut dekoriert die kargen Landschaften, Köpfe und Gliedmaßen fliegen wild durch die Gegend, ganze Körper zerplatzen. Und besonders wenn die quasi-unsterblichen Deadpool und Wolverine mit ihren jeweils spitzen Klingen mehrfach aneinandergeraten, wird wild drauflos geschnetzelt. Wenn sie sich gegenseitig wieder und wieder die Waffen in die Körper stecken und das Blut spritzt, fehlt natürlich jegliche Fallhöhe. Irgendwann werden sie ja doch erschöpft das gegenseitige Abstechen einstellen und wieder gemeinsame Sache machen. Aber das völlig überspitzte Spektakel wird die Herzen zahlreicher Marvel-Fans zweifellos höherschlagen lassen.

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    Bleibt als Bösewichtin leider erschreckend blass: Charles Xaviers Zwillingsschwester Cassandra Nova (Emma Corrin).

    Nur schade, dass der Höhepunkt in Sachen Action-Choreographie schon direkt am Anfang verbraten wird. In der genialen Eröffnungssequenz wird zu den Klängen von *NSYNCs Kult-Pop-Hit „Bye Bye Bye“ bereits eindrucksvoll demonstriert, wie man das Erbe von „Logan“ gleichzeitig ehren und auf charmant-freche Art besudeln kann. Abseits einer netten One-Shot-Sequenz im Showdown fällt „Nachts im Museum“- und „Stranger Things“-Regisseur Shawn Levy bei seiner dritten Zusammenarbeit mit Ryan Reynolds (nach „Free Guy“ und „The Adam Project“) sowie seiner zweiten mit Hugh Jackman (nach „Real Steel“) allerdings zu wenig ein, um die erinnerungswürdigen und inszenatorischen Highlights zu schaffen, die für diese Hauptfiguren, das Setting und die Stars angemessen wären.

    Origineller ist da schon der Einsatz der im Vorfeld für ein regelrechtes Spekulations-Feuerwerk sorgenden Überraschungsauftritte – schlicht weil die Bezeichnung „Cameo“ hier oftmals erfreulicherweise zu kurz greift. Zwar gibt es den einen oder anderen Gastauftritt, der lediglich einem schnellen Gag dient. In den meisten Fällen aber bekommen die Rückkehrer und Rückkehrerinnen jedoch mehr zu tun, treiben durchaus die Story voran und haben ihre ganz eigenen Momente. Wer nach all den Spekulationen etwas ernüchtert aus „Doctor Strange In The Multiverse Of Madness“ kam, wird diese Enttäuschung bei „Deadpool & Wolverine“ nicht wieder erleben – im Gegenteil.

    Ein Liebesbrief an ein totes Universum

    Die Auftritte von Figuren und ihren Stars, für die im MCU (bislang?) kein Platz ist, sind spürbar einer Liebe für wirklich alle (!) Marvel-Comic-Adaptionen entsprungen. Da kann es in „Deadpool & Wolverine“ noch so viele Spitzen gegen Fox und Co. geben. Der finale Film ist – das macht auch der sehenswerte Abspann deutlich – ein Liebesbrief an eine Marvel-Ära, die mittlerweile ein wenig in Vergessenheit geraten ist, in der aber zum Beispiel auch das heutige MCU-Mastermind Kevin Feige sich einst seine ersten Blockbuster-Sporen verdient hat. Schließlich wäre ohne sie das heutige MCU vielleicht gar nicht denkbar, haben auch Titel wie die allerersten „X-Men“-Adaptionen die moderne Comicfilm-Welle überhaupt erst mit gestartet.

    Fazit: Mit wundervoll-rotziger Dynamik bringt das titelgebende Buddy-Duo von „Deadpool & Wolverine“ wieder neues Leben in das zuletzt strauchelnde MCU – und wird dabei von mehreren charmant eingebauten Gaststars unterstützt. Dass die Action sowie vor allem die Story und die Bösewichte diesem epischen Team-Up nicht wirklich gerecht werden, verhindert dann aber doch, dass „Deadpool & Wolverine“ in den Marvel-Olymp aufsteigen kann.

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