+++ Meinung +++
Dieses Jahr gab es für Filmfans zu Weihnachten besonders viel zu feiern: Mit „Spider-Man: No Way Home“ (Kinostart: 15. Dezember) und „Matrix 4: Resurrections“ (23. Dezember) wurden binnen kürzester Zeit nämlich gleich zwei populäre Filmreihen fortgeführt, die das Blockbuster-Kino auf ihre Weise prägten und die nun mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert sind. Doch damit enden die Gemeinsamkeit auch schon wieder.
Marvels Multiversum-Expansion ist ein voller Erfolg an den Kinokassen, legte den dritterfolgreichsten Start eines Films aller Zeiten hin und spielte im Handumdrehen seine erste Milliarde ein. Und wenn man die Wertungen auf dem größten Filmbewertungsportal der Welt betrachtet, IMDb, ist er obendrein ein Meisterwerk. Derzeit jedenfalls belegt der Film mit 8.9/10 Punkten dort Rang 14 der besten Filme aller Zeiten – und liegt damit unter anderem vor Filmen wie „Star Wars V - Das Imperium schlägt zurück“, „Terminator 2“, „Psycho“, „Die sieben Samurai“ oder dem ersten „Matrix“ (Stand 30. Dezember 2021).
Für „Matrix Resurrections“, der auf der Plattform aktuell bei einer Wertung von deutlich unter 6.0/10 dümpelt, sieht es weniger rosig aus. Mathematisch betrachtet zwar immer noch überdurchschnittlich, entspricht eine solche IMDb-Wertung eher einer Warnung als einer Empfehlung – und trägt sicherlich auch ein bisschen dazu bei, dass so enttäuschend wenig Kinotickets gelöst wurden (in den USA wurde der Film zudem zeitgleich auf der Streaming-Plattform HBO Max veröffentlicht). Das Dilemma: „Spider-Man: No Way Home“ und „Matrix 4: Resurrections“ sind zwei Seiten einer Medaille – der eine Film ist eine perfekt designte Befriedigung von Fan-Bedürfnissen, der andere kritisiert exakt diese Masche und stößt viele Anhänger*innen ganz bewusst vor den Kopf.
"Spider-Man: No Way Home": Wie weit darf Fanservice gehen?
Achtung, es folgen Spoiler zu „Spider-Man: No Way Home“!
Welche Möglichkeiten das Multiversum-Konzept mit sich bringt, zeigte vor nicht allzu langer Zeit „Spider-Man: A New Universe“. Hier wurde die – im Mainstream-Kino durchaus frische – Idee von Paralleluniversen in einen abgefahrenen Bilderrausch gegossen, der fernab der üblichen Disney-Formel zeigte, was Animationskino noch so sein kann. Diese Grundidee kurz darauf direkt noch mal aufzugreifen und ins Marvel Cinematic Universe (MCU) zu übertragen, zeugt zwar nicht unbedingt von Originalität, ist per se aber auch nicht verwerflich. Comic-Fans haben derartige Crossovers – von „RoboCop vs. Terminator“ bis „Batman vs. Aliens“ – ohnehin längst lieben gelernt, bringen sie doch seit jeher Abwechslung in die traditionellen Superheldengeschichten. Das Rezept ist alt, aber gut.
"Spider-Man 3: No Way Home" ist der erfolgreichste Film des Jahres: Marvel-Hit schlägt "Fast & Furious" und James BondRegisseur Jon Watts und seine Drehbuchautoren hatten mit „No Way Home“ also praktisch unendlich viele Möglichkeiten, die sie – so scheint es jedenfalls – zu nutzen wussten. Sie holten nicht nur Schurken vorheriger „Spider-Man“-Interpretationen zurück, sondern obendrein auch noch Tom Hollands Vorgänger Tobey Maguire und Andrew Garfield, die sich nun als Spinnenmann-Trio in den Kampf gegen das Böse stürzen. Das Problem an „Spider-Man: No Way Home“: Der aus allen Poren triefende Fanservice, um den herum eine Geschichte konstruiert werden musste.
Ich selbst ertappte mich im Kino nach gut 45 Minuten zum ersten (und weiß Gott nicht letzten) Mal dabei, auf die Uhr zu schauen. So richtig abholen wollte mich die Geschichte nicht. Klar, auch mir wurde beim Auftritt von Maguire und Garfield kurz warm ums Herz. Doch so sehr ich mich über das Wiedersehen freute, so schnell verflog die Aufregung auch wieder. Während die Leute um mich herum in einem Netz der Nostalgie gefangen schienen – und gar nicht daran dachten, die Flucht zu ergreifen –, befand ich mich immer noch in diesem arg konstruierten Gebilde eines Films, der mir um jeden Preis gefallen will. Dabei hatte er mich schon mit seiner Ausgangslage verloren. Warum sollte es mich also kümmern, ob am Ende alles gut geht?
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Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, Peter Parker hätte sich von Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) gewünscht, die Welt würde einfach nur Mysterio (Jake Gyllenhaal) vergessen. Das hätte der ja mit Sicherheit genauso hinbekommen und Peter hätte sich das Reinpfuschen sparen können. Hm, warum lief die Geschichte eigentlich nicht so ab? Gut, der Film wäre damit natürlich direkt wieder vorbei gewesen, bevor er überhaupt richtig begonnen hat – zumindest Sinn hätte das Ganze dann aber wenigstens gehabt.
Klar ist: Man weiß bei Disney bzw. Marvel ganz genau, was das Publikum will und hat keine Scheu, ihm das auch zu geben. Und dass diese Rechnung aufgeht, zweifelt nach über 25 MCU-Filmen wohl niemand mehr an. Wie uns die Marktwirtschaft lehrt, bestimmt die Nachfrage am Ende nun mal das Angebot. Aber müssen an ein großes Publikum gerichtete Filme denn wirklich nur Produkte sein, oder können sie mehr sein als das?
"Matrix 4": Auch Blockbuster-Kino darf herausfordernd sein
Die Frage, ob es nach all den Jahren wirklich einen vierten „Matrix“-Film gebraucht hat, kann ich ebenso mit „nein“ beantworten wie die Frage, ob der Film am Ende auch das war, was ich mir als Fan so sehnlich gewünscht habe. Gerade beim ersten Mal machte sich in mir völlige Überforderung breit. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah und runzelte die Stirn. Was war das denn?! Eine Frage, die aus der Enttäuschung entstand, nicht das bekommen zu haben, was ich wollte – aus der aber schnell eine unbändige Neugier wuchs, wie sie schon lange kein Film mehr in mir auslöste.
Die Macher um Regisseurin Lana Wachowski spielten nicht nur vorab mit der Erwartungshaltung der vielen „Matrix“-Anhänger*innen, die aus den kryptischen Trailern nur bedingt herauslesen konnten, worum es im Film wirklich geht, sondern drehen eben jene Erwartungshaltung in ihrem Film dann auch noch durch den Fleischwolf. Dass man damit aneckt, war klar. Dennoch ist es ein Trauerspiel: Wir haben eine unglaublich originelle und komplexe Fortsetzung bekommen. Aber anstatt sich damit zu beschäftigen, worum es denn in „Matrix Resurrections“ wirklich geht, warum der Film so ist, wie er nun mal ist, gehen viele den einfacheren Weg – und sträuben sich gegen das Neue, das Andersartige, und klagen vielerorts über einen Film, der nichts mit der Original-Reihe zu tun habe.
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Ja, als Martial-Arts-Fan, der selbst den oft verschrienen „Matrix Reloaded“ bis heute für seine spektakuläre Action verehrt, hätte natürlich auch ich mich erneut über die einzigartigen Choreographien von Kampfsportmeister Yuen Woo-Ping gefreut. Aber „Matrix 4“ spielt nun mal in einer völlig neuen Welt, die sich von der uns bekannten Matrix in allerhand Aspekten unterscheidet – nicht zuletzt eben auch visuell.
Auch „Resurrections“ steckt voller stark inszenierter Action-Momente, ist aber gar nicht auf ein ausuferndes Bombast-Feuerwerk angewiesen, um sich ins Gedächtnis zu brennen. Stattdessen liegt der Fokus stärker als je zuvor auf der Liebesgeschichte zwischen Neo (Keanu Reeves) und Trinity (Carrie-Anne Moss), die nun endlich das emotionale Gewicht bekommt, das ihr schon immer zustand.
Außerdem hält „Matrix Resurrections“ seinem Publikum den Spiegel vor – und das ist nun mal nicht angenehm. Wenn die Entwickler in Thomas Andersons Firma darüber reden, was „Matrix“ denn eigentlich ausmacht, wird das Cyberpunk-Meisterwerk im Gespräch auf seinen Bombast reduziert. Die Leute wollen Bullet Time, Waffen und Explosionen, heißt es dann. Doch auch wenn der erste „Matrix“-Film damit einst das Blockbuster-Kino prägte, war die Geschichte von Neo vor allem immer eine der Selbstfindung, der Suche nach Wahrheit.
Und spätestens in Teil 4 stecken nun derart viele Wahrheiten, die einen schon mal überrollen können – angefangen bei Lana Wachowskis persönlicher Geschichte über Hollywood-Trends, die immer mehr zur Abstumpfung des Publikums beitragen, bis hin zur tatsächlichen Entstehung des Films. Das geht sogar so weit, dass Smith (Jonathan Groff) ganz offen darauf hinweist: Warner Bros. will „Matrix 4“ um jeden Preis – ob die Schöpfer der Reihe nun mitmachen oder nicht. Ein solches Maß an Ehrlichkeit und Selbstkritik kennt man aus Hollywood ansonsten kaum.
Das "Matrix 4: Resurrections"-Ende erklärt: Kommt "Matrix 5" oder eine ganz neue Trilogie?Der Film verabreicht seinem Publikum damit gewissermaßen die rote Pille, um ihn in die Realität zu holen – doch es hat ganz den Anschein, als hätten die meisten Zuschauer*innen die blaue Pille bevorzugt und weiter lieber den Irrglauben anstelle einer unangenehmen Wahrheit gelebt. Nun gut, in Anbetracht der Besucherzahlen und der teils harschen Reaktionen im Internet müssen all jene zumindest nicht befürchten, dass Warner bald einen „Matrix 5“ auf den Weg bringen wird.
Was bedeutet das für die Zukunft des Kinos?
Natürlich unterhalten uns auch die immergleichen Geschichten, rühren und schockieren uns vielleicht sogar. Ich selbst hätte wohl auch noch mit „Final Destination 12“ meinen Spaß und würde auch noch beim hundertsten Godzilla-Film ein breites Grinsen im Gesicht haben. Am Ende tritt das Medium Film mit solchen Beiträgen aber auf der Stelle – wo doch seine Möglichkeiten geradezu unerschöpflich sind.
Dass es „Matrix 4“ in dieser Form überhaupt gibt, gleicht einem Wunder. Denn derart mit Konventionen zu brechen und ein geliebtes Franchise in eine völlig neue Richtung zu lenken, ist in Anbetracht von Produktionskosten an die 200 Millionen Dollar nicht nur ein Risiko, sondern wirtschaftlich der pure Wahnsinn. Wahnsinn, wie er das Kino ausmacht und weiterbringt – und wie er leider zunehmend verschwindet.
Was in den vergangenen Jahren als „Netflix-Algorithmus“ für Diskussionen sorgte, hält nun immer mehr auch im Kino Einzug – genau das zeigen „Spider-Man: No Way Home“ und „Matrix Resurrections“ mehr als je zuvor. Denn während es selbstredend ein großes Vergnügen für alle Fans ist, wenn ihre Träume von Filmemacher*innen in die Tat umgesetzt werden, sollte das Publikum eines nicht vergessen: Aus großer Kraft folgt große Verantwortung, um Onkel Ben (und nun auch Tante May) zu zitieren. Unsere Entscheidungen, welche Tickets wir kaufen und welche Meinungen wir im Internet veröffentlichen, beeinflussen künftige Filme.
Aber nur weil ich meinen Burger bei McDonald's ohne Gurken und mit doppelt Käse bestellen kann, weil er mir so eben besser schmeckt, wird daraus noch lange kein Gourmet-Menü. Und genau so verhält es sich auch im Kino: Natürlich kann es auch mal schön sein, wenn ein Film meine Erwartungen erfüllt. Aber wird es nicht erst dann richtig interessant, wenn er etwas Neues wagt, etwas von dem ich nicht einmal wusste, dass es mir gefallen würde?
"Matrix 4" in der Podcast-Diskussion: Gelungen oder gescheitert?
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