Nachdem „Venom” an den Kinokassen ein so großer Erfolg wurde, scheint der Weg für ein Sequel frei zu sein. Noch wurde „Venom 2” nicht offiziell angekündigt, zunächst will Sony schließlich mit „Morbius” und „Kraven” das neu gestartete, hauseigene Marvel-Universum ausbauen. Aber da Tom Hardy bereits für zwei weitere Auftritte als Eddie Brock unterschrieben hat und in der Mid-Credit-Scene von „Venom” auch Woody Harrelson als Cletus Kasady (der in den Comics zu Carnage wird) zu sehen war, scheint ein Comeback von Venom so gut wie sicher. Beim angeteasterten Aufeinandertreffen der beiden Symbionten muss sich jedoch so einiges ändern: Nur mit radikaler Neuausrichtung kann „Venom 2” meiner Ansicht nach noch etwas werden...
Zunächst einmal kann ich die schwachen Kritiken zu „Venom” nur unterschreiben: Der Antiheldenfilm verdient nämlich diese Bezeichnung gar nicht. Dass Tom Hardys Eddie Brock schlichtweg zu gutmütig ist und auch der Umgang mit Gewalt ein Problem für die Comicverfilmung darstellt, hat bereits mein Kollege Markus Trutt ausführlich erklärt. Die Schwäche von „Venom” ist dabei nicht, das die Gewalt fehlt, sondern wie diese suggeriert wird. Mit übertrieben deutlichem Dialog auf abgerissene Köpfe hinzuweisen, ist ganz schön schwach und undurchdacht. Brutalität nicht zeigen zu müssen aber trotzdem spürbar zu machen, haben andere Filme und ihre Macher schon so viel besser hinbekommen, warum hat sich Regisseur Ruben Fleischer nicht zum Beispiel ein bisschen was von Alfred Hitchcock abgeschaut? Der legendäre Thrillermeister verstand es nämlich wie kaum ein Zweiter, den Schrecken mit Hilfe der Fantasie des Zuschauers in dessen Kopf zu erzeugen (wie etwa bei der Duschszene in „Psycho”, wo wir das Einstechen des Messers kaum zu sehen bekommen und dennoch schockiert zusammenzucken). Auch wie Ridley Scott den ersten Angriff seines Monsters in „Alien” inszeniert, offenbart wie clever und furchteinflößend man Gewalt suggerieren kann.
VenomDabei hatte ich gerade wegen Fleischer noch gewisse Erwartungen an den Film. So wenig mich die Trailer im Vorfeld überzeugen, von dem 43-Jährigen konnte man etwas Besonderes erwarten. Mit „Zombieland” und „Gangster Squad” schuf der Filmemacher jedenfalls zwei für mich herausragende Werke mit jede Menge Biss und großartigen Darsteller-Ensembles. Diese Gruppendynamik fehlt in „Venom”, auch weil einzig allein Eddie Brock im Mittelpunkt steht.
In „Venom 2” wird dieser allein aber nicht reichen. Bei aller Leinwandpräsenz eines Tom Hardy: Ohne interessante Nebenfiguren kann auch der groß aufspielende Brite so einen ganzen Film nicht tragen. Für das Sequel braucht es also Charaktere, die Eddie mit Charisma und Tiefe etwas entgegensetzen zu haben. Ruben Fleischer kämen besser herausgearbeitete Figuren jedenfalls zugute, sollte er auch beim Sequel Regie führen dürfen. Denn die Origin-Story von Eddie ist endlich erzählt, die Weichen sind gestellt, es kann also jetzt erst richtig losgehen (und bei so einem mauen Vorgänger eigentlich auch nur besser werden).
Der "The Dark Knight"-Effekt
Avi Arad, quasi der Showrunner des neuen Sony-Universums, ließ bereits gegenüber Collider verlauten, dass man auch beim Sequel vielleicht auf eine niedrige Altersfreigabe setzt, verständlich bei den Einspielergebnissen von „Venom”. Das muss aber kein Problem für den Film sein, im Gegenteil: Es schafft Möglichkeiten. Möglichkeiten für Fleischer, seinen Schurken und sein Handeln auf eine andere wie interessante Weise in Szene zu setzen. So oder so muss sich Teil Zwei komplett von seinem Vorläufer unterscheiden. Hier sei die DC-Comicverfilmung „The Dark Knight” erwähnt, für die Christopher Nolan ebenfalls einen ganz anderen Ansatz wählte, als es noch vorher beim Trilogie-Auftakt „Batman Begins” der Fall war. Warum also nicht auch bei „Venom” einen Umbruch probieren?
So kann man selbst mit derselben Altersfreigabe für einen erwachseneren wie auch düstereren Ton sorgen - wenn zum Beispiel mal die Konsequenzen der Handlungen der Helden und Schurken auf die Bewohner der Stadt eine Rolle spielen würde. Eddie könnte zudem viel mehr mit seiner gespaltenen Persönlichkeit ringen und von deutlich schwereren Schicksalsschlägen getroffen werden, als nur von seiner Freundin verlassen zu werden. Außerdem kann ich mir ich Anleihen ans Horrorgenre und ein neues musikalisches Leitmotiv, passend zur dualistischen wie schizophrenen Ausrichtung des Charakters, sehr gut vorstellen. Ein solcher Film, der auch mal unangenehm sein kann. wäre jedenfalls deutlich spannender und überraschender als ein 08-15-Blockbuster.
Einer der größten Schwachpunkte von „Venom” ist nämlich, dass es sich schlichtweg um Fließbandarbeit von der Stange handelt. Es ist (von einigen Fanservice-Momenten einmal abgesehen) kaum Liebe zum Detail zu erkennen, eine Intention, nur möglichst viel Geld zu machen, ist an allen und Ecken und Enden zu vermuten. „Venom 2” muss viel mutiger und kreativer werden, ebenso wie es Ruben Fleischer auch in seinen vorherigen Filmen sein durfte. Wenn man sich schon von Disneys MCU absetzen und von dessen Spider-Man distanzieren will, dann sollte man diesen Willen zur Eigenständigkeit auch im Film spüren.
In der ersten Hälfte von „Venom” blitzt dieser eigene Geist auch immer wieder kurz auf. Der Absturz und der persönliche Verfall von Eddie zählen zu den stärksten Momenten der Geschichte, bis diese plötzlich in einem wirklich lahmen Superheldenfilm mündet. Auch die leise Silicon-Valley-Kritik bietet noch vielversprechende Ansätze, ist am Ende aber zu plakativ und verläuft schließlich im Sande. Davon abgesehen kann ich Tom Hardy die Rolle des rasenden Reporters und investigativen Journalisten einfach nicht abnehmen. Diese Part wirkt so wahnsinnig aufgesetzt.
Eddie und seine Stadt San Francisco sollten daher unbedingt im zweiten Film besser genutzt werden. Heißt: Es braucht ein lebendiges Setting statt nur Kulisse und eine Hauptfigur, welche durch ihren „Parasiten” sich auch wirklich in eine dunkle Richtung entwickelt, auf amoralischen Pfaden wandelt und zu einem wahrlich bösen Schurken reift, der das Prädikat Antiheld auch verdient hat. Tom Hardys Protagonist darf nicht mehr als der Mann wiederzuerkennen sein, der er noch zu Beginn von „Venom” war.
Warum Carnage in "Venom 2" zum Problem werden könnte
Dies könnte man auch direkt für die Einführung von Carnage nutzen, denn nach der Ankündigung im Abspann von „Venom” wissen wir: Der bösartige Symbiont wird im Sequel dabei sein und von Woody Harrelson verkörpert. Dessen irren Serienmörder Cletus Kasady sehen wir im Gefängnis, wo Eddie ihn besucht und interviewt. Cletus kündigt dabei schon ein „Gemetzel à la Carnage” (und ja, ich finde diese plumpe Anspielung unglaublich dämlich) an, die Konfrontation mit Venom steht also bald bevor, auch wenn Kasaday noch nicht mit dem Symbionten verschmolzen ist. In den Comics spielt die Begegnung von Eddie und Cletus eine große Rolle für die Entstehung von Carnage, jedoch ist die Ausgangslage ganz anders. Da sitzt auch der kriminelle Eddie in Haft und teilt sich mit Cletus eine Zelle. Eddies Symbiont Venom verhilft seinem Wirt schließlich zur Flucht, bringt dabei aber einen eigenen Nachwuchs zur Welt: Carnage, welcher sich mit Cletus vereint.
In „Venom“ ist Eddie aber kein wirklicher Bösewicht und lernt Cletus auch nicht in einer gemeinsamen Zelle kennen, sondern besucht ihn nur als freier Mann. Das lässt natürlich vermuten, dass man für die Filmwandlung des Killers zu Carnage einen anderen Weg geht als in den Comics - oder vielleicht doch nicht? Wenn nun Tom Hardys Eddie Brock im Sequel eine finstere Seite bekommt, vielleicht wirklich zum Kriminellen wird, könnte man den Bogen zu den Vorlagen schlagen.
Ich fände den Ansatz zumindest sehr interessant, Eddie in ein Loch stürzen zu lassen, bis dieser sich schließlich doch noch aufgrund einer Gefängnisstrafe eine Zelle mit Cletus teilen muss. Auf jeden Fall darf der Protagonist kein strahlender Held mit Gewissensbissen und lediglich einigen Kleinganoven-Anleihen bleiben, ich will einen so bösen Venom, dass er mir Angst einjagt. Denn das hat bei mir immer auch die Comic-, beziehungsweise die Zeichentrickversion des Spidey-Widersachers und sogar Topher Graces Variante in „Spider-Man 3” besser geschafft. Tom Hardy im CGI-Korsett bleibt mir das noch schuldig.