Der Plan, dem in seinen Comics bisweilen ziemlich blutrünstig auftretenden Venom einen eigenen Kinofilm zu spendieren, existiert bereits seit 2007: In dem damals noch als Spin-Off von Sam Raimis „Spider-Man“-Trilogie angedachten Projekt sollte erneut Topher Grace in die Rolle des Marvel-Antihelden schlüpfen. Aber nach den mauen Kritiken für „Spider-Man 3“ lehnte der „Die wilden Siebziger“-Star lieber ab. Nach dem Reboot „The Amazing Spider-Man“ im Jahr 2012 wurden die Rufe nach einem Venom-Comeback wieder lauter, zumal Sony sogar ein eigenes Spider-Man Cinematic Universe plante, in dem neben der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft vor allem die Superbösewichte im Mittelpunkt stehen sollten. Aber es kam wieder anders – und nach den enttäuschenden Reaktionen auf „The Amazing Spider-Man 2“ schloss Sony schließlich einen Bund mit den Marvel Studios, um Spider-Man einen Platz bei den Avengers und damit im Marvel Cinematic Universe (MCU) zu sichern.
Nach dem Erfolg von Spider-Mans Gastspiel in „The First Avenger: Civil War“ und dem Solo-Abenteuer „Spider-Man: Homecoming“ wuchs bei Sony erneut das Vertrauen in einen „Venom“-Film. Aber selbst wenige Wochen vor dem Kinostart hagelte es wieder kritische Schlagzeilen, weil sich die US-Freigabe ab 13 Jahren in den Augen vieler Fans mit dem rauen Ton der Vorlage nicht vereinbaren ließe. Regisseur Ruben Fleischer hat mit dem düster-eleganten Crime-Drama „Gangster Squad“ bereits sein Händchen für erwachsenere Stoffe bewiesen, in „Venom“ setzt er allerdings eher auf das ironische Augenzwinkern aus seinem Genre-Kulthit „Zombieland“. Das geht auf Kosten der Ambivalenz: Aus dem moralisch widersprüchlichen Anti-Helden Eddie Brock, der von einem außerirdischen Organismus in seinem Körper dazu gezwungen wird, ziemlich brutale und mehr als fragwürdige Dinge zu tun, wird im Kino ein Superheld, dessen schlecht rasiertes Gesicht eine dunkle Seite andeuten soll, die sich dann aber trotz Köpfe-Abbeißen nie wirklich materialisiert.
Eddie Brock (Tom Hardy) ist ein ebenso gewissenhafter wie draufgängerischer investigativer Reporter. Auf der Suche nach einer neuen Story kommt er den fragwürdigen Machenschaften der Life Foundation auf die Spur: Der Wissenschaftler Dr. Carlton Drake (Riz Ahmed) experimentiert mit einem außerirdischen Organismus und opfert dabei sogar Menschenleben. Als sich die verängstigte Mitarbeiterin Dr. Dora Skirth (Jenny Slate) hilfesuchend an Eddie wendet, wird der Reporter selbst zum Wirt für einen außerirdischen Symbionten, der sich Venom nennt und in günstigen wie ungünstigen Momenten immer wieder die Kontrolle über Brocks Körper übernimmt. Drakes Handlanger machen fortan Jagd auf Eddie, der gemeinsam mit seiner Ex-Freundin Anne (Michelle Williams) versucht, das Wesen irgendwie wieder loszuwerden. Aber Venom scheint sich in seinem neuen Gastkörper sehr wohl zu fühlen und denkt gar nicht daran, Eddie wieder freizugeben…
Vor allem in der ersten Stunde nehmen sich die Macher noch angenehm viel Zeit, um ihren unkonventionellen Helden als engagierten Journalisten einzuführen, der auch schon mal heimlich den Laptop seiner Freundin durchsucht, um an eine gute Story zu kommen. Und wenn sich Brock dann bei einer bemerkenswert brachial inszenierten Verfolgungsjagd mit seinem neuen Untermieter arrangieren muss, läuft dabei nicht nur Tom Hardy („The Revenant“) zu körperlicher und komödiantischer Höchstform auf. Die inneren Dialoge zwischen Brock und Venom, die sich ständig um die Hoheit über den Körper balgen, kommen zwar leider recht kurz, sorgen aber immer wieder für angenehm trockenen Witz. Auch das Skript findet hier eine stimmige Balance aus treffsicherer Situationskomik, spektakulären Actionszenen (Venom ist quasi ein Schutzengel auf Acid) und der schleichenden Bedrohung, die von dem unberechenbaren Parasiten aus dem All ausgeht.
Obwohl die Marvel Studios - im Gegensatz zu den neuen „Spider-Man“-Solofilmen – nicht in die Produktion von „Venom“ involviert waren, orientiert sich Ruben Fleischer offensichtlich am immer auch humorigen Tonfall der Marvel-Blockbuster. Zugleich reizen die Macher die Möglichkeiten eines PG-13-Ratings aber durchaus aus: So düster und – zumindest in Andeutungen - brutal war bislang kein Film aus dem MCU. Und ja, Venom darf seinen Opfern auch in der jugendfreien Fassung die Köpfe abbeißen. Allerdings kollidieren der leichtfüßige Tonfall und die derbe Inszenierung in der zweiten Filmhälfte zunehmend: Denn nach einer zwar nicht ganz vorlagengetreuen, aber immerhin launig erzählten Originstory überspringt der Film praktisch seinen kompletten zweiten Akt, um direkt in ein Finale überzugehen, das so ganz ohne Vorbereitung vor allem aus unübersichtlichem Getöse und unterdurchschnittlichen CGI-Effekten besteht.
Dabei wäre es der zweite Akt gewesen, in dem Brock und Venom alle Zeit der Welt gehabt hätten, um sich über die Vorherrschaft im Körper zu zanken. Stattdessen wird der eigentlich zentrale Konflikt in der jetzigen Fassung in einigen wenigen, vornehmlich lustigen Szenen abgehandelt. Die Abgründigkeit und Ambivalenz der Doppelfigur Brock/Venom bleibt dabei fast vollständig auf der Strecke: Ja, er bringt ein paar Menschen um, aber auch wirklich nur, wenn er ganz, ganz sicher ist, dass sie es auch verdient haben. Die Frage, ob es sich nun um einen Helden oder einen Anti-Helden handelt, stellt sich im Kino im Gegensatz zu den Comics gar nicht erst.
Und wenn es schließlich darum geht, die Pläne des größenwahnsinnigen Drake zu vereiteln, dann bleibt der Bösewicht derart blass und seine Motivation derart austauschbar, dass der finale Kampf alles andere als ein abschließendes Highlight darstellt. So ganz ohne einen emotionalen Zugang sehen wir auf der Leinwand lediglich, wie CGI-Figuren gegeneinander kämpfen – und ob nun gerade Venom oder sein Widersacher die Oberhand gewinnt, lässt sich auch nicht wirklich sagen. Marvel hat ja bekanntermaßen eh ein Bösewicht-Problem – aber Drake ist da noch mal ein deutlicher Ausreißer nach unten.
Fazit: „Venom“ hat eine große Stärke: Tom Hardy, der vor allem im inneren Widerstreit mit seinem außerirdischen Parasiten einen wunderbar trockenen Humor an den Tag legt. Aber dieser Teil des Films kommt genauso zu kurz wie die Ambivalenz der Titelfigur, die beim Sprung von den Comicheften auf die Kinoleinwand zugunsten eines austauschbaren Superhelden-Blockbusters geopfert wurde.