2011 fiel die Wahl für den Abschlussfilm der Filmfestspiele von Cannes auf eine durch und durch französische Produktion: das epische, humorvoll-tragische Liebesmelodram „Die Liebenden", geschrieben und inszeniert von Christophe Honoré. Das war kein Zufall, denn der Filmemacher gilt spätestens seit seinem Achtungserfolg „Chanson der Liebe" von 2007 als eine der großen Regiehoffnungen Frankreichs. Seiner namhaft besetzten, über zweistündigen Mehrgenerationengeschichte fehlt es allerdings an der Leichtigkeit, Pointiertheit und – ja, auch an der Romantik, die seine früheren Filme so erfrischend machten. Wie bei „Chanson der Liebe" verbeugt sich der Autorenfilmer mit seinem Liebeskarussell um mehrere Jahrzehnte französischer Mode-, Musik- und Moralgeschichte auch diesmal vor Regielegende Jacques Demy und dessen Kultmusical „Die Regenschirme von Cherbourg", arbeitet selbst jedoch diesmal um einiges uninspirierter. Sein Film überzeugt mit starken Darstellern und einer prinzipiell interessanten Geschichte, ist jedoch zu überfrachtet und dramaturgisch zu holprig, um nachhaltige Wirkung zu erzielen.
Paris in den 1960ern: Schuhverkäuferin Madeleine (Ludivine Sagnier) ist wie der Rest der Damenwelt verrückt nach neuen, modischen Sandalen, Stiefeln und Stöckelschuhen. Doch leider kann sie sich die schmucken Treter nicht leisten und lässt sie daher nach Feierabend mitgehen. Gelegentlich verdient sich das lebensfrohe Mädchen auch als Prostituierte etwas hinzu. Gleich in ihrem zweiten Freier, dem eleganten tschechischen Arzt Jaromil (Radivoje Bukvic), glaubt sie, die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben. Trotz seiner Untreue heiraten sie und bekommen eine Tochter, verlieren sich dann aber in den Unruhen des Prager Frühlings aus den Augen. Jahrzehnte später steht auch die Tochter des älter, aber nicht weiser gewordenen Paars Madeleine (nun: Catherine Deneuve) und Jaromil (Milos Forman) zwischen zwei Männern: Vera (Chiara Mastroianni) wird von ihrem französischen Freund Clément (Louis Garrel) vergöttert, während sie in ihrem Hang zu unmöglichen Beziehungen für den homosexuellen amerikanischen Musiker Henderson (Paul Schneider) schwärmt...
„Les bien-aimés", so der französische Originaltitel, trägt hierzulande den schwermütigen Untertitel „Von der Last, glücklich zu sein". Und tatsächlich widmet sich Honoré eher den Schattenseiten romantischer Liebe als den allzu seltenen und kurzen Momenten glücklicher Zweisamkeit. Als erwachseneres, melancholischeres Gegenprogramm zu der eher fröhlichen Dreiecksgeschichte „Chanson der Liebe" entworfen, wirkt „Die Liebenden" aber auch über weite Strecken angestrengt und schwerfällig. Hier wird viel über Liebe geredet und gesungen, aber selten zur Anteilnahme animiert. Das Problem liegt jedoch nicht bei den durchaus überzeugenden und charmanten Darstellern. Neben Christophe Honorés Lieblingsdarstellern Chiara Mastroianni, Ludivine Sagnier und Louis Garrel gibt sich hier eine gewohnt sensibel und anmutig agierende Catherine Deneuve („Belle de Jour") die Ehre, um die Filmmutter ihrer Tochter Chiara zu spielen, die aus ihrer Beziehung zur italienischen Filmlegende Marcello Mastroianni („Achteinhalb") hervorging. Der amerikanische Independent-Film-Veteran Paul Schneider („Bright Star") glänzt dazu in einigen expliziten erotischen Begegnungen mit Chiara Mastroianni, den Höhepunkt setzt allerdings der tschechische Hollywood-Regisseur Milos Forman („Einer flog über's Kuckucksnest", „Amadeus") in einem seltenen Auftritt als Schauspieler in der ebenso amüsanten wie tragischen Rolle eines gealterten Frauenhelden.
Doch während der Film als Ensembledrama über einige hoffnungslose Verlierertypen halbwegs überzeugt, gelingt der Versuch eines verträumten Tränendrückers irgendwo zwischen leichter Musical-Romanze und tränenreichem Beziehungsmelodram weniger. Die ereignisreiche, aber schleppend voranschreitende Handlung, die von den 1960ern bis in die Gegenwart reicht, sowie die Fülle komplizierter Figuren und Beziehungen sind zu viel Ballast für die postmoderne Musical-Form. Wenn die Männer und Frauen ihre Gefühle in Chansons singend mitteilen, dann gerät der Fluss des Films deshalb immer wieder ins Stocken. Einige dieser Nummern sind dennoch sehr gelungene und gefühlvolle Einsprengsel, so funktioniert das nostalgische, ansprechend ausgestattete Musical in einzelnen Segmenten, aber nicht als stimmiges Ganzes.
Fazit: Christophe Honorés „Die Liebenden" ist ein ambitionierter, aber auch ein formal und inhaltlich überfrachteter Film, wodurch die Anteilnahme am Geschehen oft erschwert wird. Freunde der gehobenen französischen Kino-Unterhaltung werden an dem stilistischen Wagemut des Filmemachers, der die phantasievollen Filme Jacques Demys in die Gegenwart weiterzudenken versucht, dennoch einiges zu schätzen finden.