+++ Meinung +++
Viele Filmfans regen sich aktuell darüber auf, dass sich Quentin Tarantino in seinem Meisterwerk „Once Upon A Time… In Hollywood“ über Bruce Lee lustig mache. Auch Bruce Lees Tochter hat sich längst dazu geäußert und dem Filmemacher vorgeworfen, ihren Vater als „arrogantes Arschloch voller heißer Luft“ zu zeigen. Meiner Ansicht nach ist dieser Vorwurf nicht nur falsch, sondern ignoriert auch, wie wichtig die kritisierte Szene für den Film ist.
Die Tochter von Bruce Lee findet "Once Upon A Time... In Hollywood" gar nicht lustigJa, Bruce Lee (dargestellt von Mike Moh) kommt in einem Duell mit dem von Brad Pitt gespielten Stuntman Cliff Booth arrogant herüber. Tarantino verteidigt sich damit, dass Lee „schon irgendwie ein arroganter Typ“ gewesen sei. Stimmt das? Auch ich habe das immer wieder über Lee gelesen, Geschichten über (private) Zweikämpfe dieser Art gibt es zuhauf. Doch es ist nur sekundär, denn mich interessiert in erster Linie der Nutzen einer Szene für die im Film erzählte Geschichte.
Film geht vor Historie
Meiner Ansicht nach muss für einen Filmemacher dies immer Vorrang vor (ohnehin meist nur vermeintlicher) historischer Korrektheit haben. Und diese Szene ist unglaublich wichtig für die eigentliche Geschichte, denn die Nebenfigur Lee wird hier eingesetzt, um uns die Hauptfigur Cliff Booth näher zu bringen. Erst ab genau dieser Szene wissen wir, was für ein Badass dieser Typ ist, der es sogar mit Lee aufnehmen kann. Nur durch den Einsatz einer solchen Ikone, die jeder kennt, wird uns auch sofort und ohne weitere erklärende Worte klar, was Booth draufhat. Denn er kann mit diesem scheinbar unbesiegbaren Übermeister (fast?) mithalten. Die Arroganz von Lee hilft dabei, die Aura des Martial-Meisters trotzdem zu wahren. Nachdem er Booth bei der ersten Runde des Best-Of-3-Wettbewerbs spielend zu Boden schickt, ist er einfach ein bisschen überheblich.
Tarantino setzt die vielen Flashbacks in „Once Upon A Time… In Hollywood“ immer wieder ein, um die beiden Hauptfiguren – neben Booth noch Leonardo DiCaprios Rick Dalton – zu formen. Nur weil wir mit der Zeit ein so gutes Bild von Booth und Dalton gewinnen, funktionieren weitere Szenen. Nach und nach sieht man Booth ja durch diese Rückblenden mit anderen Augen, es wird einem klar, dass er kein Aufschneider ist, sondern ein gefährlicher Kampfhund, der auch über (wie die Lee-Szene illustriert) die entsprechenden scharfen Zähne verfügt. Was passiert, wenn der von der Leine gelassen wird, zeigt das Finale. Ohne groß darauf einzugehen: Gäbe es den nötigen Unterbau nicht, wäre dies nur selbstzweckhaft-brutaler Exzess. So ist es aber deutlich vielschichtiger als man auf den ersten Blick denken würde.
Die andere Seite von Bruce Lee
Die teilweise massive Kritik an Lees Darstellung verkennt übrigens völlig, dass das Duell mit Cliff Booth nicht die einzige Szene mit der Figur ist. Tarantino zeigt uns den Kampfsport-Superstar an anderer Stelle auch als geduldigen Lehrer. Allgemein lohnt es sich übrigens „Once Upon A Time… In Hollywood“ immer als Gesamtwerk im Kontext zu sehen und sich gerade nicht einzelne Szenen herauszugreifen und sich daran aufzuziehen.
Dann wird einem nämlich bewusst, wie verfehlt viele Vorwürfe gegen Tarantino in diesem Film sind (so auch die angebliche Frauenfeindlichkeit), weil der Film unglaublich komplex ist, Tarantino zum Beispiel am Ende Formen von Männlichkeit demaskiert und aufbricht statt zu sie zu feiern und auch zeigt, wie das alte Hollywood Platz machen muss für die neue Generation. Doch das sind Überlegungen für einen anderen Artikel…
"Once Upon A Time… In Hollywood": So viel Wahrheit steckt in Quentin Tarantinos Film