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    Zu viele Flops außer "Spider-Man: No Way Home": Warum mir die Zukunft des Kinos Sorgen macht
    Tobias Mayer
    Tobias Mayer
    -Redakteur
    Tobias liebt „Star Wars 8“ – und noch sehr, sehr viele andere Filme. Kino ist dabei immer eine gute Idee (zu jeder Jahreszeit).

    „Spider-Man 3: No Way Home“ ist in die Top 10 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten eingezogen. Er ist ein Super-Hit in den Kinos, doch ansonsten sind die Einnahmen dermaßen eingebrochen, dass ich mir Sorgen um die Zukunft der Kinos mache.

    Sony Pictures / Marvel

    +++ Meinung +++

    2019 betrug der weltweite Kinoumsatz laut Angaben der Motion Picture Association of America 42,2 Milliarden US-Dollar. Marvel-Fans begeisterten sich für „Avengers: Endgame“, Kinofreunde mit Faible für Filmgeschichte genossen „Once Upon a Time... In Hollywood“ von Quentin Tarantino und in der Fachpresse wurde darüber diskutiert, ob „Joker“ eine schockierende Charakterstudie ist oder ein schockierend oberflächlicher Möchtegern-Scorsese-Film. Beim Wort „Corona“ dachten die meisten damals noch an Bier.

    2020 schrumpfte der globale Umsatz an den Kinokassen auf miserable zwölf Milliarden US-Dollar zusammen. Der Top-Film aus diesem Jahr, der chinesische Kriegsfilm „The 800“, spielte mit 461 Millionen US-Dollar so wenig Geld ein, dass es 2019 gerade mal für Platz 17 gereicht hätte. Temporäre Kinoschließungen, in der Auslastung reduzierte Säle und viele Verschiebungen von Top-Filmen wie „James Bond – Keine Zeit zu sterben“ oder „Fast & Furious 10“ ließen das weltweite Kino-Einspielergebnis zusammenschmelzen wie eine Eistüte, die auf einem heißen Filmprojektor abgelegt wurde.

    Für 2021, als die Kinos wieder länger offen waren und mehrere Blockbuster starten konnten, allen voran der Super-Hit „Spider-Man: No Way Home“, wird nach einem ersten, beim Branchenmagazin Deadline publizierten Kassensturz mit einem Umsatz von 21 Milliarden US-Dollar gerechnet. Das ist deutlich mehr als 2020, jedoch immer noch halb so viel wie 2019. Mit einer Erholung auf einen Wert von mehr als 40 Milliarden wird frühestens für 2023 gerechnet – aber wie viele Kinos wird es bis dahin noch geben?

    Den Kinos geht es schlecht

    Die Kinobranche war in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte zwar schon mehrfach unter Druck. Zuvor war meist ein neu aufkommendes Medium dafür verantwortlich: in den 50ern das Fernsehen, in den 80ern die VHS, Ende der 90er die DVD. Heute aber wird die Branche von einem Doppelschlag aus Streaming und einer globalen Pandemie erschüttert: Während die Kinos in den Jahren 2020 und 2021 über Monate hinweg schließen mussten, bekamen die Streamingdienste mehr und mehr Abonnent*innen.

    Allein für den größten Dienst Netflix wurden im Zeitraum 2020 bis ins dritte Quartal 2021 mehr als 30 Millionen neue Abos abgeschlossen. Die Investoren mögen ob des zuletzt abflachenden Netflix-Wachstums besorgt sein, gleichwohl gilt Streaming als Zukunftsmodell. Entsprechend richten die großen Medienkonzerne ihre Film- und Serienproduktion darauf aus. Die Corona-Pandemie hat dabei eine Entwicklung beschleunigt, über die zuvor Jahrelang diskutiert wurde:

    Neue Filme, sollten sie überhaupt ins Kino kommen, laufen dort längst nicht mehr in jedem Fall exklusiv (der Marvel-Film „Black Widow“ wurde zeitgleich als Premium-VoD auf Disney+ veröffentlicht), oder sie sind mitunter bereits Wochen nach Kinostart als Stream verfügbar („Eternals“ startete schon am 12. Januar 2022 auf Disney+, obwohl das Marvel-Abenteuer erst Anfang November 2021 seine Kinopremiere hatte).

    Wer als Kinobetreiber*in jetzt noch glaubt, sich mit Kino-exklusiven Ausnahme-Hits wie „Spider-Man: No Way Home“ über Wasser halten zu können, dem kann ich nur zu einem außergewöhnlichen Optimismus gratulieren – oder gefährliche Naivität attestieren.

    Streamend in die Zukunft

    Mit Ausnahme von Sony haben inzwischen alle großen, filmproduzierenden Medienunternehmen eigene Streamingdienste auf den Markt gebracht, die eine immer höhere Priorität zu genießen scheinen –  Kino hingegen hat eine sinkende Priorität und der Erfolg von „Spider-Man: No Way Home“ dürfte daran wenig ändern, sondern stattdessen einen anderen besorgniserregenden Trend verschärfen:

    Aufwändige, teure Filme, basierend auf etablierten Marken und bestenfalls mit den Avengers im Allgemeinen oder Spider-Man im Speziellen, machen Kasse, der Rest nicht (mit vielleicht der Ausnahme von günstig produzierten Horrorfilmen).

    Alles floppt – außer den Avengers

    Von den 100 erfolgreichsten Filmen der Jahre 2010 bis 2020 basieren nur elf (!) nicht auf einer großen Marke (und zum Beispiel bei „Bohemian Rhapsody“ – dem Platz 6 von 2018 – oder den Christopher-Nolan-Filmen „Interstellar“ sowie „Tenet“ lässt sich schon darüber diskutieren, ob sie nicht doch auf ihre Art Marken-Filme sind).

    Mit „West Side Story“ und „Nightmare Alley“ floppten kürzlich die neuen Filme der Regisseure Steven Spielberg und Guillermo Del Toro in den Kinos. Der Star-besetzte „Nightmare Alley“ gehört dabei in die Kategorie der sogenannten Mid-Budget-Filme, das sind Stoffe mit einem Produktionsbudget von ca. 50 Millionen Dollar und der Flop ist ein weiterer Sargnagel in eine Kategorie, die im Kino eh schon so gut wie tot ist.

    Aber auch immer mehr günstig produzierte Indie-Filme werden (für große Summen) direkt von den Streamingdiensten gekauft und fehlen darum in den Kinos: Zum Beispiel der Sundance-Hit „CODA“ über eine Teenagerin und ihre Familie, die im Unterschied zu ihr nicht hören kann, läuft in vielen Ländern nur bei Apple TV+.

    Kino ist unersetzlich

    Die Kinos sind natürlich auch selbst in der Pflicht, das Erlebnis für das Publikum so angenehm und besonders wie möglich zu machen (und lange Werbeblöcke sowie dreckige Säle sind gewiss nicht besonders angenehm).

    Ihr Filmangebot aber hängt von den Entscheidungen ab, die auf der Produzentenseite getroffen werden und der Output wird leider zunehmend dünner und gleichförmiger. Dabei liebe ich das Kinoerlebnis doch gerade wegen seiner Vielfältigkeit. Ein Kinojahr ist für mich mit seinen Indie-Perlen, Horror-Schockern und bestenfalls ganz wunderbar eskapistischen Blockbustern eine Weltreise an unterschiedliche Orte und in die Herzen und Köpfe unterschiedlicher Menschen.

    Diese Vielfalt ist in Gefahr und mit ihr auch ganz konkret die Existenz mancher Kinos. Der aktuelle Mega-Erfolg des exklusiven Kino-Films „Spider-Man: No Way Home“ verstellt dabei den Blick auf die bitteren ökonomischen Realitäten der Branche. Dieser Hit ist schön und wichtig, doch er reicht nicht aus. Und im Gegenteil verschärft er sogar noch das Machtungleichgewicht zwischen den Verleihern und den Kinos.

    Je abhängiger die Kinos nämlich von Super-Hits wie „Spider-Man 3“ werden, desto einfacher können die Verleiher ihre Bedingungen zu Lasten der Kinos durchsetzen, wenn es etwa um die Anteile am Verkauf der Tickets geht oder um die Vorgabe, in wie vielen Sälen ein Film laufen muss.

    Ich habe kein Patentrezept zur Rettung der Kinos. Wenigstens bei einem bin ich mir aber sicher: Wer das Kino liebt, muss seine oder ihre Unterstützung demonstrieren. Lasst Netflix mal Netflix sein und geht stattdessen ins Kino. Wenn ihr euch jetzt auch trotz Impfungen und FFP-2-Masken nicht sicher genug fühlt, macht das, wenn es – hoffentlich sehr bald – wieder der Fall sein wird. Geht alleine, wenn ihr keine Begleitung findet und genießt die ungestörte Zeit mit einem guten Film und euren Gedanken. Oder tauscht euch mit anderen darüber aus. Kinoliebe ist ansteckend.

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