Menschen neigen dazu, Dolph Lundgren wegen seiner oft stereotypen Rollen abzustempeln. Doch diesen Fehler sollte man nicht machen. Immerhin hat er einen Universitätsabschluss als Chemie-Ingenieur. Aber mit diesen Vorurteilen kommt der Schwede klar, zumal sich seine Cleverness über die Jahre mehr und mehr herumgesprochen hat. Aktuell hat der B-Movie-Actionstar mit dem Boxer-Drama „Creed II“ und dem Comic-Blockbuster „Aquaman“ plötzlich zwei ganz heiße Blockbuster am Start. Wir treffen den 61-Jährigen im Londoner Grosvenor Hotel. Lundgren, ein immer noch sehr muskulöser Typ mit mächtigen Oberarmen, die aus seinem T-Shirt herausragen, bestellt mit seiner markant tief-brummigen Stimme Tee. Wir befinden uns im vierten Stock, eine Etage tiefer steigt parallel das Junket zu „Aquaman“. Lundgren pendelt den Tag über zwischen beiden Interview-Sets hin und her – und ist trotzdem bester Laune...
FILMSTARTS: Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit zu so einer ikonischen Rolle zurückzukehren?
Dolph Lundgren: Das fühlt sich sehr gut an. Jetzt, nach dem Film, fühlt es sich sogar fantastisch an, weil ich endlich auch die andere Seite des Charakters Ivan Drago zeigen konnte. Er ist immer noch diese ikonische Figur, nur diesmal eben auch viel komplexer.
FILMSTARTS: Die Rolle begleitet dich nun seit 1985 auf Schritt und Tritt, jeder bringt dich damit in Verbindung. Ist das Fluch oder Segen für dich?
Dolph Lundgren: Beides. Es war ein Segen, weil mich diese Rolle sehr schnell ins Geschäft gebracht hat. Ich habe 69 Filme gemacht, das hatte also offensichtlich einen Effekt. Anderseits hat mich das auch ein Stück weit auf Figuren festgelegt, die nicht sonderlich emotional und verwundbar sind. Aber „Creed II“-Regisseur Steven Caple Jr. hat entschieden, diesen neuen Ivan Drago sehr verletzlich zu machen. Ich hoffe, dass „Creed II“ „Rocky IV“ jetzt in gewisser Hinsicht ersetzt und ich fortan für alle möglichen Rollen in Frage komme und nicht nur für Russen oder Killer. Aber wir werden sehen.
Was Ivan Drago aus "Rocky IV" mitbringt
FILMSTARTS: Du hast es selbst schon angesprochen, dieser Ivan Drago hat sich über die Jahre verändert, ist verwundbarer. Ist da trotzdem immer noch ein Stück dieser „I must break you“-Einstellung aus „Rocky IV“ in ihm?
Dolph Lundgren: Ja, eine Menge. Wenn wir ihn zum ersten Mal in „Creed II“ auf der Leinwand sehen, ist er fest entschlossen, um jeden Preis zu gewinnen. Es geht um seine Reputation, sein Land, seine Berühmtheit, das alles kann er nur zurückbekommen, wenn er gewinnt. Auf eine Weise muss er Leute brechen, auch seinen Sohn Viktor Drago. Er ist also bereit, alle zu brechen. Das ist ja das Interessante an der Figur, er hat diese Einstellung, musste eine Menge Schmerzen erleiden. Das Publikum bekommt die volle Drago-Dröhnung, aber zusätzlich eben auch noch diese andere, neue Seite.
FILMSTARTS: In „Rocky IV“ war Ivan Drago ein bedrohlicher, aber eindimensionaler Bösewicht. Hattet ihr damals eigentlich eine Hintergrundgeschichte für ihn entworfen?
Dolph Lundgren: Ja, das hatten die Macher tatsächlich. Die Leute haben Ivan Drago immer nur als Bösewicht betrachtet. Aber er hatte auch etwas Trauriges, das sowjetische System hat ihn ausgenutzt. Es war nicht seine Idee, Apollo umzubringen, die Sowjets haben ihn beauftragt, so zu handeln. Die Hintergrundgeschichte, die sie mir damals gegeben haben, besagte, dass er als Kind von seinen Eltern getrennt wurde und wegen seines Talents in Kaderschmieden zu einem Kämpfer ausgebildet wurde. Die Eltern hatten nichts zu entscheiden, nur der Staat – wen er heiratet, wie er sich anzieht, sein Training, sein Team, alles. Auch die Steroide, die er nehmen musste. Ich kann mich nicht mehr an alle Details erinnern, aber er hatte den Anspruch, dem System zu beweisen, dass er der Beste war. Ich erinnere mich daran, als ich mich für den finalen Kampf vorbereitete, was übrigens das Erste war, was wir gedreht haben. Da bin ich mit einer echten „Ihr könnt mich alle am Arsch lecken“-Einstellung in den Ring gestiegen. [lacht] Ich bin hier der Boss.
Dolph Lundgren schlug eine Menge Hass entgegen
FILMSTARTS: Ist dir denn damals nach „Rocky IV“ eine Menge Hass entgegengeschlagen, weil du ja quasi den „bösen Kommunismus“ repräsentiert hast?
Dolph Lundgren: Oh, ja. Da kam eine Menge. Weil ich Apollo Creed umgebracht habe und weil ich für die Sowjetunion stand. Über die Jahre wurde das besser, weil die Menschen erkannt haben, dass es da diesen Typen namens Dolph Lundgren gibt, der Drago nur gespielt hat – das sind zwei unterschiedliche Leute.
FILMSTARTS: Ach, du bist gar nicht Ivan Drago, sondern eine eigenständige Person?
Dolph Lundgren: [lacht] Ja, tatsächlich. Viele Leute haben mitgekommen, dass ich eine gute Ausbildung hatte und ein eigenes Leben führe. Aber ja, es gab eine Menge Hass und Ablehnung, aber ich hoffe, dass die Menschen spätestens nach „Creed II“ nun ihre Meinung darüber ändern.
FILMSTARTS: Ich habe gehört, du sprichst gleich mehrere Sprachen. Aber wie sieht es eigentlich mit deinem Russisch aus, das du ja auch in „Creed II“ wieder sprechen musst?
Dolph Lundgren: Weißt du, das ist nicht so gut. Ich kann die Sprache ein bisschen, ich war auch schon in Russland und habe Russen in ein paar Filmen gespielt. Für „Creed II“ musste ich 40 Zeilen lernen. Und zwar emotionale Dialoge, bei denen ich mit meinem Filmsohn Viktor diskutiere. Das war schon sehr schwierig. Das ist auch der einzige Grund, warum mich die Idee an „Creed 3“ abschreckt. Dann denke ich: „Oh, nein. Wenn ich noch mehr Russisch sprechen muss, wird mich das umbringen.“
FILMSTARTS: Wirst du denn in „Creed III“ dabei sein?
Dolph Lundgren: Ich weiß es nicht.
FILMSTARTS: Würdest du denn gern mitmachen?
Dolph Lundgren: Auf eine gewisse Weise will ich das, ja. Weil ich die Figur jetzt mag. Er ist ein interessanter Typ, der einen bestimmten stereotypischen Mann repräsentiert. Einen alten, wütenden Mann, der einen liebenswerten Kern hat, ohne es zu wissen. Mein Vater war auch so. Deswegen würde ich ihn schon gern spielen, aber dann hoffentlich mit nicht so viel Russisch.
Dolph Lundgrens Ideen für "Creed III"
FILMSTARTS: Wie stellst du dir denn die Zukunft von Ivan Drago in „Creed III“ vor, wenn die Figur in dem Film vertreten wäre?
Dolph Lundgren: Darüber habe ich noch gar nicht groß nachgedacht. Aber eine Idee, die zirkuliert, ist ein Rückkampf zwischen Adonis Creed und Viktor Drago. Eine weitere lose Idee: Da ist eine Szene, die wir gedreht haben, die aber nicht im Film ist. Am Ende nach dem Kampf hat Adonis ein Treffen mit Dragos Sohn Viktor. Dann komme ich rein und wir haben einen Augenblick zusammen, wo Adonis Ivan Drago vergibt, seinen Vater getötet zu haben. Das ist ein großer Moment für mich, für Ivan Drago. Wenig später kommt Rocky dazu und die beiden tauschen einen Blick aus, der sagt: „Hey, lass‘ uns die Vergangenheit vergessen und nach vorne blicken.“ Das wurde leider rausgeschnitten.
FILMSTARTS: Das ist traurig.
Dolph Lundgren: Ja. Es war eine sehr gute Szene, wie ich gehört habe. Ich habe sie selbst nie gesehen, man sagte mir nur, sie sei sehr gut. Ich weiß auch nicht, warum sie rausgeflogen ist. Vielleicht hat sie den Erzählfluss gebremst oder sie haben sie sich für den nächsten Teil aufgehoben, wo Rocky und Drago womöglich zu Freunden werden könnten.
Wie Dolph Lundgren und Sylvester Stallone wieder zueinanderfanden
FILMSTARTS: Wie war denn die Zusammenarbeit mit Sylvester Stallone nach so einer langen Zeit?
Dolph Lundgren: Schau, ich habe die „Expendables“-Filme mit Sylvester gedreht, ich kannte ihn also noch sehr gut. Wir haben uns in Los Angeles auch privat ab und zu gesehen, aber direkt habe ich mit ihm seit 1985 nicht gespielt. Damals war meine Figur sehr gemein zu ihm, ich war der Antagonist. Damals kannte ich ihn kaum, deswegen war das nicht weiter schwer. Inzwischen kenne ich ihn aber sehr gut. Wir hatten unsere Hochs und Tiefs, das musste ich im Film emotional nutzen, um ihm auch in „Creed II“ gegenübertreten zu können.
FILMSTARTS: Standest du denn seit 1985 mit Sylvester Stallone wegen eines möglichen Comebacks von Ivan Drago in Kontakt?
Dolph Lundgren: Wir haben zunächst über Jahre nicht so viel miteinander gesprochen, so ungefähr zwischen 1988 und 2005. Dann trafen wir uns in Los Angeles durch Zufall und haben ein bisschen zusammen geredet. Dann kam das „Expendables“-Franchise, es hat uns sechs Jahre gekostet, drei Filme zusammen zu machen. Aber wir haben nie über Ivan Drago gesprochen, nicht einmal über „Creed“. Ich wusste gar nichts über „Creed“. Ich ging dann zur Premiere und war geschockt. Oh Gott, das ist so ein guter Film wie damals der erste „Rocky“.
FILMSTARTS: Und du hast dich gefragt, warum du nicht dabei bist?
Dolph Lundgren: Ja, genau. Aber ich war auch froh, nicht dabei zu sein, weil mir ja klar war: „Ich bin der Typ, der Adonis Creeds Vater getötet hat.“ Die Leute werden mich hier lynchen. Aber das passierte zum Glück nicht. Kein Groll.
FILMSTARTS: Es ist ja auch nur ein Film.
Dolph Lundgren: [lacht] Es ist ein Film. Danach entwickelte Sylvester die Idee zu „Creed II“ und ich fragte mich: „Will ich diesen Typen wirklich noch einmal spielen?“ Ich war nicht sicher, denn es stand so viel auf dem Spiel. Ich wollte die Drago-Rolle nicht versauen, nicht wieder einen eindimensionalen Charakter spielen... aber letztendlich ist ja zum Glück alles gut ausgegangen.
FILMSTARTS: Bist du ein wenig traurig, dass du in „Creed II“ nicht selbst in den Ring steigen darfst?
Dolph Lundgren: Nein, nicht wirklich. Vielleicht hatte ich das Gefühl, dass meine Rolle durchaus ein wenig physischer hätte sein können, aber fünf Wochen pausenlos zu boxen, hätte ich einfach auch nicht mehr geschafft. Ich wäre im Krankenhaus gelandet. Michael B. Jordan und Florian Munteanu waren großartig. Ich musste den Stab an die beiden weiterreichen und dafür mehr ins Schauspiel investieren.
Dolph Lundgren schwärmt von bizarrem Brigitte-Nielsen-Cameo
FILMSTARTS: Im Film gibt es ein Cameo von Brigitte Nielsen.
Dolph Lundgren: Oh ja.
FILMSTARTS: Wie war denn dein Wiedersehen mit ihr?
Dolph Lundgren: Als ich das Drehbuch gelesen habe, war ich geschockt, als ich die Stelle entdeckte.
FILMSTARTS: Ich auch. Was zum Teufel?!
Dolph Lundgren: Ja, was für eine großartige Idee. Jeder musste darüber Stillschweigen bewahren. Aber ich war sehr glücklich darüber, dass sie dabei ist – aus dramaturgischen Gründen. Dann saß ich eines Tages beim Dreh in meinem Trailer und jemand sagte: „Brigitte will dir Hallo sagen.“ Sie kam rein, sie ist soooooo groß, aber sehr nett, eine sehr nette Frau. Das weckte Erinnerungen an „Rocky IV“, sie heiratete ja damals im richtigen Leben meinen Boss Sylvester Stallone. Aber auch für Sylvester war es komisch, er hatte sie seit 35 Jahren nicht gesehen, so hat er es mir zumindest erzählt. Also tauchte sie dann einfach am Set auf, es war bizarr für ihn und alle anderen auch. Aber in gewisser Weise hat sich so der Kreis geschlossen.
Die PR-Agentin des Verleihs kommt rein, die Interviewzeit ist abgelaufen. Bei der Verabschiedung fragt Dolph Lundgren nach, wie mir der Film gefallen habe.
FILMSTARTS: Sehr gut, ich mag die „Rocky“-Reihe sehr, und auch „Creed II“. Nur den fünften „Rocky“-Teil finde ich furchtbar.
Dolph Lundgren: Oh ja, Teil 5 war so lala. Meine Favoriten sind „Rocky“, „Creed“ und dieser natürlich. Und da ich „Rocky IV“ gemacht habe, mag ich den auch irgendwie.
FILMSTARTS: „Rocky IV“ macht zumindest eine Menge Spaß. Und Ivan Drago ist eine tolle Figur!
Dolph Lundgren: Ja, er ist ein Guter...
„Creed II“ läuft seit dem 24. Januar 2019 in den deutschen Kinos.