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    Blackthorn
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Blackthorn
    Von Robert Cherkowski

    Das waren noch Zeiten, als Paul Newman und Robert Redford alias Butch Cassidy und Sundance Kid Banken und Züge unsicher machten, bevor sie sich auf der Flucht vor dem Gesetz nach Bolivien absetzten und ihr unangepasstes Leben im Kugelhagel der Armee aushauchten: George Roy Hills Western-Klassiker „Zwei Banditen" von 1969 lässt bis heute die Herzen der Fans höher schlagen und machte die (Anti-)Helden Butch und Sundance endgültig zur Legende. 40 Jahre später werden solche Mythen im Western nicht mehr einfach fortgeschrieben, sondern kritisch reflektiert: Wo Butch seinerzeit noch den großen Heldentod spendiert bekam, fragt sich Alejandro Amenábars Stammdrehbuchautor Mateo Gil („Tesis", „Das Meer in mir") heute ganz nüchtern, was passiert wäre, wenn Cassidy nicht – wie behauptet – im Jahre 1908 umgekommen wäre. Wie wäre der wilde Mann von einst mit dem Alter und dem Wandel der Zeiten umgegangen? Auf diese durchaus spannende Frage gibt der Spanier mit seinem Neo-Western „Blackthorn" eine thematisch und erzählerisch etwas überfrachtete Antwort, die aber vor allem durch den grandiosen Sam Shepard in der Hauptrolle trotzdem sehenswert ausfällt.

    1927. Unter dem Namen James Blackthorn fristet Butch Cassidy (Sam Shepard) ein zurückgezogenes und vor allem anonymes Leben als Bauer und Viehzüchter im ländlichen Bolivien. Regelmäßig schreibt er wehmütige Briefe an seinen Neffen in den Vereinigten Staaten, wohin er bald zurückkehren möchte. Er träumt davon, sich dort eine kleine Farm zu kaufen, um seinen Lebensabend in der alten Heimat zu verbringen. Auf dem Weg zurück in die USA macht er alsbald unliebsame Bekanntschaft mit dem spanischen Glücksritter Eduardo (Eduardo Noriega), das Aufeinandertreffen mündet in einen Schusswechsel, bei dem Cassidys Pferd mitsamt seiner Ersparnisse das Weite sucht. Trotz dieser Startschwierigkeiten müssen sich Butch und Eduardo zusammenraufen, um in der Wildnis zu überleben. Doch nicht nur die Härte der Umgebung birgt Gefahren – zu allem Überfluss befindet sich der Spanier auf der Flucht vor Banditenhorden, die ihm ans Leder wollen. Butch gerät, als er ihm hilft, ebenfalls in die Schusslinie der Pistoleros und auch sein alter Häscher Mackinley (Stephen Rea) nimmt die Verfolgung auf...

    Wer sich über „Blackthorn" äußert, der muss in erster Linie über Sam Shepard sprechen. Der Hauptdarsteller ist in nahezu jeder Szene präsent und womöglich hätte es den unabhängig produzierten Film ohne das Engagement des raubeinigen Edelmimen gar nicht gegeben. Ganz sicher jedoch wäre er ohne Shepard in der Rolle des alten Cassidy nicht so sehenswert. Der Schauspieler und Autor ist einer dieser harten Männer von altem Schrot und Korn, in deren kernigen Gesichtszügen sich die Mythen des alten Westens zu spiegeln scheinen. Während vergleichbare Typen wie Jeff Bridges („Wild Bill", „True Grit") oder Tommy Lee Jones („The Missing", „Three Burials") den mythischen Gehalt ihrer Rollen entweder mit humorvollem Augenzwinkern oder mit verhärmter Schwere bewahren, war, ist und bleibt Shepard der traurige Romantiker, dem kein Rückschlag die Haltung zerstören kann.

    Anders als viele amerikanische Helden sind Sam Shepards Figuren keine Männer der gewaltsamen Selbstbehauptung, sondern, ganz im Gegenteil, auf der Suche nach sich selbst. Egal ob in Terrence Malicks „In der Glut des Südens", in Wim Wenders' „Don´t Come Knocking" oder in seinem kurzen Auftritt in „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford": Shepards Spiel trägt die inneren Widersprüche seiner Figuren nach außen, die alles erlebt haben und vieles wissen, doch an nichts mehr glauben können - schon gar nicht an sich selbst. Als alt und weise gewordener Butch Cassidy ist Shepard daher perfekt. Schon die Tatsache, dass er seinen Namen geändert hat und seine wahre Identität leugnet, entfernt ihn vom klassischen Heldenprofil. Dieser legendäre Bandit will unbedingt jemand anderes sein, aber natürlich holt auch den vermeintlichen James Blackthorn immer wieder die Vergangenheit des Butch Cassidy ein.

    Mateo Gils Umgang mit seiner Titelfigur schwankt zwischen Verklärung und Entlarvung. Spürbar liebt er den alten Western und seine Mythen, zugleich ist seine Perspektive auf das Genre und seine Motive aber durch eine entschieden gegenwärtige kritische Reflexion der Vergangenheit und ihrer Darstellung geprägt. Dieser durchaus reizvolle unterschwellige Zwiespalt gerät allerdings oft allzu sehr in den Hintergrund, denn Gil verfällt immer wieder in hemmungslose Geschwätzigkeit. Das größte Manko ist jedoch der überkonstruierte Handlungsaufbau. So wird Eduardo Noriegas („Open Your Eyes") Figur mit ihren düsteren Geheimnissen immer wieder zum Katalysator der Geschichte, leider ist dieser Eduardo aber nicht gut genug ausgearbeitet. Er bleibt auf seine dramaturgische Funktion reduziert und ist letztlich wenig interessant.

    Der – durchaus trickreiche - Plot um Eduardos Verfolger und deren Motivation führt zu einem sehr packend inszenierten Showdown in der schneeweißen, unwirklich stilisierten bolivianischen Steppe, der einen sehr guten Endpunkt abgegeben hätte. Leider beschließt er jedoch nur das zweite Drittel des Films, und Gil setzt danach zu einem unnötig ausgewalzten und arg langatmigen Schlussakt an, in dem er noch einige neue Themen und Figuren einführt, denen er in der verbleibenden Zeit hastig gerecht zu werden versucht. So kommt es, dass Stephen Reas („The Crying Game") Auftritt als versoffener, abgewrackter Pinkerton-Detektiv wirkt, als sei er in Eile ins Drehbuch geschrieben. In Reas einziger gemeinsamen Szene mit Shepard muss entsprechend in erster Linie die Handlung nach vorn gebracht werden, ihr rein erklärender Charakter verhindert, dass sich zwischen den beiden Schauspielschwergewichten eine Chemie entwickeln könnte. Auch die immer wieder eingestreuten Rückblenden in Blackthorns/Cassidys Vergangenheit und zu seinen Abenteuern mit Sundance Kid (Padraic Delaney) bleiben erzählerisch an der Oberfläche und fallen unspektakulär aus. Zudem wirkt Nikolaj Coster-Waldau („Königreich der Himmel") als junger Butch im Direktvergleich zu Shepard mehr als blass.

    Fazit: „Blackthorn" bleibt trotz eines überambitionierten und überfrachteten Drehbuchs dank Sam Shepards grandioser Darstellung einer müden gewordenen Legende und malerischer Landschaftsaufnahmen Boliviens positiv in Erinnerung.

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