Auf der ersten Blick scheint der Fall klar zu sein: „Da springt jemand auf den ‚Kick-Ass‘-Zug auf", war allerorts nach der Veröffentlichung des „Super"-Trailers zu hören. Diese Diskussion ging sogar so weit, dass sich „Kick-Ass"-Erfinder Mark Millar selbst genötigt sah, das Werk von James Gunn zu verteidigen. Der hatte die Pläne für „Super" schließlich schon einige Jahre in der Schublade liegen, fand aber lange keine Investoren für das Projekt – bis er sich schließlich entschied, seine rabenschwarze Superhelden-Komödie unabhängig und mit einen Mini-Budget, angeblich mit lächerlichen zwei Millionen Dollar, zu realisieren. Warum niemand „Super" finanzieren wollte, wird dann auch schnell ersichtlich: Derart politisch unkorrekte Boshaftigkeit kommt in Hollywood einfach nicht an. Und in diesem Sinne muss auch der Vergleich zu „Kick-Ass" noch einmal bemüht werden. Gab es nämlich einige Fans der Comic-Vorlage, die Matthew Vaughns Umsetzung samt Nicolas-Cage-Stuntcasting als zu Mainstream-lastig bezeichneten, dürfte „Super" eben dieser Fraktion gerade recht kommen. Doch Vorsicht: Dieser Film ist so ungemütlich, dass man einem das Lachen schnell im Hals stecken bleiben kann.
Burgerbrater Frank (Rainn Wilson) ist ein Loser, der in seinem Leben nur zwei glückliche Momente hatte: die Hochzeit mit der schönen Ex-Drogensüchtigen Sarah (Liv Tyler) und die kurze Hilfestellung für einen Polizisten, der einen flüchtigen Räuber verfolgte. Abseits davon kennt er nur Erniedrigungen und Niederlagen. Und genau damit geht es weiter, als Sarah in den Armen des schmierigen Unterweltboss Jacques (Kevin Bacon) landet. Doch dann spricht Gott (Rob Zombie) mit Hilfe der trashigen Fernsehfigur The Holy Avenger (Nathan Fillion) zu Frank und fordert, er müsse als maskierter Superheld Verbrecher bekämpfen. Über von der süßen Comicverkäuferin Libby (Ellen Page) empfohlene Vorlagen verschafft sich Frank das nötige Rüstzeug und sorgt fortan als The Crimson Bolt für Recht und Ordnung – wenn er die Schurken denn überhaupt findet. Mit einem Schraubenschlüssel bewaffnet schlägt er Drogendealer, Päderasten und Dränglern in der Schlange vor dem Kino den Schädel ein. Doch Jacques' Handlanger erweisen sich mit ihren Schusswaffen als ganz anderes Kaliber. Zum Glück ist Libby längst hinter die geheime Identität des nächtlichen Rächers gekommen und bietet Frank als super-sexy Sidekick Boltie ihre Hilfe an. Doch Bolties Gewaltpotential ist so unberechenbar wie ihre Annäherungsversuche...
Wer „Super" als christlich-fundamentalistische, rechte Selbstjustizphantasie lesen will, wird hier zumindest auf der Oberfläche Munition finden. Doch James Gunn, der seinen eigenwilligen Humor schon mit der Internetserie „PG Porn" unter Beweis stellte, überzeichnet das Zusammenspiel von Gewalt und Religion so gnadenlos, dass die Hinterfragung der zugrunde liegenden Mechanismen schnell offenbar wird. Der christliche Fernsehsuperheld The Holy Avenger ist eine bissige Überhöhung aller in den USA populären Bibel-Programme. Dass Frank sich einbildet, von Gottes Finger berührt und zu seiner neuen Aufgabe geführt worden zu sein, ist eine knallharte Satire auf das Metier amerikanischer TV-Prediger und vorgeblich Erleuchteter. Gunn erhöht die Obskurität der entsprechenden Szenen, indem er Franks Kopfdecke mit glibberigen Tentakeln aufschneidet, um Gottes Finger einen direkten Zugang zu dessen Gehirn freizuschaufeln.
Und dann ist da die enorme Brutalität. Gunn ist gnadenlos und zeigt, wie Franks und Libbys blutrünstige Gewaltexzesse immer weiter ausarten. Vigilantismus hat hier schnell aber auch rein gar nichts Heroisches mehr. Der Schutz der Gemeinschaft ist Nebensache, im Vordergrund stehen egoistische Motive. Und die führen schnell zu Kollateralschäden. Besonders im Finale macht Gunn endgültig keine Kompromisse mehr, da hagelt es nur so Opfer auf beiden Seiten. Und sobald sich dabei der Vorwurf einer Glorifizierung dieser Gewaltorgie aufdrängt, belehrt er Skeptiker mit der nächsten Szene eines Besseren. Trotz des Mini-Budgets und des grimmig-absurden Tonfalls seiner Erzählung gelang es Gunn, einen eindrucksvollen Cast zu versammeln, der noch weit mehr zu bieten hat als alte Weggefährten wie seinen Bruder Sean Gunn („Gilmore Girls"), Michael Rooker („Henry - Portrait of a Serial Killer") und Nathan Fillion („Castle").
Besonders überzeugend spielen dabei die drei Hauptdarsteller. Rainn Wilson („The Rocker") bleibt seiner „The Office"-Rolle als der geborene Loser treu und entpuppt sich als Bruder im Geiste von Seth Rogens Ronnie Barnhardt aus „Shopping-Center King". Die Nähe zur schwarzen Komödie von „Eastbound & Down"-Erfinder Jody Hill zeigt sich auch in einer Vergewaltigungsszene, bei der in „Super" aber die Vorzeichen umgedreht werden. Kevin Bacon („X-Men: Erste Entscheidung") gibt mit gnadenlosem Overacting eine herrlich überzeichnete Bösewicht-Parodie. Und dann ist da noch Ellen Page. Der „Juno"-Shooting-Star hat längst Kristen Bell („Veronica Mars") als feuchten Nerd-Traum abgelöst und zementiert dieses Image weiter. Die Kanadierin tanzt lasziv im hautengen Kostüm mit Mini-Röckchen, zwingt ihren Heldenpartner zwischen ihre Beine und muss auch mal eine Actionszene in Unterwäsche absolvieren.
„Super" ist leicht zu verdammen und schwer zu lieben. Man merkt dem Film sein deutlich Mini-Budget an, auch wenn mit Steve Gainer („Mysterious Skin", „Bully", „Wassup Rockers") ein Kameramann aus der Independent-Szene an Bord war, der unter widrigsten Bedingungen sauber zu arbeiten versteht und „Watchmen"-Komponist Tyler Bates für den Soundtrack clever die richtigen Stück recycelt. Dass „Super" inhaltlich sowie formal roh und ungeschliffen ist und James Gunn dies mit eigenwilligen Tempo- und Tonartwechseln noch verstärkt, erweist sich jedoch als Trumpf. Denn so wird sein Film zu einem unangenehmen, verstörenden, aber auch einzigartigen Ausnahmefilm, der dabei weder wirklich witzig, noch besonders cool ist – vielmehr ist „Super" einfach nur atemberaubend böse!