Es dürfte sich herumgesprochen haben: Nach dem Ende eines Marvel-Films folgt eine kleine Szene als Rausschmeißer, jedoch erst nach dem Abspann wohlgemerkt. Gut zehn Jahre geht das schon so, seitdem Nick Fury (Samuel L. Jackson) im 2008 erschienenen „Iron Man” Tony Stark (Robert Downey Jr.) einen überraschenden Besuch abstattete. Die sehr kurze Szene, die auf das Ende der Credits folgte, entstand übrigens aus einem spontanen Jux heraus. Die vielleicht größte MCU-Tradition neben den Gastauftritten von Comic-Guru Stan Lee war also nicht Teil eines durchkalkulierten, genialen Plans, wie man bei so einem erfolgreich aufgebauten Franchise vielleicht vermuten könnte, sondern einfach nur ein Gag. Ein Gag, den damals in den Kinos kaum einer mitbekommen haben dürfte, wohlgemerkt, denn schließlich verlassen die meisten Zuschauer mit Beginn des Abspanns in der Regel den Saal.
Heute ist das anders, bei einem neuen Marvel-Film ist es quasi schon eine etablierte Verhaltensregel, sitzenzubleiben und das Ende des Abspanns abzuwarten, denn die Post-Credit-Szene ist ja gewiss. Dabei gab es den Film gewordenen Absacker schon sehr lange vor dem MCU: Im 1903 erschienenen „Der große Eisenbahnraub” setzte Edwin S. Porter die berühmte Aufnahme, in welcher der Räuber auf das Publikum schießt, einfach an das Ende des Films dran, ohne dass es irgendeinen Zusammenhang zur Geschichte gab. Ein ganzes Jahrhundert später hat sich das Medium Film stark verändert, doch die Szene nach dem Film ist längst etabliert und auch der neue „Ant-Man And The Wasp”, der seit dem heutigen 26. Juli 2018 hierzulande in den Kinos läuft, macht da keine Ausnahme. Wer schon vor dem Kinobesuch wissen will, wie die Abspannszene des Blockbusters aussieht, kann dies bereits nachlesen, alle anderen bleiben natürlich sitzen, sobald die Namen der Mitwirkenden über die Leinwand rollen. Außer mir, ich stehe auf.
Der Grund dafür ist eigentlich simpel, denn für mich ist ein Film zu Ende, wenn er nun mal zu Ende ist. Die letzte abschließende Szene, die allerletzte Einstellung, dieser finale Moment in dieser fiktionalen Welt, ist der Punkt, nachdem ich in die Realität zurückkehre. Ein Film ist ein abgeschlossenes Werk und wenn die Filmschaffenden noch etwas zu erzählen haben, dann sollten sie das auch vor Beginn der Credits tun. Nun dienen Post-Credit-Szenen häufig dazu, einen möglichen Nachfolger anzuteasern und Lust darauf zu machen und gegen solche kleine Häppchen zum Schluss oder gar einen Cliffhanger habe ich sogar im Prinzip nichts einzuwenden. Bei „Batman Begins” zeigte Regisseur Christopher Nolan jedoch, wie es richtig geht und platzierte die Ankündigung des Jokers für den Nachfolger noch in der Schlussszene des eigentlichen Films. Was bei Marvel eine Post-Credit-Sequenz gewesen wäre, bleibt somit Inhalt des Films und der Erzählung und behält dadurch seine Relevanz.
Bei den Marvel-Filmen wurde die Post-Credit-Szene dagegen längst zur Erfolgsformel gemacht. Das MCU ist eine Marke für sich und die obligatorischen Abspannszenen tragen ihren Teil dazu bei. So hängen alle Filme der Avengers, Spider-Man und Co. präzise miteinander zusammen und sind wie ein Uhrwerk miteinander verzahnt. Man könnte gar meinen, die Post-Credit-Szenen fungieren als Zahnräder, ohne welche das Gesamtprodukt nicht mehr richtig laufen würde. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist die Szene, die in „Avengers 3” nach dem Abspann folgt. Die teasert nicht nur den 2019 erscheinenden „Captain Marvel” an, sondern offenbart nebenbei noch den Tod von einigen wichtigen Figuren. Wenn der Zuschauer aber nach dem Film nicht gehen darf, um das wahre Ende nicht zu verpassen, dann läuft meiner Meinung nach etwas gewaltig schief. Wegen dem Abspann selbst, geschweige denn der Anerkennung der Filmschaffenden bleibt da jedenfalls keiner sitzen.
Wenn nichts mehr kommt
Der Film bekommt dadurch einen faden Beigeschmack und wirkt wie eine überlange TV-Episode, nach welcher ein „Das sehen Sie in der nächsten Folge” kommt. Beängstigend ist auch das Belohnungsprinzip, denn wie sagt man so schön: „Da kommt ja noch was.” Es grenzt schon an Lächerlichkeit, wenn Zuschauer, die zum Teil mit dem Film gar nichts anfangen konnten, trotzdem sitzenbleiben, einfach nur weil sie dafür noch eine zusätzliche Szene zu sehen bekommen, und sei sie noch so belanglos. Doch bleibt genau diese eben aus, ändert sich die Stimmung, denn wenn wir für unsere Bemühungen nicht belohnt werden und anschließend mit leeren Händen dastehen, dann frustriert uns das, während das zuvor Gesehene zur Nebensache gerät. Unvergessen bleibt für mich der Kinobesuch beim „X-Men”-Spin-off „Logan - The Wolverine”, bei welchem sich im Frühjahr 2017 der ganze Saal empörte, nachdem der Abspann wider Erwarten tatsächlich ohne Post-Credit-Szene zu Ende ging. Die Begeisterung über den Film, die kurz davor noch im Publikum spürbar war, war in einem Moment komplett verflogen.
Dass „Logan” trotz Marvel-Zugehörigkeit überraschenderweise kein Rausschmeißerfilmchen beinhaltete, liegt vor allem an der Richtlinie des Regisseurs: James Mangold verzichtet ähnlich wie Kollege Nolan auf dieses Mittel und meint sogar: „Einen solchen Film zu machen, wäre mir einfach nur fucking peinlich.” Auch wenn Mangolds Ausführungen ziemlich extrem ausfallen, liegt darin mehr Wahrheit, als man vielleicht glaubt. Der Filmemacher spricht bei Post-Credit-Szenen nämlich von einer Sucht und die scheint immer mehr Einzug in den Kinos zu halten. Neue Filme von Marvel, DC und Fox („Deadpool”) funktionieren ohne Abspannszenen teilweise ja wie gesagt schon gar nicht mehr und verkommen somit immer mehr zur Fließbandarbeit. Natürlich waren Filme schon immer letztendlich Produkte, bei denen es ums Geldverdienen geht, doch wenn dafür sogar die Immersion der Geschichte herhalten muss, macht das wenig Hoffnung auf die Zukunft des Kinos.
Ant-Man And The WaspEs bleibt nur die Flucht aus dem Saal, die sonst bei allen anderen Filmen ja im Publikum so üblich ist. Grundsätzlich bleibe ich allerdings bei einem Film immer gerne sitzen, auch dann wenn dieser eigentlich schon vorbei ist. Ausnahmen gibt es, etwa wenn der gesehene Film nun wirklich nichts getaugt hat oder die Begleitung partout nicht warten will. Doch warum sollte man eigentlich nicht sofort gehen? Ein Abspann gehört nun einmal zu einem Film dazu und vor allem hat der Produktionsstab es für mich einfach verdient, mit der Namensnennung für dieses Werk gewürdigt zu werden. Bei einer Filmproduktion wird ein immenser kreativer Aufwand betrieben, um einen Film auf die Leinwand zu bringen. Über diesen Aufwand sind sich viele Zuschauer gar nicht im Klaren. Alleine, um zu erahnen, für welche Aufgabe wie viele Personen benötigt wurden und die Entstehung einer solchen Produktion besser nachzuvollziehen, lohnt es sich beim Abspann sitzen zu bleiben.
Credits bieten persönliche Easter Eggs
Manchmal gibt es im Abspann aber auch einfach interessante Entdeckungen zu machen. Ich habe etwa schon den einen oder anderen Bekannten aus Studientagen erspäht, der es offenbar beruflich zu einer Anstellung bei einer angesehenen Firma für visuelle Effekte geschafft hat (für diese Abteilung schaut Hollywood ohnehin seit geraumer Zeit gerne nach Deutschland hinüber). Für mich ist es zudem interessant zu erfahren, mit welcher Kameratechnik ein Film auf die Beine gestellt wurde, was ganz am Ende eines Abspanns häufig verraten wird. Auch dass David Finchers „Gone Girl” mit einem für eine teure Hollywood-Produktion eher unüblichen Schnittprogramm wie Adobe Premiere geschnitten wurde, hätte ich ohne Sitzenbleiben vielleicht nie erfahren.
Doch auch ohne diese Fülle an Informationen kann ein Abspann faszinierend sein. Manche Filme schaffen es etwa auch, derart zu beeindrucken, dass man sie noch ein bisschen nachwirken lassen will. Oft liegt das auch an dem Einsatz ganz besonderer Musik, die den Zuschauer noch einmal so richtig in ihren Bann zieht. Ein Effekt, den ich vor allem in Denis Villeneuves Meisterwerk „Blade Runner 2049” letztes Jahr beobachten konnte, als sich im Kino wirklich kein einziger Zuschauer während der Credits von seinem Platz erheben wollte, einfach nur weil der Film so eine immense Sogkraft besaß. Credit-Sequenzen können zudem auch visuell herausstechen wie zum Beispiel der Abspann von „Sherlock Holmes” mit seinen gezeichneten Szenenbildern oder dem von „Harry Potter und der Gefangene von Askaban”, der in Form der Karte des Rumtreibers daherkommt.
Vom Aussterben bedroht: Credits vor dem Film
Da aber selbst die beeindruckendste Credit-Sequenz aufgrund massiver Publikumsflucht kaum wahrgenommen wird, stellen viele Filmemacher ihren Abspann einfach an den Anfang des Films und hier zeigt sich auf einmal eine ganz andere Wahrnehmung: Die berühmten Intros der „James Bond”-Reihe, die beklemmende Eröffnung von „Alien” oder die stylische Sequenz zu Beginn von David Finchers „Sieben”, die sogar die Morde des Serienkillers quasi vorweg nimmt – all diese kultigen Sequenzen sind nichts anderes als an den Anfang platzierte Abspänne, die heute wohl kaum so einen Status genießen würden, wären sie ganz normal am Ende des Films gelaufen. Der Abspann war ohnehin in der Filmgeschichte einst in Wirklichkeit ein Vorspann. Bis Ende der 1960er Jahre war es noch Gang und Gäbe, die Namen der Mitwirkenden vor dem Film zu zeigen, denn schon damals war man sich bewusst, dass sie sonst wohl kaum jemand lesen würde. Erst in den 1970er Jahren wurden die „End Credits” so richtig salonfähig.
Heute hingegen bleiben wir wieder sitzen, weil man uns ein Souvenir verspricht, dass wir anschließend aus dem Film mitnehmen können. Damit wir nicht doch in Versuchung kommen, vorher aufzustehen, kommen die Marvel-Filme nun sogar mit bis zu fünf (!) Häppchen-Szenen aus, die wie bei „Guardians Of The Galaxy Vol. 2” über den Abspann verteilt werden. Wie sehr uns die Verantwortlichen damit eigentlich übers Ohr hauen, haben sie sogar quasi schon selbst zugegeben und zwar mit der Meta-Post-Credit-Szene aus „Spider-Man: Homecoming”, die wesentlich cleverer und subtiler als die ähnlich gelagerte Abspannszene aus „Deadpool” ist:
UPDATE: In einer früheren Version dieses Artikels behaupeten wir, Christopher Nolan hätte 2014 einen Seitenhieb gegen Marvels Post-Credit-Szenen-Strategie ausgeteilt. Der Regisseur hat seine Aussage später jedoch als falsch zitiert bezeichnet. Dass „ein richtiger Film so etwas nicht machen würde”, habe er demnach so nie gesagt. Wir haben den Artikel daher in diesem Punkt korrigiert.