Wer als Regisseur gleich mehrere Meisterwerke in Reihe abgeliefert hat, darf auf Nachsicht hoffen, wenn die Muse mal schweigt. Ganz gleich, was man von Filmen wie „Jack" oder „Jugend ohne Jugend" auch halten mag – dank seiner Großtaten wird etwa Francis Ford Coppola („Apocalypse Now", „Der Pate") stets ein klangvoller Name bleiben. Auch bei Dario Argento kann mit gutem Gewissen auf Klassiker wie „Die Farbe des Todes", „Suspiria", „Inferno" und „Terror in der Oper" verwiesen werden, selbst wenn spätere Regiearbeiten wie „Aura", „The Mother Of Tears" oder „Giallo" zwischen reinem Trash und höchstens Mittelmaß schwanken. Es dürfte also das Schwelgen in alten Erinnerungen gewesen sein, das die Programmierer der Filmfestspiele von Cannes 2012 auf die Idee gebracht hat, den neuen Film des einstigen Maestros im Midnight Screening zu zeigen. Skeptisch macht bereits ein Blick auf die Besetzungsliste: Während Deutschlands Hollywood-Export Thomas Kretschmann den blutdürstigen Grafen gibt, ist Regisseurstochter Asia Argento als Objekt seiner Begierde Lucy zu sehen. Wenn dann noch der sich inzwischen fast ausschließlich in billiger Direct-to-DVD-Ware verdingende Rutger Hauer als Vampirjäger Van Helsing auftaucht, wird klar: Allzu ernst sollte man „Dracula 3D" besser nicht nehmen. Zu ertragen ist Argentos misslungene Bram-Stoker-Adaption ohnehin nur mit einem heftigen Augenzwinkern.
Merkwürdige Dinge geschehen in Transsylvanien: Nächtens fällt ein mysteriöser Mann (Thomas Kretschmann) mit übernatürlichen Fähigkeiten Dorfbewohner an und schlägt ihnen die Zähne in den Hals. Dann bekommt der Mann, der sich bald als unsterblicher Landadeliger Dracula entpuppt, Besuch vom Buchhalter Jonathan Harker (Unax Ugalde), der eigentlich nur wegen eines Immobilien-Geschäfts in die Einöde gereist ist. Doch auch er wird bald vom Grafen zur Ader gelassen. Nun ist Harker selbst ein Kind der Nacht. Und der Schrecken nimmt kein Ende, als der umtriebige Graf auch noch ein Auge auf Jonathans Angetraute Lucy (Asia Argento) wirft. Jetzt kann nur noch Vampirjäger Van Helsing (Rutger Hauer) helfen...
Schon beim Intro – einem miserabel animierten Flug aus Fledermausperspektive durch ein miserabel animiertes Dorf zu miserabel komponierter Horror-Musik und „veredelt" von miserablem Jahrmarkt-3D – werden Befürchtungen wach, dass hier ein neues Kapitel im künstlerischen Niedergang Dario Argentos über die Leinwand flimmert. Und es dauert nicht lange, bis sie ihre Bestätigung finden. Die sagenhaft hölzernen Dialoge, das lustlos wirkende Spiel der Darsteller – ohne Scheu vor Albernheiten wildert Argento mit „Dracula 3D" im Revier des Trash-Kultregisseurs Tommy Wiseau („The Room"): Scheinbar willkürlich betreten Menschen Kulissen, laufen aufeinander zu und belästigen sich mit dümmlichem Smalltalk, wobei zumeist sowieso bloß ausgesprochen wird, was ohnehin auf der Leinwand zu sehen ist.
Diese Schwächen müssen jedoch noch keinen Totalausfall bedeuten. Dass Argento kein Dialogmeister vom Schlage eines Aaron Sorkin („The Social Network") ist, hat man ihm nie krumm genommen – dass er jedoch auch jegliches Gespür für erzählerische Dynamik, aufregende Bildgestaltung und klassische Gruselspannung verloren zu haben scheint, wird seinen Fans dagegen wirklich weh tun. Die Schockszenen von „Dracula 3D" sind spektakulär billig. Wie grobschlächtige Hooligans hüpfen der einst so souveräne Nachtfürst und seine Gefährten aus der Finsternis und erschrecken dabei alles, was ihnen im nächtlichen Unterholz Osteuropas in die Quere kommt – ganz sicher aber nicht ihr Kinopublikum. Nicht einmal die Gorehounds, die Freunde blutiger Exzesse, kommen bei diesen bemerkenswert unblutigen Übergriffen auf ihre Kosten.
Als problematisch erweist sich auch die Besetzung: Der deutsche Nebenrollen-Star Thomas Kretschmann („Der Pianist", „King Kong") hat für die Rolle des Grafen nicht das nötige doppelbödige Charisma. Und auch Asia Argento („xXx - Triple X", „Marie Antoinette") lässt nichts davon ahnen, dass es sich bei ihrer Rolle der Lucy Harker um eine der komplexesten Figuren der viktorianischen Schauerliteratur handelt. Einzig der legendäre B-Movie-Recke Rutger Hauer („Blade Runner") entfaltet überhaupt so etwas wie Leinwandpräsenz – was aber nicht bedeutet, dass seine Szenen damit spannender ausfallen als der Rest des Films. Wer indes Freude am berüchtigten „So schlecht, dass es schon wieder Spaß macht"-Kino à la „Battlefield Earth" hat, der wird in „Dracula 3D" womöglich einen der komischsten Filme der jüngeren Vergangenheit erleben und jede Menge Gelegenheit zum heiteren Kopfschütteln bekommen.
Fazit: Mit „Dracula 3D" beweist Dario Argento, wie unterhaltsam selbst schwer schundverdächtiger Horrorschmarrn sein kann. Neu ist das keineswegs – und einen ehemaligen Meister hätte es für diese Erkenntnis auch nicht gebraucht.