Ein Bob-Dylan-Biopic zwischen Genie und Oberfläche
Von Björn BecherBob Dylan würde es wahrscheinlich bevorzugen, wenn man möglichst wenig über ihn wüsste. Am besten nicht einmal, dass er eigentlich Robert Allen Zimmerman heißt. Die mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnete Musik-Legende versteckt sich schließlich gerne hinter der großen Sonnenbrille und lässt ihre famosen Liedtexte stattdessen für sich sprechen. Lange hat sich Bob Dylan auch gegen Filme über ihn gesträubt. Regisseur Todd Haynes erhielt Mitte der 2000er auch nur deshalb die Erlaubnis, weil sein experimenteller Ansatz vorsah, dass der Sänger von einem halben Dutzend verschiedener Schauspieler*innen (u. a. Heath Ledger, Richard Gere und Cate Blanchett) verkörpert werden sollte, von denen dann im Film auch niemand Bob Dylan heißt. Trotzdem kam „I’m Not There“ dem Mysterium Dylan und seinen vielen Personas am Ende unglaublich nah – und ist auch deswegen eines der besten Musik-Biopics der Geschichte.
James Mangold („Indiana Jones 5“) wählte für sein passend „Like A Complete Unknown“ betiteltes Drama nun einen deutlich klassischeren Ansatz. Basierend auf dem Sachbuch „Dylan Goes Electric!“ von Elijah Wald werden die nicht einmal fünf Jahre vor dem großen Durchbruch des Musikers hin zur größten Kontroverse seiner Karriere beleuchtet. Dennoch bleibt das neue Musik-Biopic des „Walk The Line“-Regisseurs am Ende oberflächlicher als Haynes’ „I’m Not There“. Ein schlechter Film ist „Like A Complete Unknown“ deshalb aber noch lange nicht, ganz im Gegenteil: Die eher klassische Erzählung eröffnet vor allem dem beeindruckenden Cast etliche Möglichkeiten zu brillieren. Und die großartigen Musikszenen sind immer wieder echte Highlights, die auch über so manch biederen Moment dazwischen hinwegtrösten.
1961 kommt der junge Bob Dylan (Timothée Chalamet) nach New York, um sein im Krankenhaus liegendes Idol Woody Guthrie (Scoot McNairy) zu sehen. Dabei lernt er auch den Musiker Pete Seeger (Edward Norton) kennen, der vom Talent des jungen Mannes beeindruckt ist und ihn unter seine Fittiche nimmt. Seeger organisiert für Dylan die Möglichkeit, in einer Bar im Anschluss an die bereits erfolgreiche Joan Baez (Monica Barbaro) aufzutreten. Deren Manager Albert Grossman (Dan Fogler) ist sofort Feuer und Flamme von dem Newcomer und besorgt ihm schon bald seinen ersten Plattenvertrag. Doch auf seiner ersten LP darf Dylan nur Cover-Versionen alter Folk-Klassiker singen. Wer will schon hören, was ein junger Mann mit Anfang 20 zu sagen hat?
Bei einem seiner Auftritte begegnet Dylan auch Sylvie Russo (Elle Fanning), mit der er eine Beziehung beginnt und zusammenzieht. Mit ihren politischen Ansichten beeinflusst die Aktivistin den Songschreiber und ermutigt ihn, für seine eigenen Lieder zu kämpfen. Doch der Durchbruch gelingt erst, als er Baez wieder trifft, eine Affäre beginnt und ihr erlaubt, einige seiner Kreationen zu covern. So wird Dylan über Umwege zum neuen Star der Folk-Szene und zugleich einer wachsenden Jugendbewegung. Seine Songs „Blowin' In The Wind“ und „The Times They Are a-Changin“ werden zu Hymnen einer Generation, die für Gleichberechtigung und gegen Kriege demonstriert. Doch der Musiker selbst fühlt sich durch seine Erfolge zunehmend kreativ eingeengt – und greift schließlich sogar zur elektrischen Gitarre, womit er der gesamten Folk-Szene vor den Kopf stößt…
James Mangold klappert einige wichtige Stationen in der frühen Karriere von Bob Dylan ab. Immer wieder kehrt er dabei zum jährlich stattfindenden Newport Folk Festival zurück, wo die wichtigsten Größen der Branche auftreten und Dylan 1965 schließlich für Ausschreitungen sorgt. Als Headliner des Festivals weigert er sich, seine Folk-Hits zu spielen. Mit seiner neuen Band will er stattdessen neue elektrischen Stücke performen. Die Menge rebelliert, es kommt zu Ausschreitungen, sein alter Freund Seeger versucht sogar, die Technik zu zerstören, um einen Abbruch zu erzwingen. Doch Bob Dylan spielt einfach weiter, ignoriert die Pöbeleien und auf ihn zufliegenden Gegenstände so gut es geht. Das Konzert wird in der Rückschau zu einem der berühmtesten und umstrittensten der Musikgeschichte.
„Like A Complete Unknown“ ist immer dann am besten, wenn Mangold wie in solchen Szenen die Auftritte für sich sprechen lässt. So liefern zwei Musik-Momente auch einen viel besseren Einblick in die zum Scheitern verurteilte Beziehung des Musikers zu Sylvie Russo (die Dylans realer Muse Suze Rotolo nachempfunden wurde) als all ihre Dialogszenen zusammen: Wenn Sylvie den bei der 1963er-Ausgabe des Newport Folk Festivals Bob Dylan und Joan Baez gemeinsam auf der Bühne zusieht, kommt sie um die schmerzhafte Einsicht nicht vorbei, dass sie da gerade nicht nur einem musikalischen Paar zuhört. Wenn sich Dylan zwei Jahre später mit ihr versöhnen will, verschafft ihr erneut eine musikalische Performance Gewissheit, dass diese Beziehung zu einem Egozentriker keine Zukunft hat.
Dass Elle Fanning im Gegensatz zu Timothée Chalamet, Monica Barbaro und Edward Norton nicht für einen Oscar nominiert wurde, hat nur einen Grund: Sie hat die undankbarste Figur, weil die Erzählung sie immer wieder vergisst und an den Rand drängt. Die großen Momente gehören den anderen, die dafür aber auch voll zu nutzen wissen. Auch hier sind die musikalischen Momente die Highlights. Grundsätzlich ist „Like A Complete Unknown“ zwar ein Bob-Dylan-Film, doch Mangold wollte daraus auch ein Ensemble-Stück machen. So haben in dem illustren Cast nicht nur „Top Gun 2“-Star Barbaro mit ihrer beeindruckenden Darbietung als Joan Baez und der vierfach oscarnominierte Edward Norton ausführliche Solo-Auftritte, sondern auch „Logan – The Wolverine“-Bösewicht Boyd Holbrook als Country-Ikone Johnny Cash.
Trotz solcher Momente, in denen auch mal andere Figuren für kurze Zeit ins Zentrum rücken, ist es am Ende aber definitiv doch eindeutig der Film von Timothée Chalamet! Der „Dune“-Star hat sich über mehrere Jahre (!) auf die Rolle vorbereitet und nicht nur Instrumente gelernt, sondern auch diverse Orte bereist, die für das Leben der Folk-Legende von Bedeutung sind. Er arbeitet mit denselben Coaches, die bereits Austin Butler für seinen Part als Elvis Presley vorbereitet haben, um so zu sprechen und zu singen wie das reale Vorbild. Solche Geschichten begeistern zwar traditionell Oscar-Wähler*innen, aber ein Biopic ist nicht automatisch gelungen, nur weil der Hauptdarsteller seinem Vorbild äußerlich und stimmlich ähnelt. Und tatsächlich: Trotz all dem berechtigten Lob für Chalamet, der das Charisma und die Bühnenpräsenz von Dylan wirklich eindrucksvoll verkörpert, schafft auch er es nicht, uns hinter die dunklen Sonnenbrillengläser des Musikers schauen zu lassen.
Wir erleben Dylan immer wieder als selbstbezogenen Arsch, der seine Freundin betrügt, seine Fans beim Konzert geringschätzt oder auf Seeger herabblickt, nachdem er selbst erfolgreicher als sein einstiger Förderer geworden ist. Doch „Like A Complete Unknown“ bleibt bisweilen in der Darstellung der äußeren Facetten dieser komplexen Persönlichkeit stecken – auch weil Mangold und sein Co-Autor Jay Cocks („Gangs Of New York“) immer wieder etwas zu pflichtbewusst und bieder biografische Stationen in die Erzählung einfügen, die ja sonst gerade mit ihren Auslassungen und unvermittelten Zeitsprüngen überzeugt. Man wünscht sich, es gäbe mehr Szenen, in denen die Figuren einfach existieren, statt immer noch etwas (über-)deutlich vermitteln zu müssen.
Aber da ist zugegeben ein Meckern auf sehr hohem Niveau. Denn immer, wenn sich doch mal eine Länge einzuschleichen droht, reißt einen das fesselnde Spiel des Casts oder der nächste Musik-Auftritt direkt wieder mit. Diese ragen übrigens auch inszenatorisch heraus: Die Songs wurden während der Dreharbeiten live aufgenommen, statt im Studio nachträglich eingespielt zu werden. Sie klingen also rau statt poliert und geben damit dem gesamten Drama die nötigen Widerhaken, die „Like A Complete Unknown“ am Ende trotz aller Oberflächlichkeiten so faszinierend machen.
Fazit: „Like A Complete Unknown“ ist ein mitreißendes Biopic, das durch starke Performances und grandios inszenierte Musikszenen überzeugt. Auch wenn der Film nicht die Tiefe von Todd Haynes‘ „I’m Not There“ erreicht und sich oft mit der bloßen Wiedergabe biografischer Stationen begnügt, sorgt James Mangold für ein atmosphärisch dichtes und hervorragend gespieltes Musiker-Drama. Vor allem Timothée Chalamets intensive Darstellung sowie die rauen, live aufgenommenen Songs und die großartige Besetzung machen den Film sehenswert – auch wenn Bob Dylan am Ende weiterhin ein Mysterium bleibt.