Der Deepfake-Despot
Von Michael MeynsNeben Donald Trump dürfte es im zeitgenössischen politischen Betrieb kaum eine Person geben, über die so viel spekuliert und gemutmaßt wird wie Wladimir Putin, der inzwischen seit fast einem Vierteljahrhundert die Geschicke Russlands lenkt. Kremlinologie hieß schon zu Zeiten des Kalten Krieges der Versuch, das „Wie?“ und „Warum?“ der Herrscher im Moskauer Machtzentrum zu ergründen. Auf gut Deutsch könnte man vielleicht auch einfach Kaffeesatzleserei dazu sagen.
Ähnliches macht nun auch der polnische Regisseur Patryk Vega in seinem biographischen Film „Putin“, der in loser Form Ereignisse im Leben des russischen Alleinherrschers aneinanderreiht –allerdings ohne daraus eine relevante Erkenntnis abzuleiten. Das überrascht wenig, hat sich Vega in den letzten Jahren doch vor allem mit seiner brutal-plakativen, immens populären „Pitbull“-Trilogie einen Namen gemacht. Der spannendste, aber auch problematischste Aspekt des lauten, oberflächlichen Films ist so die Verwendungen von moderner KI-Technologie, mit der Putins Gesicht täuschend (?!) echt als Deepfake nachgestellt wird.
Im Jahr 2026 siecht der russische Präsident Wladimir Putin in einem Krankenhaus dahin. Sein Reich und seine Macht rinnen ihm durch die Finger, während sich der windeltragende Despot buchstäblich in seiner eigenen Scheiße suhlt. Vor vielen Jahren begann sein Leben im noch vom Krieg verwüsteten Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg. Hier erlernte der junge Putin die Gesetze der Straße, die er später auch in den Heiligen Hallen der Macht einzusetzen verstand. Wie ein Mafia-Pate agiert Putin erst als Bürgermeister Petersburgs, später als Vize von Boris Jelzin, von dem er im Jahre 2000 die Herrschaft über die einstige Supermacht Russland übernahm. Immer größer werden Putins Ambitionen, immer skrupelloser sein Handeln, während von Tschetschenien bis zur Ukraine tausende Tote seinen Weg zur ultimativen Macht säumen…
Es war ganz sicher nicht zu erwarten, dass der Regie-Populist Patryk Vega einen subtilen, differenzierten Film über den russischen Präsidenten Wladimir Putin drehen würde. Zwar laufen seine Filme wie „Pitbull“ oder „Small World“ in Polen wahnsinnig erfolgreich in den Kinos, mit seinem Hang zu Gewalt und Vulgarität hat er sich jedoch den Ruf eines Berserkers erarbeitet, der sich zwar relevanter Themen wie Zwangsprostitution oder Menschenhandel annimmt, diese aber auf so plakative Weise verhandelt, dass seine Filme oft eher voyeuristisch als aufklärend wirken. Nun ist Wladimir Putin sicher niemand, der es verdient, mit Samthandschuhen angefasst zu werden. Doch fast alles, was über Putin vermutet und gemunkelt wird, ist eben Spekulation und Vermutung.
Die wahren Hintergründe der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater 2002 oder im tschetschenischen Beslan 2004 sind bis heute ungeklärt. Waren es tatsächlich von Putin initiierte False Flag-Operationen, die nur als Vorwand für Gewalt gegen die abtrünnige Teilrepublik Tschetschenien dienten, so wie Vega es suggeriert? Man weiß es nicht sicher. Ebenso wenig, ob und wie sehr sich Putin als Bürgermeister von Sankt Petersburg an die lokale Mafia ranschmiss und mit krummen Geschäften Millionen verdiente. Interviews mit unabhängigen Journalist*innen gibt Putin nicht, unabhängig und wahrheitsgemäß über seine Jahre als KGB-Agent in Dresden oder seine Kindheit in Petersburg zu berichten, würde sich wahrscheinlich ohnehin niemand trauen.
Was einen biographischen Film wie „Putin“ fast zwangsläufig dazu zwingt, zu spekulieren. Dass Vega in seinem Drehbuch nun stets die extremste Variante wählt, Putin in jedem Moment so abstoßend, korrupt und manipulativ wie möglich erscheinen lässt, kann man ihm als polnischem Bürger sicher nicht verdenken. Es lässt seinen Film allerdings ab einem gewissen Punkt auch einfach ziemlich ermüdend und eintönig wirken.
Und dann ist da noch das – in Zukunft sicherlich noch viel frappierender werdende – ethische Problem der Bildmanipulation. Moderne Deepfake- oder KI-Techniken erlauben es heute schon, Bilder und Stimmen auf eine Weise zu manipulieren, die kaum als Fälschungen zu erkennen sind. Wenn es selbst einem Film wie „Putin“, der selbst von einem durchschnittlichen Hollywood-Budget nur träumen kann, möglich ist, eine reale Person so täuschend echt nachzuahmen und in beliebigen Situationen zu zeigen, was wird dann erst in zehn oder 20 Jahren noch alles möglich sein?
Angesichts der zahllosen Verbrechen, für die Wladimir Putin fraglos verantwortlich ist, mag man es für amüsant und verdient halten, ihn in solchen Fake-Bildern als winselndes, sabberndes, sich selbst anscheißendes Wesen zu sehen. Man sollte dabei allerdings nicht übersehen, dass solche manipulierten Bilder vielleicht heute schon von Politiker*innen oder anderen Personen des öffentlichen Lebens entstehen, die nichts Vergleichbares verbrochen haben. Zu welchen Zwecken diese sich rasant entwickelnde Technologie genutzt wird, dürfte in den nächsten Jahren noch ausgiebig diskutiert werden, gerade auch dann, wenn es um Personen geht, die nicht so offensichtlich verdammungswürdig sind wie Wladimir Putin.
Fazit: In seinem vorgeblich biographischen Film „Putin“ reiht der polnische Regisseur Patryk Vega Ereignisse aus dem Leben des russischen Diktators Wladimir Putin aneinander, die sich lose zwischen Wahrheit und Spekulation bewegen. Das herausstechende stilistische Mittel ist dabei die problematische Deepfake-Technologie, deren potenziellen Gefahren für die Zukunft des (politischen) Diskurses der Film – wohl eher unfreiwillig – gleich mit andeutet.