Überlebenskampf im U-Boot
Von Oliver KubeDer Alltag in einem Unterseeboot ist selbst in Friedenszeiten immer eine Extremsituation. Aber gerade die eigenen sich ja in der Regel besonders gut als Ausgangspunkt für spannende Filme. Die starke räumliche Begrenzung sorgt für Intensität und die allgegenwärtige Lebensgefahr für eine aufgeheizte Atmosphäre. Schließlich trennen die Menschen im Inneren dieser schwimmenden Särge nur wenige Zentimeter Stahl vom sicheren Tod in der eisigen, dunklen Tiefe des Meeres. „Das Boot“ und „Jagd auf Roter Oktober“ zählen zu den besten Belegen dafür. „Das Fest“-Regisseur Thomas Vinterberg fügt dem U-Boot-Sub-Genre mit seinem paneuropäisch besetzten Thriller-Drama „Kursk“ nun einen weiteren Beitrag hinzu, der erstaunlicherweise komplett ohne Feindbeschuss auskommt. Die Story basiert dabei auf einer wahren Begebenheit, die der US-amerikanischen Autor und Journalist Robert Moore in seinem Sachbuch „A Time To Die“ aufgearbeitet hat.
Im August 2000 nimmt die nuklear angetriebene Kursk an einem Manöver der russischen Nordflotte in der Barentssee teil. Da explodiert ein instabiler Torpedo an Bord und zerstört große Teile des schnell sinkenden U-Boots. Nur einige wenige Männer um Kapitänleutnant Mikhail Averin (Matthias Schoenaerts) können sich in einem unbeschädigten Abschnitt behelfsmäßig vor den Wassermassen verbarrikadieren. Ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit hoffen sie auf baldige Rettung. Doch die russische Marine ist gnadenlos unterfinanziert. Die technischen Möglichkeiten ihres letzten, maroden Bergungsbootes reichen nicht aus. Sie hören die Eingeschlossenen zwar verzweifelt klopfen, können sie aber nicht erlösen. Der britische Commodore David Russell (Colin Firth) bietet seinem Freund, Admiral Gruzinsky (Peter Simonischek), die Hilfe der NATO an. Gruzinsky wird von seinen Vorgesetzten (u. a. Max von Sydow) allerdings gezwungen, das Angebot abzulehnen. Derweil werden Averins Ehefrau Tanya (Léa Seydoux) und weitere Familienangehörige der Seeleute komplett im Dunkeln gelassen, was die Lage ihrer Liebsten betrifft...
Die Briten wollen helfen
Obwohl die knapp zwei Dutzend Überlebenden der fatalen Explosion an Bord der Kursk nur in einem einzigen Raum eingeschlossen sind, stellt sich beim Zuschauer nur bedingt ein klaustrophobisches Gefühl ein. Zu groß ist dieses sich auch vertikal über mehrere Ebenen erstreckende Segment am Heck des Unterseebootes. Oft zu weit entfernt von den Protagonisten, zu häufig in der Totalen präsentiert uns der für „Slumdog Millionär“ mit einem Oscar ausgezeichnete Kameramann Anthony Dod Mantle seine Bilder. So muss Vinterberg die ultimative Dringlichkeit hauptsächlich mittels immer dunkler werdender Ausleuchtung vermitteln. Was nur bedingt und längst nicht so effektiv gelingt wie etwa in Kevin Macdonalds „Black Sea“. Die Aussichtslosigkeit der Situation an Bord der Kursk wird hier vor allem anhand der fahlen, fast weißen Gesichter der glaubhaft immer erschöpfter und verzweifelter aussehenden Darsteller deutlich.
Der neben dem charismatischen Belgier Matthias Schoenaerts („Red Sparrow“) hauptsächlich aus Skandinaviern wie Magnus Millang („Erbarmen“) oder Gustaf Hammarsten („Lords Of Chaos“) und deutschsprachigen Akteuren á la August Diehl („Der junge Karl Marx“), Joel Basman („Es war einmal Indianerland“) sowie Pit Bukowski („Babylon Berlin“) zusammengesetzte Cast an Bord des Schiffes gibt sein Bestes. Wirklich die Luft anhalten tut der Zuschauer aber speziell in einer hervorragend inszenierten Unterwasserszene: Die Hauptfigur muss in einen komplett überfluteten Teil des Wracks zurückkehren, um Sauerstoffpatronen zu finden, die die Chancen der Männer um einiges verbessern könnten. In dieser etwa dreiminütigen Sequenz ist die Spannung am größten und die Gefahr visuell so unmittelbar umgesetzt, wie man es sich an anderer Stelle auch häufiger gewünscht hätte.
Die ausgebremste Intensität ist der mit Abstand größte Kritikpunkt an dem Film, der die Rettungsbemühungen von der Wasseroberfläche beziehungsweise die größtenteils fiktionalisierten Schicksale der Familien an Land ansonsten gut bis sehr gut realisiert und auch die den einzelnen Handlungssträngen zugewiesene Screentime gut ausbalanciert. Ein weiterer Punkt wäre der kompositorisch zwar einmal mehr brillante, im Zusammenspiel mit den Bildern aber gelegentlich zu verträumte und verspielte Score von Alexandre Desplat (Oscargewinner für „Shape Of Water“). Seine wechselnd von Klavier, Streichern, Akustikgitarre und elektronischen Elementen geführten Stücke muten in diesem Rahmen schon mal unpassend beschwingt an und arbeiten so gegen die eigentlich gewünschte Stimmung. Am besten funktioniert die Arbeit des Franzosen dann, wenn er auf clevere Weise Averins Klopfsignale (Tock, tock, tock, tock) an die Hülle des U-Boots in Ambient-Klänge einbaut. Hier erzielt Desplat den exakt passenden Effekt und verleiht den verzweifelten Vorhaben der mit Sonaren arbeitenden Helfer, die den da draußen zeigen wollen, dass es im Inneren noch Leben gibt, eine zusätzliche Dramatik.
Apropos Musik: Sehr gelungen ist der Einbau eines Songs über die Verbundenheit und Solidarität unter Seeleuten - über Nationalitäten und Ideologien hinaus - in die Handlung. Illustriert „The Sailor’s Band“ (zur Melodie von „O Tannenbaum“) doch nicht nur die familiäre Beziehung der Crew der Kursk, sondern erklärt zugleich auch die unbedingte Motivation von Commodore Russell, den Eingeschlossenen, die ja eigentlich seine Gegenspieler sein sollten, zur Seite eilen zu wollen. Die Mannschaft singt das Lied einmal zu Beginn an Land, in der lockeren Atmosphäre der Hochzeit einer von Matthias Schweighöfer („100 Dinge“) gespielten Figur vor dem Auslaufen. Und später dann erneut in deutlich angespannterer Situation unter Wasser. Das Intonieren eines englischsprachigen Liedes von russischen Soldaten kann von Fans des U-Boot-Subgenres zudem als gelungene Verneigung vor „Das Boot“ verstanden werden. In Wolfgang Petersens Meisterwerk schmettert die Besatzung des titelgebenden U-96 der deutschen Kriegsmarine ebenfalls zweimal das britische Marschlied „It's A Long Way To Tipperary“ – übrigens zu einer Aufnahme des Chors der Roten Armee.
Auch Matthias Schweighöfer gehört zum Cast von "Kursk"
In diesen Momenten wird es vielleicht nur unterschwellig angedeutet, aber immer wieder schimmert an anderen Stellen auch klarer durch, dass Vinterberg und das von Robert Rodat („Der Soldat James Ryan“) verfasste Drehbuch beklagen, welch große Chance zur Völkerverständigung während der andauernd präsenten Nachwehen des Kalten Kriegs während dieser Tage in der Barentssee vergeben wurde. Mal ganz abgesehen davon, dass die jungen Soldaten mit einer sofortigen Kooperation womöglich noch zu retten gewesen wären. Die offene, plakative Missbilligung der Weigerung führender Moskauer Militärs, internationale Hilfestellung anzunehmen – ob nun aus geheimdienstlichen Überlegungen oder aus Angst vor Gesichtsverlust auf globaler Bühne – mag mancher als Überdramatisierung oder gar als Russophobie empfinden. Doch für wen, wenn nicht für die unter Wasser eingeschlossenen Männer, sollte „Kursk“ sonst Partei ergreifen? Die Aufführungsrechte für Vinterbergs bisher mainstreamtauglichstes Werk wurden laut dem Regisseur übrigens auch an einen russischen Verleih verkauft, der bisher allerdings keinen Starttermin bekannt gegeben hat. Es dürfte interessant sein zu beobachten, wie die zu gleichen Teilen traurig und zornig machende Verfilmung der Ereignisse von 2000 vom dortigen Publikum aufgenommen wird.
Fazit: Nicht alles funktioniert bei diesem Thriller-Drama. Doch die Umsetzung der wahren Katastrophe vermag – trotz bekannten Ausgangs – über weite Strecken dennoch zu fesseln, zu berühren und die Gemüter zu erhitzen.