Er ist nicht nur der „Pate“ oder Colonel Kurtz; Marlon Brando ist vor allem eine faszinierende, facettenreiche Persönlichkeit - Mythos und Legende. Hinter der glitzernden Hollywood Fassade verbarg sich ein Mann mit rebellischen, dunklen, sensiblen und empfindsamen Seiten, ein von Konflikten geprägtes Leben voll Höhen und Tiefen. Mit Filmen wie „Endstation Sehnsucht“ (1951), „Der Wilde“ (1953) und „Die Faust im Nacken“ (1954) schrieb er schon in den jungen Jahren seiner Karriere Kinogeschichte und wurde zum Publikumsmagnet. Ganz Hollywood und die Presse rissen sich um den attraktiven Jungstar – und Brando zeigte sich von beidem wenig beeindruckt. Journalisten begegnete er mit Respektlosigkeit und Studios und Regisseure brachte er bei Filmen wie „Desirée“ (1954), dem Western „Der Besessene" (1961), oder „Meuterei auf der Bounty“ (1962) mit seinen Ansprüchen und Eskapaden regelmäßig an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.
In Brandos Kindheit und Jugend glauben die Biografen schon die Motive für seinen Werdegang in späteren Jahren erkennen zu können. Ein rebellischer Junge und schlechter Schüler sei er gewesen, der sich jeglicher Autorität entgegenstellte. Trotz der problematischen Verhältnisse seiner Eltern unterstützten sie ihn, als er für ein Schauspiel-Seminar nach New York ging und seine beispiellose Karriere ihren Anfang nahm. Auch sein späteres, von zahlreichen Affären geprägtes Privatleben war voller Turbulenzen. Einer kurzen und unglücklichen Ehe mit Anna Kashfi folgte ein jahrelanger Rosenkrieg und Sorgerechtsstreit um ihren gemeinsamen Sohn Christian, der nach jahrelanger Alkoholabhängigkeit 1990 wegen Totschlags verurteilt wurde. Christian hatte den Freund seiner Schwester Cheyenne im Streit erschossen. Cheyenne, eines seiner Kinder mit der Tänzerin Tarita Tumi Teriipaia, mit der Brando trotz vieler Unterbrechungen bis zu seinem Lebensende zusammen war, nahm sich 1995 das Leben.
Und sicherlich waren es auch seine eigenen dunklen Seiten und exzentrischen Eigenarten, die ihm die tiefgründigen Darstellungen seiner Figuren in „Der Pate“ (1972) und „Apocalypse Now“ (1979) erlaubten und sie so unvergesslich machen. Als er 1973 für seine Darstellung in Francis Ford Coppolas Mafia-Epos den Oscar als bester Hauptdarsteller entgegennehmen sollte, hielt aber an seiner statt eine Indianerin in der Tracht der Apachen eine Ansprache, was Publikum und Organisatoren gleichermaßen schockierte. Brando, der sich für die US-Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner und der Organisation des American Indian Movement einsetzte, wollte den Preis wegen der Behandlung der amerikanischen Ureinwohner durch Hollywood nicht annehmen. In seinen letzten Jahren führte eine der größten Filmlegenden ein abgeschiedenes und einsames Leben.
In „Listen to Me Marlon“ räumt Regisseur Stevan Riley mit Hilfe von bisher unveröffentlichten privaten Video- und Audioaufnahmen, Marlon Brando die Möglichkeit ein, sein Leben posthum noch einmal aus einer persönlichen und intimen Perspektive Revue passieren zu lassen. Die Showtime-Dokumentation feierte auf dem Sundance Film Festival 2015 seine Premiere und läuft in den USA am 29. Juli an. Ob wir auch in Deutschland in ausgewählten Lichthäusern in den Genuss von Brandos Stimme kommen, ist noch nicht bekannt.