Für einen in Deutschland wenig beachteten Mix aus Erotik, Satire und Parodie auf melodramatische Romanzen hat dieser Film überraschend viele Titel: Penélope Cruz' kontroverses Leinwanddebüt wurde bereits als „Jamón Jamón“, „Lust auf Fleisch“ und „ Jamón Jamón – Sex, Lügen & Schinkenspeck“ betitelt. Eines ist ihm aber jahrzehntelang nicht gelungen: Der Sprung ins digitale Heimkino-Zeitalter! Denn seit seiner Veröffentlichung auf Videokassette ist der pikante Publikumsspalter quasi auf Tauchstation gegangen...
... von gelegentlichen TV-Ausstrahlungen abgesehen. Jetzt hat das Warten ein Ende: Die Satire ist seit dieser Woche als „Jamón Jamón – Lust auf Fleisch“ erstmals auf Blu-ray und DVD erhältlich.
Wer neugierig auf den mit Javier Bardem, allerhand nackter Haut und abstruser Gewalt aufwartenden Film ist, sollte eher früh als spät zuschlagen: „Jamón Jamón“ ist in Deutschland derzeit auf keiner der üblichen Streamingplattformen zu finden – und die neuen Veröffentlichungen gibt es laut Verleih bloß in limitierter Stückzahl!
"Jamón Jamón": Blechhoden, Schinkenkeulen und roher Knoblauch
José Luis (Jordi Mollà) ist Sohn eines Unterhosenfabrikanten (Juan Diego) und hat die Näherin Silvia (Penélope Cruz) geschwängert. Daher verspricht er, sie bald zu heiraten. Er hat allerdings eine harte Nuss zu knacken: Seine Mutter Conchita (Stefania Sandrelli) ist gelangweilt und fühlt sich unattraktiv. Deshalb mischt sie sich mit einem Mix aus übertriebener Fürsorge und aus Langeweile geborener Gemeinheit in sein Liebesleben ein – und da sie Silvia als unwürdig erachtet, will sie das Paar auseinandertreiben.
Also heuert sie Raúl (Javier Bardem) an, ein Unterwäschemodel, das nichts im Oberstübchen mitbringt, dafür umso mehr in der Hose vor sich herträgt. Raúl bekommt den Auftrag, Silvia zu verführen – eine Aufgabe, die er mit Leichtigkeit erledigt. Trotzdem vergnügt er sich nebenher mit Conchita. Ulkigerweise hintergeht José derweil seine Angebetete mit deren Mutter Carmen (Anna Galiena), der Betreiberin eines Sexlokals...
Mit diesem 4K-Laser-Beamer holt ihr euch die Zukunft ins Wohnzimmer – und das aktuell 25 Prozent günstiger!Regisseur Bigas Luna war zu seinen Lebzeiten dafür bekannt, spätere spanische Superstars zu entdecken und zu fördern. Zugleich war er berühmt-berüchtigt dafür, dass seine Filme vor Sex und Gewalt überkochen – mal erotisch-sinnlich, mal obsessiv-plakativ, manchmal alles zugleich. „Jamón Jamón“ ist da keine Ausnahme!
Erwartungsgemäß führte das dazu, dass der Genremix die Gemüter spaltete. Während Teile der Filmpresse den massiv überzeichneten Blick auf Spanien witzig und bissig fanden, schüttelten andere erschüttert den Kopf: Machos, die ständig rohen Knoblauch mampfen und ihre Wut an den Blechhoden einer Stierstatue auslassen oder dadurch, sich zu entblößen und einander mit Schinkenkeulen zu vermöbeln, sind halt nicht jedermanns Humor.
Filmdienst etwa bemängelt den Film als ein auf „erotischer Flamme köchelndes Melodram“. Weiter kritisiert die Publikation, der Film vertrete die Aussage, dass „alle Frauen Mütter und Huren und alle Männer Machos und Schlappschwänze in einem sind.“ Für Kritikerlegende Roger Ebert war „Jamón Jamón“ dagegen eine vergnügliche Verschmelzung aus „grellem Melodrama voll mit absoluten Unwahrscheinlichkeiten, sinnlicher Seifenoper mit herzlicher Romanze und munterer Satire mit respektlosen Ferkeleien“.
Ja, geht das heute denn noch?
Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung wiederum urteilte in einer rückblickenden Kurzkritik, dass der spanischen Satire-Schinken „roh und saftig“ sei – sowie „so sexy, dass der Bildschirm flirrt.“ Dabei kommt sie zum Fazit: „Ihn heute so zu drehen, wäre nicht mehr möglich. Aber anschauen darf man sich das noch.“
Einer der größten Helden aller Zeiten kommt ins Streaming-Abo: Erster Blick auf neuen "Zorro" enthülltDer Verfasser dieses Artikels würde indes die Implikation, Humor wie in „Jamón Jamón“ wäre nun unmöglich, nicht vollauf unterstreichen: Schmerzlich-deftige übertreibende Satiren auf unsinnige Geschlechterrollen und sonderbare, soziokulturelle Selbstverständnisse gehen noch immer. Auch mit faszinierend-unsympathischen Figuren und unbequemen Situationen – das bewiesen in den vergangenen zehn Jahren etwa die für den Oscar nominierten Satiren „Wild Tales“ und „Triangle Of Sadness“.
Natürlich sind diese Filme nicht exakt mit „Jamón Jamón“ zu vergleichen – doch welchen Sinn würde es heute noch ergeben, sich weiterhin haarklein an Klischees der frühen 1990er abzuarbeiten? Was sich allerdings in der Filmindustrie allmählich ändert, sind die Drehbedingungen!
Cruz lobte „Jamón Jamón“ 2017 gegenüber Esquire zwar als „etwas Besonderes“, „überaus einzigartig“ und „so klarsichtig, so mutig, so erfrischend – und ja, sehr sexy“. Allerdings betonte sie auch, dass sie wegen ihrer Nacktszenen extrem nervös war. Aufgrund dessen erteilte sie nach „Jamón Jamón“ vorübergehend selbst Projekten mit züchtigeren Kussszenen eine Absage.
Endlich wieder im Heimkino: Dieser fesselnde Mindfuck-Thriller hat Natalie Portman über Umwege zu ihrer besten Rolle geführtDurch ein neues Bewusstsein dafür, dass sich Schauspieler*innen beim Dreh von Nackt- und Sexszenen unsicher fühlen und entsprechende Hilfe bei deren Planung und Durchführung benötigen, werden nunmehr bei vielen Produktionen spezielle Intimitätskoordinator*innen eingesetzt. Die können selbstredend keine plötzlichen Karriereängste aus der Welt schaffen, aber dem Cast sehr wohl sprichwörtlichen Druck von den Schultern nehmen und ein Gefühl der Sicherheit verleihen.
Davon hätte die damals 18-jährige Cruz gewiss profitiert! Im Esquire-Interview betonte sie wohlgemerkt, dass sie sich beim „Jamón Jamón“-Dreh während der Sexszenen immerhin auf ein „sehr respektvolles“ Umfeld verlassen konnte. Und gerade, weil sie so überzeugt von „Jamón Jamón“ war, habe sie am letzten Drehtag geweint:
Sie hatte Angst, es bliebe ihr einziger Film, obwohl sie dieses Erlebnis wiederholen und ihre Ko-Stars wiedersehen wollte. Dass Cruz' Esquire-Interview häufig lückenhaft zitiert wird, sodass der Eindruck entsteht, der Dreh ihrer Nacktszenen hätte sie zum Weinen gebracht, ist dann wohl Stoff genug für eine andere Filmsatire.
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