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    "Fight Club"-Mastermind bekam "Harry Potter" angeboten – doch so anders als die "saubere Hollywood-Version" sollte sein Film werden
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Seit mehr als 20 Jahren schreibt Björn Becher über Filme und Serien. Hier bei FILMSTARTS.de kümmert er sich um "Star Wars" - aber auch um alles, was gerade im Kino auf der großen Leinwand läuft.

    Der für düstere Meisterwerke wie „Sieben“ und „Fight Club“ bekannte David Fincher enthüllte nun, dass ihm einst „Harry Potter“ angeboten wurde. Doch sein Vorschlag verstörte die Hollywood-Studiobosse wohl nachhaltig.

    Warner Bros.

    In einem Interview mit Variety blickte David Fincher auf die Zeit zurück, als ihn die Bosse von Warner einluden, um ihn zu fragen, wie er „Harry Potter“ machen würde. Es muss sich um eine Zeit gehandelt haben, bevor dann Chris Columbus „Harry Potter und der Stein der Weisen“ ins Kino brachte und damit die Saga so eröffnete, wie wir sie heute kennen. Dass Fincher nicht den Zuschlag bekam, wissen wir. Es verwundert nicht, wenn wir uns anschauen, was er laut eigener Aussage damals vorgeschlagen hat.

    „Ich möchte nicht die saubere Hollywood-Version machen. Ich will etwas, das viel mehr wie ‚Withnail & I‘ aussieht, und ich möchte, dass es irgendwie gruselig ist“, wiederholt Fincher im Variety-Interview seinen damaligen Pitch. Wer den herausragenden britischen Kultfilm „Withnail & I“ (4,5 Sterne hier auf FILMSTARTS.de) gesehen hat, kann sich womöglich vorstellen, was für eine schräge „Harry Potter“-Version Fincher im Sinne hatte. Schauen wir also darauf, was der Regisseur mit diesem Vergleich gemeint hat und wie ein von ihm inszenierter „Harry Potter“-Film hätte aussehen können...

    Finchers Vorbild für "Harry Potter": Schräger Kultfilm und ungeschönte Charakterstudie

    Der Film „Withnail & I“ von 1987, geschrieben und inszeniert von Bruce Robinson, gilt als Kultklassiker des britischen Kinos. Er erzählt die Geschichte zweier arbeitsloser Schauspieler, Withnail und Marwood, die im London der späten 1960er Jahre leben. Mit schwarzem Humor und bitterer Ehrlichkeit zeichnet der Film ein düster-komisches Bild von Freundschaft, Verzweiflung und Existenzängsten. Die titelgebenden Figuren, gespielt von Richard E. Grant und Paul McGann, verbringen ihr ereignisloses Leben mit Alkohol sowie anderen Drogen und flüchten schließlich vor ihrer tristen Realität aus London aufs Land. Allerdings ist es dort nicht wirklich besser, sondern es warten nur neue Absurditäten und Herausforderungen auf sie.

    Stilistisch ist „Withnail & I“ weit entfernt von der Hochglanzästhetik Hollywoods. Die Kameraarbeit ist schlicht, oft intim. Schauplätze sind heruntergekommene Apartments oder regennasse Landschaften. Statt von einer klassischen Handlung wird der Film von grandiosen Dialogen vorangetrieben und nimmt sich viel Zeit, die inneren Konflikte der Figuren zu erkunden. Der an den Kinokassen damals übelst gefloppte Film lebt von seiner düsteren Atmosphäre.

    Was bedeutet Finchers Vergleich für seine Vision von "Harry Potter"?

    Aus der Aussage Finchers, dass er „etwas wie ‚Withnail & I‘“ machen wollte, kann man herauslesen, dass er sich eine radikal andere Herangehensweise vorgestellt hatte, als sie dann Chris Columbus in Angriff nahm und die Alfonso Cuarón, Mike Newell und David Yates mit ihren eigenen Vorstellungen fortsetzen. Auch da gibt es – gerade bei Cuarón – durchaus Raum für Düsternis, am Ende bleibt es aber immer eine märchenhafte Hollywood-Ästhetik.

    Unserer Meinung nach deutet der Vergleich an, dass Fincher die magische Welt mit einem kälteren, realistischeren Auge betrachtet hätte. Wir stellen uns vor, dass er Figuren wie Harry, Ron und Hermine deutlich weniger idealisiert hätte, als sie es in den nun vorhandenen Filmen sind. Schließlich ist gerade die Figurenzeichnung einer der Punkte, für die „Withnail & I“ bekannt ist. Hier hätte es bei Fincher womöglich eine stärkere Betonung auf innere Konflikte und moralische Grauzonen gegeben.

    Wenn wir uns an die Schauplätze des britischen Kultfilms erinnern, wäre Hogwarts womöglich bei Fincher auch ein noch unwirtlicherer und unheimlicherer Ort gewesen. Sein Verweis auf „etwas Gruseliges“ deutet zudem an, dass bei ihm die dunkleren Aspekte der Vorlage – von der Einsamkeit Harrys über die Schrecken der Todesser hin zur unheimlichen Verbindung des Zauberschülers zu Voldemort – früher und stärker in den Vordergrund gerückt worden wären.

    Kein Wunder, dass Warner ablehnte

    So ist es kein Wunder, dass Hollywood-Studio Warner Bros. sich gegen Finchers radikale Vision entschied. Im Variety-Interview erklärt der Regisseur so, dass das Studio andere Vorstellungen hatte und ihm sagte: „Wir wollen Thom-Browne-Schuluniformen durch die Linse von ‚Oliver‘“.

    Der Verweis auf die stilisierten Internatsuniformen von Thom Browne und das familienfreundliche Musical ‚Oliver‘ verdeutlicht, wie stark sich Warners Vision von Finchers Vorstellung unterschied. Gerade der laut Fincher hier genannte Vergleichsfilm zeigt, dass Warner (zumindest laut der Rekapitulation des Kult-Regisseurs) eher schöne Bilder als düstere Töne vorschwebten. Denn „Oliver“ ist eine freie Adaption des Romanklassikers „Oliver Twist“ von Charles Dickens. Das mehrfach oscarprämierte Musical ist ein gefeierter Film, der aber fast jegliche Düsternis und Sozialkritik aus der Vorlage getilgt und durch technisch perfekt inszenierte, rührende Unterhaltung ersetzt hat.

    Allerdings passt das natürlich besser zur trotz aller Spannung dann doch eher märchenhaft-charmanten Atmosphäre der „Harry Potter“-Vorlage. So dürften viele Fans der Erfolgsreihe froh sein, dass Finchers Version abgelehnt wurde. Dessen ungedrehter „Harry Potter“-Film bleibt so ein faszinierendes Gedankenspiel, ein klassisches „Was wäre, wenn“ der Filmgeschichte.

    Zum Abschluss dieses Artikels haben wir noch den Trailer zu „Withnail & I“ für euch und empfehlen euch, den bei Amazon Prime Video im Abo verfügbaren Film, unbedingt mal anzuschauen.

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