+++ Meinung +++
Sind die „Iron Sky“-Filme wirklich so dummer Trash, wie ihnen oft nachgesagt wird? Oder sind stattdessen einfach nur diejenigen dämlich, die über die Mond-Nazi-Saga urteilen, ohne ihr überhaupt eine Chance zu geben? Keine Sorge, ich will mich auf keine der beiden Seiten stellen, will weder Partei für die Fans vermeintlich „anspruchsvollerer Filme“ ergreifen, noch will ich mich auf die Seite jener schlagen, für die Filme erst dann interessant werden, wenn das gewöhnliche Kinopublikum längst die Augen überdreht - einfach nur, um das Anderssein zum Selbstzweck zu zelebrieren. Wenn ich mich schon auf eine Seite stellen muss, dann auf die des Kinos.
Denn völlig ungeachtet dessen, wie gut einem „Iron Sky 2: The Coming Race“ letztlich gefällt – und ja, ich hatte im Sinne eines Guilty Pleasure nochmal wesentlich mehr Spaß als mit dem Vorgänger -, bin ich der Meinung: Wir brauchen mehr Filmemacher wie Timo Vuorensola, die Filme wie „Iron Sky“ drehen und damit am Leben erhalten, wofür wir das Medium Film lieben – oder zumindest einst liebten.
Narrenfreiheit für Timo Vuorensola
Schon die Produktion des ersten „Iron Sky“-Films zog sich über Jahre – immerhin wurde der Film nicht mit einem riesigen Studio im Rücken produziert, sondern von ein paar Filmverrückten, die sich an die aberwitzige Idee von Nazis auf dem Mond heranwagten und dafür sogar ihr potentielles Publikum um finanzielle Unterstützung baten. Das Ergebnis: Eine immerhin 7,5 Millionen Euro teure Produktion und die Möglichkeit für Vuorensola, nichtsdestotrotz zu machen, wonach auch immer ihm der Sinn stand. Denn beteiligte Geldgeber wurden nur an Bord geholt, wenn der finnische Regisseur und Drehbuchautor dabei keine Kompromisse eingehen musste.
Hier gab es niemanden, der ihm stets über die Schulter blickte und ihn ermahnte. „The Coming Race“ schäumt geradezu über vor der künstlerischen Freiheit, die Vuorensola genießt - und das schlägt sich im Film mal positiv und mal negativ nieder. Letztlich geht es aber auch nicht darum, alles „richtig“ zu machen (denn was heißt das überhaupt?), sondern vielmehr darum, sich eben diese Freiheit zu bewahren - auch wenn das miteinschließt, Fehler machen zu können.
Filme dürfen, wie auch ihre Charaktere, ruhig Ecken und Kanten haben, dürfen „anders“ sein, ihrem Publikum den Boden unter den Füßen wegziehen und auch mal die Frage in einem auslösen: Was zur Hölle war das denn gerade? Dass es dazu aber vor allem im Kino immer seltener kommt, liegt nicht zuletzt auch an dem Risiko, dass Studios nicht (mehr) bereit sind, einzugehen.
Letztlich machen auch Filmschaffende ihren Job, um Geld zu verdienen. Das weiß auch der „Iron Sky“-Schöpfer, für den Geld aber nie Kreativität ersetzen kann. „Wenn ich einen Film in Amerika drehen würde, könnte ich das niemals so machen, wie ich will. Das weiß ich“, ließ uns der Finne kürzlich im Interview wissen. „Wenn jemand über dich bestimmen kann, dann sind das die Leute mit dem Geld“, so Vuorensola, der sichtlich froh ist, keinen Studioboss im Nacken sitzen zu haben.
In den 90ern konntest du noch einen verrückten Film drehen – und wenn er gut war, wollten ihn die Leute sehen.
Das Problem sei keineswegs ein Mangel an kreativen Köpfen, sondern schlicht das fehlende Vertrauen, das diese von Studios und Produzenten erhalten. „Sie könnten ja auch sagen 'Ja, das ist mal was anderes', aber das tun sie nicht“, so Vuorensola. „Stattdessen heißt es: ‚Kommen sie mit einer normalen Geschichte, dann bekommen sie den Zuschuss.“ Dieses Problem fiel mir bereits vor einigen Jahren in meiner österreichischen Heimat auf, als ich im Zuge der Diagonale mit Filmschaffenden unterschiedlichen Kalibers über die Finanzierung ihrer Projekte sprach. Der Konsens: Wer nicht ohnehin schon im Boot der großen Geldgeber sitzt, bekommt kaum Unterstützung – und wenn doch, profitieren Genrefilme als letztes davon.
Tradition vs. künstlerische Freiheit
Seit Jahren wird Hollywood Ideenlosigkeit vorgeworfen. Man würde dem Kino nichts mehr Neues hinzufügen, sondern bloß altbewährte Ideen aufwärmen. Ob das allerdings wirklich daran liegt, dass den Filmemachern dieser Welt die Ideen ausgehen, wage ich - wie auch Timo Vuorensola - zu bezweifeln. 2018 waren acht der zehn weltweit erfolgreichsten Filme Fortsetzungen (wenn man auch „Aquaman“ als solche sieht), 2017 waren es sogar neun - und ein Remake. Es liegt auf der Hand: Ein Großteil der Zuschauer will gar nichts „Neues“ sehen, nichts, das es noch nicht kennt, sondern löst vorwiegend dann ein Ticket, wenn er weiß, was auf ihn zukommt. Dass wir heute „Iron Sky 2“ im Kinoprogramm finden, gleicht in Anbetracht der jahrelangen Produktionsgeschichte fast einem Wunder und liegt weniger am Erfolg des ersten Teils, sondern nicht zuletzt an einer Finanzspritze aus Fernost, wo man an das Franchise glaubt und sich bereit zeigte, in dessen Zukunft zu investieren. Nur so kann sich Timo Vuorensola weiterhin auf der Spielwiese der Verschwörungstheorien austoben.
Wenn Filmemacher heutzutage Wagnisse eingehen, dann entweder mit so kleinen, oft selbstfinanzierten Filmen, die außerhalb ihrer Landesgrenzen und der Festival-Sphäre nur durch ein Wunder Aufmerksamkeit geschenkt bekommen (so geschehen mit „One Cut Of The Dead“) oder aber es sind namhafte Regisseure, denen die Studios ohnehin vertrauen. Selbst die sind allerdings nicht davor gefeit, an den Kinokassen unterzugehen, wenn sie sich auch nur ein Stück weit zu sehr von den allgemeinen Sehgewohnheiten entfernen – etablierte Filmemacher wie Guy Ritchie („King Arthur“) sowie Robert Rodriguez („Alita: Battle Angel“) können ein Lied davon singen.
Dass man besser fährt, wenn man auf Nummer sicher geht, haben in den letzten Jahren zahlreiche Filme unter Beweis gestellt. Jüngstes Beispiel hierfür ist „Captain Marvel“, der für MCU-Fans zwar solide Unterhaltung bieten mag, für mich aber wahrlich nichts zu bieten hat (ausgenommen von der unglaublichen digitalen Verjüngungskur von Samuel L. Jackson), das man nicht schon unzählige Male besser gesehen hat. Und? Der Film war bereits im Vorverkauf ein Hit - noch bevor ihn überhaupt jemand gesehen hatte.
Andere wie „Mortal Engines: Krieg der Städte“, „Cloud Atlas“, „Valerian - Die Stadt der tausend Planeten“ oder auch „John Carter - Zwischen zwei Welten“, die sich an etwas Neuem versuchten, scheiterten hingegen kläglich. Auch hier gilt: Ich spreche nicht von „gut“ oder „schlecht“, sondern überhaupt von der Bereitschaft, etwas noch nie Dagewesenes zu kreieren. Denn die eben erwähnten Mega-Flops sind vielleicht nicht makellos, bleiben aber (zumindest mir) mit Bildern oder Ideen im Gedächtnis, die ich so davor noch nie gesehen hatte. Und alleine deswegen sind diese Filme, auch wenn ich sie nicht alle mochte, eine Bereicherung für das Kino - eben genauso wie das „Iron Sky“-Universum.
Worum es wirklich geht
Bei all den kleinen Filmen, die es trotz ihrer Kreativität meist gar nicht erst ins Kino schaffen, kommt mir immer wieder ein Sprichwort in den Sinn: „Not macht erfinderisch.“ Denn nicht selten entsteht der Eindruck, als würde der Ideenreichtum von Filmemachern mit sinkendem Budget zunehmend steigen. Ausnahmen wie die Science-Fiction-Kracher aus dem vorangegangenen Absatz bestätigen die Regel. Dennoch, die Kinocharts der letzten Jahre zeigen, dass die immergleichen Filme nun mal die meisten Zuschauer anlocken. Warum also überhaupt noch auf originelle Stoffe setzen, zu denen die Menschen erst einen Bezug herstellen müssen? Es scheint ohnehin zu viel Aufwand, sich Neuem zu öffnen. Warum also einfach mal das Medium auf den Kopf stellen, seine Möglichkeiten erweitern und daran erinnern, dass Kino einst ein Symbol für Grenzenlosigkeit war? Die Leute wollen ohnehin nur das vorgesetzt bekommen, was sie bereits kennen. Aber, wer war eigentlich zuerst da: Das „ideenlose“ Hollywood oder das Publikum, das danach verlangte? Eigentlich egal.
Zugegeben, das alles mag vielleicht etwas überspitzt klingen, natürlich kann und soll auch nicht jeder Film das Rad neu erfinden. Ich will weder Popcorn-Kino verteufeln, noch Experimentalfilme anpreisen und es ohnehin verhindern, diese mittels Schubladendenken zu kategorisieren. Denn letztlich kann jeder Film gut oder schlecht, faszinierend oder langweilig, innovativ oder altbacken sein - egal wer ihn unter welchen Umständen macht. Ich will lediglich daran erinnern: Ihr seid Teil dieses Systems und beeinflusst mit euren Kinobesuchen letztlich die Filmlandschaft von morgen. Strömt in die heimischen Lichtspielhäuser, in die heiligen Hallen, in denen Popcorngeruch und quietschende Kinosessel ein Gefühl von Zuhause vermitteln, aber nicht blind, sondern mit Bedacht.
Lasst euch nicht bloß von kunterbunten Trailern vor dem Hauptfilm inspirieren, sondern nehmt euch auch mal eine Minute, um zu recherchieren. Nur so könnt ihr das fatale Umdenken von Filmemachern und vor allem der Produzenten stoppen, die den Querdenkern, den Nach-den-Sternen-Greifern und allen, die nicht mit dem Strom schwimmen, im Weg stehen – denn die nehmen dem Kino damit nicht nur den Reiz des Unbekannten, sondern schränken letztlich auch seine schier unendlichen Möglichkeiten ein. Auf dass es auch in Zukunft noch Filmemacher und Produzenten gibt, die uns Mond-Nazis, Killerreifen („Rubber“), Robo-Geishas oder zu Münzen zerspringende Ex-Freunde („Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“) an den Hals hetzen und uns damit auch in Zukunft zeigen, wie verrückt und wunderbar Kino eigentlich sein kann - weil Kreativität es wert ist, darin zu investieren.