+++ Meinung (mit Spoilern) +++
Samstagabend, Berliner CineStar Original im Sony Center: Der größte Saal ist voll, alle guten Plätze (und einige der weniger guten) sind besetzt. Nicht schlecht in Zeiten, wo viele Filmgucker zum Netflix-Bingen auf dem Sofa bleiben, anstatt aus dem Haus zu gehen – oder zu jung sind, um zu wissen, dass man Filme auch größer gucken kann als auf dem Smartphone. Die Leute sind für den neuen Film von Quentin Tarantino hier, einem Kult-Regisseur, der zu den wenigen seiner Zunft gehört, dessen Name eine Marke ist.
Die Leute sind hier, um den neuen Tarantino zu schauen, der „Once Upon A Time… In Hollywood“ heißt. Gezeigt wird eine 35mm-Kopie, die Bilder auf der Leinwand kommen also wie früher von der Filmrolle anstatt von der Festplatte. Nostalgisches Flimmern statt neumodische Digitalästhetik. Man kann sagen: Hier sitzen Filmfans, die heiß auf einen Film sind. Und doch passiert im Publikum gut zwei Stunden lang… nichts.
Erst als Tarantino im wilden Finale mal wieder auf historische Fakten pfeift, kommt Stimmung in die Bude: Brad Pitt nebst Hund zerfetzen die Manson-Jünger, die in echt für die Ermordung von Sharon Tate, ihrem ungeborenen Baby sowie ihrer Hausgäste verantwortlich waren! Auf diesen grotesken, irre brutalen, in seiner Überraschung und Drastik sehr lustigen Tarantino-Moment musste das Publikum über zwei Stunden lang warten. Jetzt wird befreit gelacht, vorher maximal hier und da gekichert. Aber wenn die Zuschauer, die sich eine englische Originalversion (!) in der 35mm-Kopie (!!) ansehen, schon so dermaßen verhalten reagieren, wie wenig ist dann erst in „Once Upon A Time…“-Vorstellungen mit völlig normalem Kinopublikum los?
Tarantino: Ein Kino-Vollnerd, der macht, was er will
Wir von FILMSTARTS lieben „Once Upon A Time… In Hollywood“: Brad Pitt als saucooler Stuntman und Leonardo DiCaprio als zweifelnder Altstar sind jeder für sich grandios und erst recht im Zusammenspiel, Tarantino feiert das Kino der Sechziger mit zahlreichen Zitaten – und er enttäuscht die Erwartungen, wenn er Pitt und DiCaprio über weite Strecken des Films einfach nur ihrem Alltag nachgehen lässt, anstatt eine klassische Handlung zu bieten oder eine Aneinanderreihung ikonischer Momente der Sorte „Pulp Fiction“ bzw. „Kill Bill“. Doch wo sich wahrscheinlich alle Zuschauer drauf einigen können, dass Pitt und DiCaprio brillant sind und vielleicht das beste Tarantino-Duo seit Vincent Vega (John Travolta) und Jules Winnfield (Samuel L. Jackson), geht es bei den anderen beiden Punkten vor allem darum, wofür man Tarantino eigentlich mag.
Once Upon A Time... In HollywoodJa, Quentin Tarantino hat absurd-lustige Dialoge geschaffen wie das Burger-Gespräch aus „Pulp Fiction“, er hat meisterhafte Gemetzel inszeniert wie den Kampf der „Kill Bill“-Braut gegen die Crazy 88 und er hat Hitler getötet. Aber er hat auch einen Grindhouse-artigen Killer-Film namens „Death Proof“ gedreht, der vor allem daraus besteht, das Mädels-Gruppen rumlabern – und einen Western namens „The Hateful 8“, der vor allem daraus besteht, dass eine Gruppe Outlaws rumlabert und der genau zwei größere Settings hat: eine Kutsche und eine Hütte.
Der neue Tarantino ist super – aber ein ziemlicher Insider-Film
In „Once Upon A Time… In Hollywood” lässt er die Publikumserwartung ins Leere laufen, weil er einfach nur ein paar normale Tage im Leben von Hollywood-Stars zeigt. Dabei gehen auch einzelne Sequenzen nicht so aus, wie man denken könnte: Brad Pitts Cliff Booth besucht die Manson-„Familie“, aber obwohl eine bedrohliche „Texas Chainsaw“-Stimmung herrscht, passiert am Ende nicht viel mehr, als dass einer der Typen ordentlich verdroschen wird. Margot Robbies Sharon Tate hat eine schöne Zeit in der Playboy Mansion und eine noch schönere Zeit im Kino. Man lernt dabei eine Menge über die Figuren und über Hollywood – aber spektakulär ist das alles nicht.
„Once Upon A Time… In Hollywood“ ist außerdem Tarantinos vielleicht größter Insider-Film. In seinem Kopf ist das Hollywood der Sechziger sehr präsent, er selbst wuchs in diesem Jahrzehnt schließlich auf und hat die Filme dieser Ära später nicht einfach nur geschaut, sondern studiert (hört mal die Ausgabe des Pure Cinema Podcasts vom 3. Juli, in der Tarantino zu Gast ist). Doch auch unter vielen Kinofans sind die Filme von Steve McQueen oder Sharon Tate heute halt kaum mehr wirkliche Referenzpunkte.
Ganz zu schweigen davon, dass einige „Once Upon A Time…“- Zuschauer gar nicht gewusst haben dürften, welches brutale Schicksal Sharon Tate in echt ereilte – was die „Sharon geht spazieren“-Szenen ziemlich witzlos machen kann und das „Sharon wird gerettet“-Finale seiner größten Pointe beraubt.
Was zur Hölle ist "Moving Target"?
In den Wochen vor Kinostart habe ich mir zahlreiche Filme aus den Fünfzigern und Sechzigern angesehen, die Quentin Tarantino zur Vorbereitung empfohlen hat. Darunter waren Filme, von denen ich nach fünf Jahren FILMSTARTS-Festanstellung noch nie gehört hatte, zum Beispiel ein Thriller von Italowestern-Idol Sergio Corbucci namens „Moving Target“. Den kann man meines Wissens nirgendwo anders sehen als auf YouTube, wenn man nicht gerade von Tarantino persönlich, der eine 35mm-Kopie besetzt, zu einer Vorführung im eigenen Kino eingeladen wird. Die Szene aus „Once Upon A Time… In Hollywood”, in der Rick Dalton in einer Auto-Verfolgungsjagd über eine Brücke springt, ist in Wirklichkeit aus „Moving Target“ – aber das weiß halt einfach keine Sau.
Ich hab von Leuten gehört, die mit „Once Upon A Time… In Hollywood” viel Freude hatten, obwohl sie sich im Hollywood der Sechziger nicht sonderlich gut auskennen. Auch sie saßen am Samstagabend in der 35mm-Vorfürhung im Berliner Cinestar Original. Und es ist völlig okay, von einer Geschichte über die Luxusnöte eines alternden Sechziger-Schauspielers nicht aus den Latschen gehauen zu werden. Ich werfe niemandem vor, dass er „Once Upon A Time“ nicht mag. Quentin Tarantino wurde einfach ein Stück weit zum Opfer seines eigenen Images:
Der Mann kann grotesk-lustige Momente inszenieren, die noch in zwanzig Jahren auf T-Shirts durch die Gegend getragen werden, ja. Vor allem aber ist er ein Regisseur, der sich die Freiheit erarbeitet hat, zu machen, was er will – und das ist dann eben nicht zwangsläufig „Kill Bill 3“, sondern manchmal auch einfach eine mehr als zweieinhalb Stunden lange Geschichte über einen ehemaligen Western-Star aus dem Jahre 1969, die so manchen Tarantino-Fan enttäuscht.
"Once Upon A Time… In Hollywood": So viel Wahrheit steckt in Quentin Tarantinos Film