Ein Film über das Denken in Bildern
Von Patrick FeyEinfach ist es nicht gewesen, dieses Projekt aus dem Boden zu stampfen, sagt Edgar Reitz über „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“. Im Grunde habe man es bereits ad acta legen wollen, erinnert sich der 92-jährige Filmemacher. Schließlich sei sein Herzensprojekt über den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, mit dem sich der „Heimat“-Regisseur über zehn Jahre hinweg beschäftigte, schnell auf ein veranschlagtes Budget von 25 Millionen Euro hinausgelaufen. Diese Summe ist für ein Projekt im deutschen Sprachraum schlicht unmöglich – erst recht, wenn wir uns nicht im expliziten Unterhaltungssektor bewegen.
Doch nachdem das Drehbuch bereits durch mehrere Überarbeitungen gegangen war, jede mit dem Ziel, den Umfang des zunächst als Lebenschronik angelegten Skripts in finanziell stemmbare Bahnen zu lenken — blitzte schließlich die eine Idee auf, wie man sich Leibnitz nun doch noch annähern könne. Wäre es nicht besonders schade um diese geplante Eröffnungsszene, in der Leibniz für ein von Königin Charlotte von Preußen in Auftrag gegebenes Porträt Modell steht? Und ließe sich nicht um diese eine Szene ein ganzer Film konstruieren, der die Grenzen und Überschneidungen zwischen Kunst und Wissenschaft auslotet?
So schlicht diese Ausgangssituation daherkommt, so vielversprechend nimmt sie sich aus. Arrangiert als Kammerspiel, sehen wir den von Edgar Selge gespielten Leibniz, der im Jahr 1704 bereits den Großteil seines Lebens hinter sich hat. Sein großer Geist ist weitgehend anerkannt, seine Beiträge zur Entwicklung unterschiedlicher Betätigungsfelder wie der Juristik, der Mathematik oder auch der Moralphilosophie unbestritten. Doch dass Leibniz, der zu diesem Zeitpunkt längst Mitglied der Royal Society in London und der Académie des sciences in Paris ist, Zeit seines Lebens nicht zu höheren Aufgaben berufen wurde und letztlich ein Dasein abseits des großen Geschehens in Hannover fristete, scheint in ihm gewisse Narben hinterlassen zu haben – Narben, denen sich Reitz und Co-Regisseur Anatol Schuster sukzessive annähern. Im Zentrum steht diese psychologische Erforschung indes nicht.
Wohl wissend, dass sich das nach allen gängigen Maßstäben beispiellose Leben von Leibniz mit all seinen genialischen Erfindungen und theoretischen Weiterentwicklungen nicht im Schnelldurchlauf erzählen lässt, ohne zur bloßen Illustration zu verkommen, konzentriert sich Reitz auf die wesentliche Frage, ob – und wenn ja, wie – sich ein Leben durch ein Bild ausdrücken lässt. „Wollen wir ein bisschen miteinander denken?“, heißt es da an einer Stelle. Eine Frage, die schnell albern klingen könnte, die aber aus dem Mund Leibniz ein aufrichtiges Erkenntnisinteresse ausdrückt.
An solchem scheint dem von Lars Eidinger verkörperten Hofmaler Delalandre nur begrenzt gelegen, reist dieser doch mit einer Reihe an bereits vorgefertigten Leinwänden an, deren einzige Leerstelle das noch einzufügende Gesicht darstellt. Leibniz‘ Personal zeigt sich ablehnend, hält aber zumindest der letzten Vorlage zugute, dass sie zwar nicht Leibniz zeige, diesem aber doch angemessen sei. Hier streift Reitz bereits früh ein Thema, das er weiter ausführt, sobald Eidingers Hofmaler nach anhaltenden Differenzen mit Leibniz („Ein Maler kann er nicht sein“) Reißaus nimmt. Erst als die fiktive niederländische Malerin Aaltje van de Meer (gespielt von Aenne Schwarz) die Szenerie betrifft, öffnet sich das Tableau neu und damit auch dem Zentrum der Geschichte, in der wir sehen, wie Positionen zur Malerei ausgetauscht, abgeglichen, überdacht und weitergesponnen werden.
Weitgehend ohne Musik und in Innenräumen daherkommend, verkommt der vom Regie-Duo Reitz und Schuster verfolgte Minimalismus zu keinem Zeitpunkt zu Sterilität. In exquisit ausgeleuchteten Interieurs liegt der Fokus klar auf den Gesichtern, den ausgesprochenen Gedanken und dem Licht, das auf sie fällt. Für Leibniz, der als Vordenker der Aufklärung (oder, wie es in anderen Sprachen weit poetischer heißt: der Epoche der Erleuchtung) gilt, eine durchaus stimmige Entscheidung. Nichts erscheint bei dieser formalen Strenge dem Zufall überlassen, wenngleich sich hier und da formale Ausbrüche andeuten (in einer Einstellung etwa nehmen wir plötzlich Leibniz‘ Perspektive ein, was so weit geht, dass die Kamera, wie man es bei dem französischen Regie-Enfant-Terrible Gaspar Noé („Irreversibel“) kennt, zu blinzeln beginnt).
In einer der imponierendsten Szenen sehen wir dann auch, wie durch das abgedunkelte Studio ein schmaler Lichtschein fällt und Leibniz und van de Meer wortwörtlich zur Projektionsfläche eines des Gartens werden, dessen Gräser auf ihren Körpern zu Schatten werden. Eine Kamera Obscura sei das, weiß Leibniz den Moment umgehend einzuordnen. Dass sich Reitz am Rande der Weltpremiere des Films bei der Berlinale 2025 dazu hinreißen lässt, anzumerken, dass dies auch ein Film über das Filmemachen sei, kommt nicht sonderlich überraschend. Das diesem Kommentar innewohnende Klischee verweist jedoch auf das grundlegende Problem der Reitz’schen Annäherung an Leibniz.
Denn wenngleich sich der Film in seinem Herzstück, dem Dialog, offen geriert, schafft er es doch nicht, diese Offenheit zu transportieren. Der von Reitz zur zentralen Zeile des Filmes gekürte Ausspruch der Malerin van de Meer „Was ich nicht weiß, kann ich malen“ deutet tatsächlich auf einen unerschlossenen Denkraum hin. Er gibt letztlich aber Leibniz mehr zu denken als uns. Das mag daran liegen, dass Reitz nicht daran gelegen ist, dorthin zu gehen, wo er seine fiktive Malerin verortet: in einem filmischen Raum, der so durchgetaktet und abgeschlossen ist, dass sich die Dialoge weniger als dem Moment als dem Drehbuch entsprungen präsentieren.
Wohl zu keinem Zeitpunkt wird dies offensichtlicher, als wenn sich Leibniz und van de Meer in einer Diskussion darüber wiederfinden, wie genau sich die Schaffung eines Gemäldes zu Raum und Zeit verhalte. Die Leibniz’sche These, die Gegenwart werde durch das Bildnis regelrecht eingefroren, kontert die Malerin damit, dass sich im Bild vielmehr die gesammelte Vergangenheit manifestiere, mit all ihren materiellen Gegebenheiten. Dieser Austausch ist sicher nett gemeint, und präsentiert Leibniz überdies als Feministen, der die Ausführungen der Künstlerin nicht nur als gleichwertig anerkennt, sondern sich darüber hinaus offen zeigt, von ihr zu lernen. Der Denkprozess, den wir in Leibniz in Gang gesetzt finden, will sich indes nicht auf das Publikum übertragen. Wohl auch, weil es Reitz letztlich nicht gelingt, jenes in den Austausch zu integrieren.
Fazit: Trotz (oder vielleicht aufgrund) einer formalen Strenge will das Herzensprojekt von „Heimat“-Regisseur Edgar Reitz über den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz letztlich nicht ganz aufgehen. Die Offenheit, um die sich der Filmemacher und Co-Regisseur Anatol Schuster mit „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ augenscheinlich bemühen, löst letztlich weniger Denkprozesse beim Publikum denn beim Protagonisten aus und verharrt auf diese Weise leider meist in der Bebilderung.
Wir haben „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ bei der Berlinale 2025 gesehen, wo er als „Berlinale Special“ seine Weltpremiere feierte.