„Superbad“ ist längst ein moderner Klassiker. Die Komödie trifft voll ins Schwarze und strapaziert das Zwerchfell ordentlich. Gleichzeitig kickstartete der verdiente Erfolg die Karriere von Emma Stone („Battle Of The Sexes – Gegen jede Regel“). „Superbad“ war ihre erste Kinorolle, mittlerweile ist Stone die bestbezahlte Schauspielerin der Welt! Und auch Seth Rogen („Beim ersten Mal“), Jonah Hill („The Wolf Of Wall Street“), Michael Cera („Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“) und Bill Hader („Dating Queen“) machte „Superbad“ um einiges berühmter…
Aber viel wichtiger: Ganz nebenbei stellte die Ablach-Komödie den endgültigen Durchbruch eines Comedy-Stils dar, der in den Folgejahren die US-amerikanische Komödienlandschaft dominierte. Einige empfehlenswerte Nachfolger haben wir für euch in der Bildergalerie oben zusammengestellt. Nach dem Erfolg von „Superbad“ stand die Tür ganz weit offen für Filmemacher und Darsteller wie Judd Apatow („Jungfrau (40), männlich, sucht…“), Paul Rudd („Ant-Man“) oder (mit ein paar Jahren Verzögerung) Kristen Wiig („Ghostbusters“). Apatows Comedy-Crew setzte in den Jahren nach 2007 ihre Vision von zum Schreien komischen Filmen mit einem Hauch Tiefgang und glaubwürdigen Figuren um. Heute, genau zehn Jahre später, ist die Zeit reif, einmal einen Blick zurück zu werfen und sich gleichzeitig zu fragen: Was ist denn der Apatow-Code? Was macht diese Art der Comedy so erfolgreich? Hat die Apatow-Crew alles genau so gemacht wie ihre Komödien-Vorgänger - nur einen Tick besser und perfekter? Im Gegenteil: Die Gruppe hat vielmehr einen Popkultur- und Zeitgeist-Moment „geschnallt“ und beim Schopfe ergriffen…
McLovin': Nerdiger als Sheldon Cooper
In „Superbad“ haben die Schulfreunde Seth (Jonah Hill), Evan (Michael Cera) und Fogell (Christopher Mintz-Plasse) sexuellen Druck: Kurz vor dem Ende der Highschool-Zeit wünschen sie sich größeren Erfolg beim anderen Geschlecht, mit dem sie auch im täglichen Umgang nicht so richtig klarkommen. Eine Schulparty soll die Wende bringen, denn die Außenseiter sind ausnahmsweise sogar mal eingeladen. Nun wollen sie sich vorab alkoholische Getränke besorgen, um ihre Chancen zu erhöhen…
Der vielleicht größte Star von „Superbad“ ist der von Christopher Mintz-Plasse verkörperte Übernerd Fogell: Für die Alkohol-Beschaffung der Gruppe besorgt er sich eine sogenannte Fake ID, einen gefälschten Ausweis, mit dem Teenager in den USA im Schnapsladen versuchen, Hochprozentiges zu kaufen. Fogell legt jetzt den (aus seiner Sicht) genialen Move hin, sich als Namen für seine Fake ID „McLovin“ auszudenken. Einfach McLovin! Kein Vorname, und auch ein unauffälligerer Nachname kam gar nicht in Frage. Fogell will ja keinesfalls kaschieren, dass er noch lange keine 21 ist und aussieht wie maximal 16. Die Zuschauer biegen sich zu diesem Zeitpunkt schon vor Lachen, aber natürlich steckt mehr dahinter: McLovin ist keinesfalls zufällig gewählt, sondern steht für so etwas wie das Alter Ego des eigentlich total schüchternen, verklemmten und völlig ungelenken Nerds: McLovin, das ist Fogells Superhelden-Persönlichkeit. Am Anfang von „Superbad“ bekommt Fogell noch regelmäßig eine Panikattacke, wenn eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts vor ihm steht (und ganz besonders bei seiner Angebeteten Nicola, gespielt von Aviva Baumann.) Er und seine zwei Freunde Evan und Seth werden im Laufe des Films aber die Nacht ihres Lebens verbringen. Fogell wird in „Superbad“ zu McLovin…
Nerds und… coole Frauen?
Regisseur Greg Mottola, Produzent Judd Apatow und die Drehbuchautoren Seth Rogen und Evan Goldberg stellten also junge Nerds ins Zentrum und brachten sie positiv rüber - und zwar noch deutlich klarer als dies zuvor in Teenie-Kult-Komödien wie „American Pie“ getan wurde. Aber das war noch lange nicht alles! Mit „Superbad“ begann auch so etwas wie eine romantische Blüte der Nerds, die nun immer öfter tatsächlich eine Freundin hatten... Das ist eventuell aus heutiger Sicht und in Zeiten der Sitcom „The Big Bang Theory“ nicht mehr so erwähnenswert, war aber 2007 durchaus noch etwas Ungewohntes. Im Sommer 2007 war schon „Beim ersten Mal“ (englisch: „Knocked Up“, Regie: Judd Apatow) als Vorbote im Kino gelandet und stellte Klischees auf den Kopf, wenn die ambitionierte, adrette Karrierefrau Alison Scott (Katherine Heigl) nach einem Clubbesuch mit dem wohlgenährten Slacker Ben (Seth Rogen) im Bett landet und ungewollt schwanger wird. Denn mal ganz ehrlich: Dass eine Frau wie Katherine Heigl mit einem Typen wie Seth Rogen nach Hause geht, ist selbst in der oft nicht super-wahrscheinlichen Filmwelt eher Fantasy…
Aber da setzte die Clique um Apatow 2008 mit „Nie wieder Sex mit der Ex“ (englisch: „Forgetting Sarah Marshall“) noch einen drauf: TV-Star Sarah Marshall (Kristen Bell) macht nach fünf Jahren Beziehung mit Musiker Peter Bretter (Jason Segel) Schluss. Der verkraftet das ganz schlecht, und fährt nach einigen verlorenen Wochen voll mit Heulen, Depressionen und impulsiven Entscheidungen nach Hawaii, um sich abzulenken. Ex-Freundin Sarah ist nur leider auch vor Ort – noch dazu mit ihrer neuen Flamme, dem britischen Rockstar und Schwerenöter Aldous Snow (Russell Brand). Nur gut, dass an der Rezeption des Luxushotels die saucoole Rachel (Mila Kunis) arbeitet…
„Nie wieder Sex mit der Ex“ ist heftig von „Superbad“ beeinflusst. Wie sich jeder bei der eben beschriebenen Handlung wohl denken kann, wird auch zwischen der von Mila Kunis verkörperten Rachel und Nerd/Sensibelchen Peter Bretter etwas gehen. Jason Segel, der Bretter spielt, ist wohl am ehesten als Marshall Eriksen aus „How I Met Your Mother“ bekannt. Und dieser Segel ist also im Verlauf von „Nie wieder Sex mit der Ex“ gleich mit Kristen Bell („Bad Moms“) UND Mila Kunis („Black Swan“) zusammen. Jason Segel! Da wirkt Jonah Hills Liaison mit Elisabeth Moss („The Handmaid's Tale“) in der ebenfalls anarchischen Komödie „Männertrip“ (englisch: Get Him To The Greek“, 2010) im Vergleich schon fast glaubwürdig. Und wann feierte „The Big Bang Theory“ seine Premiere im US-Fernsehen? Genau einen Monat nach der „Superbad“-Premiere. Die Nerds fingen also in Kino und TV (fast) im Gleichschritt damit an, sich an vorher unerreichbare Partnerinnen heranzutrauen.
Der Aufstieg der Nerds & Nerds unter sich
Doch wie war es überhaupt möglich, den Zuschauern solche Paarungen glaubhaft zu vermitteln? Warum wurden in den Kinosälen von „Superbad“, „Nie wieder Sex mit der Ex“ und „Beim ersten Mal“ nicht Rufe nach so richtig männlichen Darstellern wie Will Smith oder Brad Pitt laut? Die Kultur war bereit dafür, Nerds waren nun cool! In „Nie wieder Sex mit der Ex“ komponiert Jason Segels Peter Bretter z.B. an einer ironischen Rock-Oper über Dracula herum, in der alle Figuren von Puppen gespielt werden. Nerdiger geht es kaum noch, doch die von Mila Kunis verkörperte Figur Rachel Jansen steht drauf! Oder in der ebenso superlustigen Komödie „Trauzeuge gesucht!“ (englisch: „I Love You, Man“, 2009) teilen die ausgewachsenen Nerds Paul Rudd („Prince Avalanche“) und wieder Jason Segel („The End Of The Tour“) ihre gemeinsame Liebe zur Progressive-Rock-Band Rush – auch ziemlich nerdig…
Bei „Trauzeuge gesucht!“ hatte Judd Apatow (soweit bekannt) ausnahmsweise mal nicht seine Finger im Spiel. Die zeitgeistige Komödie handelt hauptsächlich von einer speziellen Art Männerfreundschaft, der man den schön-treffenden Namen „Bromance“ (zusammengesetzt aus Bro + Romance) gegeben hat. Eine Bromance, das ist eine rein platonische Männerfreundschaft zweier Bros, die gemeinsame Interessen verbinden (in „Trauzeuge gesucht!“ eben Rush). Aber zugleich ist eine echte Bromance noch viel mehr, denn sie ist von einer besonderen männlichen Sensibilität und Intimität geprägt. In „Superbad“ ist dies auch bereits vorhanden, als sich Seth und Evan nach der rauschenden Party am Ende des Films ihre Bro-Liebe zueinander gestehen. Auch das war 2007 neu! Und auch gar nicht mehr so subtile homoerotische Untertöne gehörten von da an zu den Bromance-Komödien dazu.
Bros & Nerds: Nie erwachsen werden!
Die von Jason Segel verkörperte Figur Sidney ist in „Trauzeuge gesucht!“, was Seth Rogen in „Beim ersten Mal“ ist: der absolute Slacker, auf dem besten Weg, später einmal zum „Dude“ zu werden: In seiner Garage hat er sich eine Man Cave eingerichtet, eine Art Chill-Wohnzimmer einschließlich Spielhölle, Kino und Bandproberaum. Zu diesem heiligen Männerort hat das andere Geschlecht unter keinen Umständen Zutritt. Und Paul Rudds zurückhaltende Figur Peter Klaven kann in diesem Männer-Safespace mal so richtig die Sau rauslassen und ganz er selbst sein…
Die Man Cave ist der Ort, an dem Nerds/Bros ganz bei sich und ihren Hobbys und Nischeninteressen sein können. Hier spielen sie gemeinsam Rush-Songs oder führen ehrliche, intime Gespräche über die zentralsten Themen in ihren Leben. In „Superbad“ gibt es auch Figuren, die nie so richtig erwachsen werden (wollen). Dort sind das die von Seth Rogen und Bill Hader gespielten Cops Slater und Michaels. Die Chaos-Bullen sind im Dienst oft blau, sie sind völlig verantwortungslos und so gar keine Autoritätspersonen. Die großen Jungs in Uniform sorgen auf die Art natürlich für jede Menge Lacher, Action und die besten Geschichten und Sprüche! Hierin unterscheidet sich die Bromance ausnahmsweise mal nicht von früheren Jungs-Genres wie etwa den Buddy-Cop-Filmen der 80er Jahre („Lethal Weapon“, „Nur 48 Stunden“): Ein Teil der Bromance ist immer der unvernünftigere, noch weniger erwachsene. Und dieser Chaos-Faktor bringt den Stein der Handlung und des Irrsins stets verlässlich ins Rollen…
In „Superbad“ wird die Rolle des Oberchaotikers von Laberkopf Seth (Jonah Hill) eingenommen (Stichwort: Menstruationsblut). Jason Segels Sidney hält in „Trauzeuge gesucht!“ eine Rede, in der er Zooey Rice dazu rät, ihrem Verlobten mehr Blowjobs zu geben. Oder Russell Brands Rockstar Aldous Snow in „Männertrip“: Er drückt seinem Babysitter Aaron Green (Jonah Hill) einen Jeffrey in die Hand und klärt ihn erst hinterher darüber auf, was dieser „Joint der Joints“ so alles beinhaltet (Gras, Opium, Heroin, Ecstasy, Clorox, Methadon, Morphium, Peyote). Oder auch die von Kristen Wiig genial verkörperte Annie Walker in „Brautalarm“ („Bridesmaids“): Sie ist genauso crazy und durchgeknallt wie die ganzen männlichen Bros in den Jungsfilmen, erzeugt mindestens ebenso viel Chaos…
Selber Humor, anderes Geschlecht
Damit wären wir auch schon beim nächsten Ding, dem Judd Apatow und Co. zum Durchbruch verholfen haben: Am Anfang galten Apatows Produktionen und andere Werke wie „Trauzeuge gesucht!“ als Jungsfilme par excellence. Gerade die ganze Nerd- und Bro-Thematik kam so rüber. Aber Apatow hatte eigentlich mal ganz anders angefangen: In der grandiosen, viel zu früh eingestellten Serie „Voll daneben, voll im Leben“ (englisch: „Freaks und Geeks“, 1999) war Lindsay Weir (Linda Cardellini) die Hauptfigur.
Und 2011 war dann der von Judd Apatow produzierte „Brautalarm“ mittendrin im nächsten großen Comedy-Trend: Im Zentrum des Films steht die Girls-Gruppe der Brautjungfern um Kristen Wiig („The Diary Of A Teenage Girl“), Melissa McCarthy („Spy - Susan Cooper Undercover“) und Ellie Kemper („Unbreakable Kimmy Schmidt“): Sie dürfen (endlich!) mal genauso die Sau rauslassen wie die Männer! Dürfen sich Peinlichkeiten erlauben, sich über ihre merkwürdigen körperlichen Funktionen amüsieren und das Publikum damit zum Lachen bringen. Und sie dürfen leiden, fast kaputt gehen an authentischen und nachvollziehbaren Lebensproblemen. Die Protagonistinnen in „Brautalarm“ geben oft ein elendiges Bild ab. Das ist wichtig zu erwähnen, denn genau das ist in Kino und TV eben oft nur den männlichen Figuren vorbehalten und geht für Frauen gar nicht…
„Brautalarm“ ist dabei Teil eines größeren Comedy-Trends, zu dem beispielsweise auch Amy Schumer („Dating Queen“, englisch: „Trainwreck“, Regie: Judd Apatow) sowie Abbi Jacobson und Ilana Glazer mit ihrer Comedy-Serie „Broad City“ gehören, die sogar in vielem noch mehr an die Schmerzgrenze geht als etwa „Brautalarm“. Es darf weitergelacht werden…