Als Udo Kier 1944 in Köln geboren wurde, fielen die Bomben vom Himmel und legten das Krankenhaus in Schutt und Asche. Fast so unglaublich wie die Geschichte seiner Geburt ist auch die Karriere des inzwischen 74-jährigen Kultstars. Der hat seit seinen österreichischen Anfängen mit „Hexen bis aufs Blut gequält“, für den im Kino damals sogar Kotztüten ausgegeben wurden, nämlich so ziemlich alles erlebt, was man als Schauspieler überhaupt machen kann: Seine Filmographie umfasst inzwischen mehr als 250 (!) Auftritte in Filmen und Serien.
Er verkörperte Dracula und Frankenstein, stand für Filmemacher wie Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog oder Michael Bay vor der Kamera und zählt zu der Stammbesetzung von Skandal-Regisseur Lars von Trier. Auch jenseits der Siebzig steht er noch immer regelmäßig vor der Kamera, zuletzt etwa in dem hammerharten Genre-Brett „Brawl In Cell Block 99“, der österreichischen Dramedy-Serie „Altes Geld“ oder der Science-Fiction-Tragikomödie „Downsizing“ mit Matt Damon und Christoph Waltz.
Wir haben Genrefilm-Ikone und Allround-Schauspieler Udo Kier anlässlich seines neuen Films „Iron Sky 2: The Coming Race“ in Berlin getroffen und mit ihm über den Genuss, das Böse zu spielen, Dino-reitende Nazis und die Frage, was denn Kino überhaupt ausmacht, gesprochen.
Der Spaß am Bösen
FILMSTARTS: Du hast offenbar Spaß daran, böse Rollen zu spielen. Hattest du dann nicht bei „Iron Sky: The Coming Race“ den Spaß deines Lebens? Viel böser als ein Dino-reitender Hitler geht ja kaum noch…
Udo Kier: Das stimmt. Ich spiele das Böse mit Genuss. Wenn ich beispielsweise Christoph Waltz in „Inglourious Basterds“ sehe, da war ich wirklich ein bisschen eifersüchtig. Du kannst eine Pistole auf jemanden richten und sagen: „Ich werde dich jetzt töten!“ Du kannst dir die Pistole aber auch auf den Schoß legen, dir die Fingernägel saubermachen und sagen: „Wenn ich mit meinen Fingernägeln fertig bin, werde ich dich erschießen.“ Das läuft auf dasselbe hinaus, ist aber eben noch viel fieser. Es gibt da auch einen Film namens „Brawl In Cell Block 99“. Da wurde mir das Drehbuch geschickt und ich dachte mir in einer bestimmten Szene, das kann ich doch so nicht sagen. Ich kann doch nicht sagen, dass mein Chef einen Doktor kennt, der die Gliedmaßen von Föten noch im Mutterbauch abtrennt. Das geht einfach nicht. Dann haben wir das besprochen und uns entschlossen, dass ich das ganz entschuldigend und nett sage. Der Film lief dann bei den Filmfestspielen in Toronto und als ich diese Sätze sagte, waren alle im Kino so: „Woah.“ Und als ich zum Schluss erschossen werde, waren alle so: „Yeah!“. Zwischen böse und böse gibt es eben noch mal einen gehörigen Unterschied.
FILMSTARTS: Du spielst Hitler ja hier nicht zum ersten Mal. Macht das was mit dir, gerade in Bezug auf die unglaubliche Geschichte deiner Geburt oder siehst du das im Comedy-Kontext etwas lockerer?
Udo Kier: Dieser Film ist ja eine Satire - und ich habe noch nie ernsthaft einen Nazi gespielt. Ich habe Adolf Hitler für Christoph Schlingensief in „Die letzte Stunde im Führerbunker“ oder ihn als alte Frau verkleidet gespielt. Einen Nazi wie [Josef] Mengele oder [Adolf] Eichmann würde ich nicht spielen.
FILMSTARTS: Das heißt, es gibt auch Rollen, von denen du von vornherein sagst, dass du sie nicht spielen würdest? Man könnte ja meinen, wer vor der Kamera als Hitler auf einem Dinosaurier reitet, der ist für alles offen.
Udo Kier: Natürlich. Ich muss doch als Schauspieler in diese Person rein. Und warum soll ich denn in so einen Unmenschen? Da kann ich ja nachts nicht mehr schlafen.
Was ist eigentlich ein guter Film?
FILMSTARTS: Schon beim ersten „Iron Sky“-Film fand ich sehr spannend, dass er oft als Trash abgetan wurde. Würdest du sagen, „Iron Sky“ ist Trash? Was macht einen Trashfilm für dich aus?
Udo Kier: Für mich ist das kein Trash. Wenn ich zum Beispiel einen Film von John Waters sehe, das ist ja kein Trash. Das ist Kunst. Ich habe auch jahrelang mit Christoph Schlingensief gearbeitet und mit Andy Warhol „Dracula“ und „Frankenstein“ gedreht. Das war auch kein Trash. Trash sind für mich Filme, die aus purer Kalkulation hervorgehen und nur auf Effekte aus sind. Sowas würde ich auch gar nicht machen.
FILMSTARTS: Wie würdest du denn deine doch sehr vielseitige Karriere als Schauspieler beschreiben?
Udo Kier: Die Leute sagen immer: „Sie haben ja über 200 Filme gemacht.“ Da sage ich immer - und das meine ich auch so: Davon sind 100 Filme schlecht, 50 kann man mit einem guten Rotwein ertragen und 50 sind gut. Es gibt viele Filme, in denen ich mitspiele, die ich vergessen habe und viele habe ich auch gar nicht erst gesehen. Ich habe immer Spaß bei der Arbeit. Und manchmal habe ich Spaß und dann ist der Film nicht gut, aber dafür kann ich dann auch nichts, ich bin ja nicht der Regisseur. Mit Timo Vuorensola zu arbeiten, ist jedenfalls eine richtig gute Sache, weil er für Sachen offen ist. Der ist nicht so festgenagelt.
FILMSTARTS: Was macht für dich denn einen guten Film aus?
Udo Kier: Ich habe das Glück, dass ich mit Regisseuren gearbeitet habe, die keine schlechten Filme machen können. Gus Van Sant kann keinen schlechten Film machen. Lars von Trier kann vielleicht einen Film machen, den Leute nicht mögen, aber das heißt ja nicht, dass der Film schlecht ist. Wenn Fatih Akin bei der Berlinale „Der goldene Handschuh“ zeigt und die Leute sich ekeln, dann sind da viele auch überempfindlich. Wenn ich CNN-Nachrichten gucke, ist das viel brutaler als die meisten Filme.
FILMSTARTS: Was macht Kino für dich denn besonders?
Udo Kier: Als ich noch ein 13-jähriger Junge war, kriegte ich sonntags immer 50 Pfennig und durfte ins Kino. Ich hatte oft gar keinen Sitzplatz und stand dann im Gang und habe mir Piratenfilme mit Errol Flynn angesehen. Wenn man in so armen Verhältnissen aufwächst, ist das natürlich ein Zauber. Später war ich ja auch in Elizabeth Taylor verliebt, bei „Plötzlich im letzten Sommer“ oder „Telefon Butterfield 8“, das waren halt Erlebnisse. Ich war aber auch jetzt ein paar Mal im Kino. Ich kriege die Oscar-Filme ja auch zugeschickt, aber ich finde es ungerecht, Filme wie „Green Book“ oder auch Lady Gaga nur auf dem kleinen Monitor zu sehen. Da kann ich ja auch mal abschalten, mich rasieren gehen und dann weiter gucken. Dann gehe ich lieber ins Kino, weil mich das Kino gefangen nimmt in seiner Dunkelheit. Und die Geschichte ist dort gleich viel größer - sogar die Menschen sind oft größer als ich, zumindest in den Großaufnahmen. Das fasziniert mich, das ist Kino.
FILMSTARTS: Ganz faszinierend und absolut verrückt waren für mich auch einige Momente in „Iron Sky: The Coming Race“…
Udo Kier: … ich habe ja auch zwei Blondis im Film. Hitler hatte einen Schäferhund, der Blondi hieß. Und ich muss ja im Film zu dieser Konferenz mit Thatcher und Bin Laden und da habe ich gesagt, es wäre doch schön, wenn ich einen Hund hätte. Da meinte Timo, das ist wegen dem Tierschutz nicht so einfach. Und dann habe ich gesagt, nimm doch einen ausgestopften, dann nageln wir den an ein Brett mit vier Rädern und ich zieh den hinter mir und spreche mit dem Hund, ganz so als ob er lebt: „Blondi, komm!“ Aber ja, da musst du schon eine gewisse Freiheit und ordentlich Wahnsinn im Kopf haben, dass du mich dann auch noch auf einem Dinosaurier reiten lässt.
Über Talent, Hollywood und die Zukunft
FILMSTARTS: Du hast im Laufe deiner Karriere die unterschiedlichsten Filme gemacht - als „Hexen bis aufs Blut gequält“ damals ins Kino kam, wurden sogar Kotztüten verteilt. Würdest du sagen, die „Iron Sky“-Filme sind trotzdem das verrückteste Projekt?
Udo Kier: Also, das kommt natürlich auch immer auf die Zeit an. Als ich den Hexen-Film in Österreich gemacht habe, war diese Kotztüten-Nummer schon verrückt. Das war auch erst mein zweiter Film, mit Hexenverfolgung und tollen Schauspielern wie Herbert Lom und Olivera Vuco und ich war ganz neu dabei. Ich habe sogar noch 100 von diesen Kotztüten, die kosten heute 300 Euro.
FILMSTARTS: Und heute bist du einer der wenigen deutschen Schauspieler, die auch regelmäßig in Hollywood drehen…
Udo Kier: Ich wollte ja nie Schauspieler werden und war auch nie auf einer Schauspielschule. Ich habe immer von erfahrenen Schauspielern gelernt. Die Sache ist die: Talent ist etwas, das kannst du nicht lernen. Du kannst eine Technik erlernen, aber kein Talent. Lars von Trier sagt seinen Schauspielern am liebsten: „Don’t act“, du sollst nicht spielen. Und alle wollen mit ihm arbeiten, weil er halt ein grandioser Regisseur ist. Ich bin sehr froh, solche Leute kennengelernt zu haben. Ich habe zum Beispiel nie zu einem Regisseur gesagt: „Ich würde gerne mit dir arbeiten.“ Stell dir vor, du sagst das zu David Lynch und dann würde er sagen: „Wer nicht?“ Da würde ich ja vor Scham unterm Tisch versinken.
FILMSTARTS: Bald kommt dann ja auch noch das „Iron Sky“-Spin-off „The Ark - An Iron Sky Story“…
Udo Kier: Über „The Ark“ habe ich mit Timo aber nie wirklich gesprochen. Ich war dafür zwar in China und habe dort mit Andy Garcia gedreht und wir waren so etwas wie Grandmaster. Was das aber für ein Film wird und was die Chinesen mit der ganzen Mond-Sache zu tun haben, weiß ich nicht. Ich kenne das Drehbuch gar nicht. Timo hat mir das mal grob erzählt, aber wir sind da nur die internationale Besetzung. Die Hauptdarsteller im Film sind Chinesen.
„Iron Sky 2: The Coming Race“ läuft seit 21. März 2019 deutschlandweit im Kino.