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    Tabu - Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tabu - Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden
    Von Andreas Günther

    Eine freie Interpretation der leidenschaftlichen Liebe zwischen dem expressionistischen Dichter Georg Trakl (1887-1914) und seiner Schwester Margarethe (1891-1917) sollte es werden. Ganz in diesem Sinne werden sich bei „Tabu – Es ist die Seele...ein Fremdes auf Erden" Deutschlehrer die Augen reiben und Germanistikprofessoren die Haare raufen. Während Regisseur Christoph Stark und Drehbuchautorin Ursula Mauder mit Sex-Szenen zwischen Georg und Margarethe nicht gerade geizen, bezweifelt die Forschung, dass der zwangsneurotische Poet überhaupt jemals Geschlechtsverkehr hatte, von Inzest ganz zu schweigen. Entstanden ist entsprechend auch keine Film-Biografie, sondern ein mit dem historischen Material spielendes psychologisches Drama und ein bürgerliches Sittengemälde in der Art von James Ivory („Wiedersehen in Howards End"), in dem es um den Konflikt zwischen Trieb und Moral, Drang und Norm, heißem Verlangen und bittersüßem Versagen geht. Der individuelle Antrieb der beiden Hauptfiguren und speziell das Inzestmotiv wird allerdings nicht überzeugend herausgearbeitet und bleibt im Obskur-Spekulativen stecken.

    Salzburg, 1910: Die junge Margarethe „Grete" Trakl (Peri Baumeister) aus gutbügerlichem Hause gilt als hochbegabte Pianistin. Gefördert wird sie von ihrer Mutter (Petra Morzé), die Grete zugleich von ihrem Bruder Georg (Lars Eidinger) fernhalten will. Wichtiger als ihre Karriere ist Grete jedoch die Nähe zu „Schuschi", wie sie Georg zärtlich nennt. Als sie in die Meisterklasse von Musikprofessor Albert Brückner (Rainer Bock) am Wiener Konservatorium aufgenommen wird, ist sie dann endlich mit dem Bruder vereint – denn Georg studiert in derselben Stadt Pharmazie, arbeitet als Apotheker, versucht sich als Dichter und gibt sich selbstzerstörerischen Exzessen hin, denen bloß sein Studienkamerad Ludwig Schubeck (Rafael Stachowiak) Einhalt gebieten kann. Als der platonischen Intimität zwischen Bruder und Schwester dann die körperliche folgt, versucht Georg, sich der unlauteren Verführung zu entziehen, indem er Grete in eine Ehe mit Brückner drängt. Die erwartet derweil jedoch ein Kind...

    Nicht ohne meinen Bruder: Im Mittelpunkt des Films steht weniger Georg, sondern vielmehr Grete Trakl, die hier als missbrauchte Muse dargestellt wird. Der Inzest ist es, so die Deutung von Regisseur Stark und Autorin Mauder, der Georg Trakl so genial düstere Verse aus der Feder fließen lässt. Und Georg, den Lars Eidinger („Alle Anderen", „Was bleibt") als zielstrebigen Karrieristen gibt, heimst gerne den Ruhm ein. Als Zeichen seines gesellschaftlichen Aufstiegs trägt er elegante dreiteilige Anzüge, stolz vermeldet er die tollen Verkaufszahlen seines Gedichtbändchens und liest vor gutsituierten Damen mit Spitzenkragen, die entzückt applaudieren, aus seinen Werken. Die Muse aber wird nachdem sie ihre Schuldigkeit getan hat, abserviert, kaltgestellt mit einem bornierten Bildungsbürger von Ehemann. Genau gegen diese patriarchalischen Machtgefälle lehnt sich Grete auf.

    Mit makellos-anmutiger Gestalt und sanftem Profil, aber auch feurigem Aufruhr im Blick und erotischem Ungehorsam nimmt Peri Baumeister („Russendisko") das Publikum für Gretes Sache ein. Sie gleicht in ihrer Haltung den schönen Rebellinnen (und Rebellen), die in den ästhetisch schwelgerischen historischen Leinwand-Dramen von James Ivory den Seufzer ungestillter Leidenschaft im Busen tragen. An solchen gesellschaftskritisch geprägten Produktionen wie „Maurice" oder „Zimmer mit Aussicht" ist „Tabu – Es ist die Seele...ein Fremdes auf Erden" ausgerichtet, allerdings hat der inzestuöse Tabubruch doch noch eine andere Dimension als die Heimlichkeiten unter jungen Männern oder die Liebschaften über Klassenschranken hinweg bei Ivory.

    Das Inzestverbot ist nicht etwa mit dem Untergang des Habsburgerreichs 1918 hinfällig geworden, vielmehr wird es in unserem Kulturkreis bis heute als zivilisatorische Norm aufgefasst. Und so fehlt dem Beischlaf von Bruder und Schwester im Film auch das zeitspezifische Element, das ihn als Akt der Revolte begreiflich machen könnte – aber ohne diese Ebene bleibt der Tabubruch banal. Überspitzt gesagt: Den Sex zwischen Geschwistern abzufilmen, als wär‘s ganz normal, das ist noch keine Kunst. Die Vergabe des Max-Ophüls-Preises für die Beste Nachwuchsdarstellerin an Peri Baumeister ist dagegen stimmig, auch wenn ihr ein wenig das stille, unheilvolle Glühen fehlt, um dem verqueren Romantizismus ihrer Figur vollständig gerecht zu werden.

    Auffällig abwesend ist in „Tabu..." trotz vieler Zitate Trakls literarische Welt. Dem gefälligen Bilderbogen, den Kameramann Bogumil Godfrejow („Lichter", „Requiem") im Verbund mit Production-Designerin Christine Caspari von den Bordellzimmern und Studentenbuden über die Bohème-Feste bis zur großbürgerlichen Villa spannt, fehlt die fiebrig-halluzinatorische Qualität von Trakls Texten. Und nur ein einziges Mal, wenn Gretes Blick über eine Schwangere und einen vom Wind heftig bewegten Strauch schweift, bekommen die archaischen Motive Platz, die nicht nur Georgs, sondern auch Margarethe Trakls Künstlerseele beherrscht haben dürften. Wer aber solche Spuren nicht verfolgt, kann auch kaum den mythischen Grund des Geschwister-Inzests der Trakls ausleuchten.

    Fazit: „Tabu – Es ist die Seele... ein Fremdes auf Erden" zeigt viel fleischliche Intimität und verbotene Liebe, ist dabei aber viel zu gefällig als klassisches Erzählkino ausgerichtet, um zu packen oder gar zu schockieren und damit zur Reflektion von Tabus einzuladen. Wer es aufregend will, muss sich in Georg Trakls Texte stürzen - oder auf eine intensivere Verfilmung warten.

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