In „September 5 – The Day That Terror Went Live“ (Kinostart: 9. Januar) beleuchtet Regisseur Tim Fehlbaum („Hell“) den Anschlag auf die Olympischen Spiele 1972 in München aus einer überraschenden Perspektive: Sein hochintensiver Medien-Thriller spielt vornehmlich in der lokalen Sendezentrale des US-Senders ABC, wo Techniker und Journalisten, die eigentlich nur ein Sportereignis übertragen sollten, plötzlich vor der Herausforderung stehen, einen Terroranschlag live in die amerikanischen Wohnzimmer zu bringen (» zur ausführlichen Filmkritik).
Hilfe bekommen sie dabei von der deutschen Übersetzerin Marianne Gebhardt, die sich, sobald sich die Ereignisse überschlagen, auch noch in vielerlei anderer Hinsicht als große Unterstützung erweist. Zum Beispiel erhält sie als erste neue Informationen von der Münchner Polizei. Gespielt wird der Part von Leonie Benesch, die erst vor wenigen Monat den ganzen Awards-Saison-Trubel mit „Das Lehrerzimmer“ durchgestanden hat, bis sich nun auch „September 5“ nach seiner Nominierung als Bester Film bei den Golden Globes direkt als nächste große deutsche Oscar-Hoffnung in Stellung gebracht hat.
Wir haben die Hamburgerin in Berlin zum persönlichen Interview getroffen:
FILMSTARTS: Die Geschichte von „September 5“ spielt 19 Jahre vor deiner Geburt. Wie hast du dich gefühlt, in eine Vergangenheit zurückzugehen, die du selbst gar nicht mitbekommen konntest?
Leonie Benesch: Es ist immer schön, wenn man Produktionsdesigner an Bord hat, die diese Welt von einst dann so zum Leben erwecken können. Unser Produktionsdesigner Julian Wagner hat ein großartiges Set erschaffen, an dem wirklich alle Maschinen und Walkie-Talkies funktionierten. Das ist dann einfach ein toller Spielplatz.
FILMSTARTS: Dadurch, dass die Handlung fast nur im Fernsehstudio spielt, war das Set aber doch sehr begrenzt. Half dir das oder war dir manchmal klaustrophobisch zumute?
Leonie Benesch: Nö, ich fand es genau richtig. Mir gefiel vor allem, dass das Set nach den Blue Prints des Original-ABC-Studios aufgebaut wurde. Klar war es anstrengend, so gequetscht und eng zu arbeiten. Da befanden sich viele Menschen auf einem kleinen stinkigen Raum. Egal wie gut die Zusammenarbeit verläuft, bleibt es dennoch anstrengend. Aber für die Geschichte, die wir erzählen wollten, war es genau angemessen.
FILMSTARTS: Wann hattest du das erste Mal von dem Münchner Olympia-Anschlag am 5. September 1972 gehört?
Leonie Benesch: Wahrscheinlich in der Schule, nehme ich an. Ich erinnere mich nicht genau. Deshalb setzte ich mich mit der Geschichte nochmals auseinander, als mir die Rolle angeboten wurde. Mir war natürlich das Bild von dem maskierten Mann auf dem Balkon bekannt. Ich wusste auch, dass dieses Massaker bei den Olympischen Spielen 1972 in München passiert ist. Aber die Details fehlten mir. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es ein Medienspektakel war. Ein 22-Stunden-Marathon an Live-Übertragungen. Auch war mir nicht bekannt, dass die Olympiade für Deutschland die Gelegenheit für ein PR-Makeover im Sinne von „Wir sind keine Nazis mehr“ sein sollte. Und das Ausmaß, wie die deutschen Behörden damals komplett versagt haben, war mir ebenso neu.
FILMSTARTS: Welche Details dieser erschreckenden Geschichte haben dich nochmals besonders umgehauen?
Leonie Benesch: Es ist ein absolutes Rätsel für mich, weshalb die deutsche Polizei damals Israels Hilfe abgelehnt hat. Einfach nur schockierend. Erst als Reaktion darauf wurde die Spezialeinheit GSG 9 der Bundespolizei gegründet.
FILMSTARTS: Was glaubst du, welche Lehren wir aus der Medienkritik in „September 5“ noch heute ziehen können?
Leonie Benesch: Ich weiß nicht, ob der Film Medienkritik vermitteln will. Was sich seit 1972 natürlich komplett verändert hat, ist die Technologie. Wir haben mittlerweile alle Kamera und Fernseher zugleich in der Hosentasche und können jederzeit Dinge streamen und teilen. Darin liegt eine unglaubliche Macht. Das hat einerseits dazu geführt, dass viele Bewegungen an Kraft gewonnen haben und dass Dinge nicht mehr so ungesehen geschehen können.
FILMSTARTS: Und andererseits?
Leonie Benesch: Andererseits bleibt die Frage, inwieweit es uns hilft, potenzielle und tatsächliche Gewalt live zu konsumieren, wenn es darum geht, einen darunterliegenden Konflikt oder eine Situation zu verstehen. Und die Fragen, die mit der Berichterstattung einhergehen wie ‚Was zeigt man?‘ oder ‚Inwieweit greife ich in das Geschehen ein, indem ich zeige, wessen Geschichte ist das?‘ sind genau dieselben geblieben wie vor 50 Jahren. Ich glaube, das zeigt der Film sehr gut.
FILMSTARTS: Du bist in den Neunzigerjahren geboren und aufgewachsen als gerade die ersten Mobiltelefone auf dem Markt kamen. Wie selbstverständlich ist dir diese Technologie und wie hat sie sich für dich bis heute verändert?
Leonie Benesch: Wie alt war ich, als ich mein erstes Handy hatte? Mit 13, glaube ich. Das war so ein silbernes Klapphandy, mit dem man für sehr viel Geld SMS verschicken und telefonieren konnte. Da kostete eine SMS 19 Cent. Da sind wir heute ganz woanders, vor allem nach dem gewaltigen Sprung mit den Smartphones.
FILMSTARTS: Die sozialen Netzwerke sind vor allem immer wichtiger geworden. Wie sehr und wie oft nutzt du sie?
Leonie Benesch: Gar nicht! Ich glaube, mir würde das nicht guttun. Ich möchte nicht dazu angehalten sein, Projekte zu bewerben, „nur“ weil ich dort mitgespielt habe. Ebenso mag ich nicht, dass in Verträgen festgehalten wird, welche Trailer man zu welchem Zeitpunkt zu posten hat. Denn was ist, wenn ich das Projekt nicht mag? Auch dass man sich permanent durch Follower-Zahlen mit anderen Personen vergleichen soll, ist nichts für mich. Bestimmte Menschen stellen sich so dar, wo ich erst mal sagen würde, dass mag ich auch nicht. Dann begegnet man ihnen, und sie sind ganz anders.
FILMSTARTS: Für viele Schauspielerinnen und Schauspieler sind die sozialen Medien in ihrem Beruf aber überlebenswichtig geworden…
Leonie Benesch: Der Beruf Schauspiel lädt dazu ein, etwa auf Instagram Markenwerbung zu betreiben. Ich mag das nicht, verstehe aber, wieso das passiert und dass es für viele die Haupteinnahmequelle geworden ist. Für mich verwischt es die Grenzen von Dingen. Ich möchte nicht damit konfrontiert werden, wer gerade was Tolles macht, obwohl es mir gerade nicht gutgeht. Und ich mag es nicht, dass jeder Post, jede Stellungnahme oder Nichtstellungnahme sofort wahrgenommen und kritisiert wird.
FILMSTARTS: Heute scheint es gang und gäbe zu sein, dass junge Schauspielerinnen und Schauspieler für eine Rolle überhaupt erst in die engere Wahl kommen, wenn sie so und so viel Follower nachweisen können. Bist du davon bisher verschont geblieben?
Leonie Benesch: Ich hatte das Glück, dass ich zu dem Zeitpunkt, als das zu so einem großen Ding wurde, schon einige Projekte gemacht hatte, die mich anschließend zu weiteren Projekten führten. Ich musste das also nicht vorweisen. Ich verstehe aber jede Person, die sich am Anfang ihrer Karriere Instagram zulegt. Dafür habe ich volles Verständnis.
FILMSTARTS: Wie informierst du dich in der Regel? Nutzt du klassische Medien wie Fernseher, Radio oder Zeitung, um dir die News zu holen und informiert zu sein?
Leonie Benesch: Nein, ich hatte noch nie einen Fernseher. Ich nutze verschiedene News-Outlets im Internet.
FILMSTARTS: Moment mal, du hattet du noch nie einen Fernseher, noch nicht mal als Kind bei deinen Eltern?
Leonie Benesch: Ich würde sagen, 90 Prozent von dem, was man im Fernsehen vorgesetzt bekommt, ist Schrott. Dass es so was wie die Tagesschau gibt, ist natürlich cool, aber die kriegt man auch als App, wenn man keine Lust auf Fernsehen hat. Meine Eltern mochten den Gedanken nicht, dass ein Bildschirm in einem Wohnzimmer der Ort ist, um den sich alles wie in einem Lagerfeuer sammelt. Meine Eltern wollten lieber das Lagerfeuer haben. Das heißt, wir hatten immer einen Kamin. Sie waren auch der Überzeugung, dass es besser ist, die Nachrichten zusammengefasst und eingeordnet zu bekommen, als sie live zu konsumieren.
FILMSTARTS: Das ist insofern spannend, weil du in „September 5“ eine Dolmetscherin spielst, die sich plötzlich in der Welt des Live-TV-Journalismus wiederfindet…
Leonie Benesch: Marianne Gebhardt, wie meine Figur heißt, wurde dem amerikanischen Fernsehteam vom Olympischen Komitee bereitgestellt, um vor Ort mit der deutschen Sprache auszuhelfen. Im Zuge unseres Films wird sie zu einer Art Fixer vor Ort.
FILMSTARTS: Marianne Gebhardt gab es nicht wirklich, sondern es wurden mehrere Figuren aus den damaligen Geschehnissen für deine Rolle zusammengelegt. Hat dir das trotzdem die Möglichkeit für Recherchen über die Beteiligten gegeben?
Leonie Benesch: Ich finde das befreiend, dass ich nicht die Verantwortung für eine Person, die reell existiert hat, übernehmen musste, um ihr möglichst gerecht zu werden. Es ist viel einfacher, wenn man weiß, dass es die Person nicht gegeben hat. Manche meiner Kollegen mussten aber anders vorgehen.
FILMSTARTS: Inwiefern?
Leonie Benesch: Sie spielten diese Sportjournalisten beziehungsweise News Heads wie Roone Arledge, Geoffrey Mason und Marvin Bader, die es tatsächlich so gegeben hat. Aber es wurde nicht versucht, ein Lookalike zu kreieren oder Manierismen zu übernehmen. Es ging Regisseur Tim Fehlbaum viel mehr darum, das Gefühl dieser Menschen und ihre Erfahrungen in diesen 22 Stunden einzufangen. Wir schauen ihnen bei der Arbeit zu, wie sie von Situation zu Situation auf Dinge reagieren, ohne die Zeit zu haben, ihr Handeln zu reflektieren.
TV-Technik aus einer längst vergangenen Zeit
FILMSTARTS: In „September 5“ wird es fast schon zelebriert, wie beim Fernsehen früher gearbeitet wurde. Wie fasziniert warst du beim Drehen von diesen nach heutiger Sicht komplizierten Prozessen?
Leonie Benesch: Ich finde es total schön, dass unser Film eine Art Love Letter an die analoge Welt des Fernsehmachens geworden ist. Ich liebe die Details, zum Beispiel wie früher Captions ins Bild kamen. Es ist sehr faszinierend zu sehen, wie früher kleine Buchstaben im Hintergrund eingeblendet wurden, und was für ein Kraftakt es war, ein Bild live zu senden. Heute musst du nur auf dem Handy einen Knopf drücken, und schon hast du dein eigenes Logo.
FILMSTARTS: Du bist weder Dolmetscherin noch Journalistin geworden. Wie bist du auf den Beruf Schauspielerin gekommen, wenn ihr zu Hause noch nicht mal einen Fernseher hattet?
Leonie Benesch: Die Leute wollen da immer so eine Geschichte hören: Das ist mir passiert, deswegen wollte ich Schauspielerin werden. Die gibt es bei mir leider nicht. Ich weiß nur, dass ich mir das schon mit elf oder zwölf Jahren fest vorgenommen hatte. Vielleicht war ich auch so fasziniert, gerade weil ich ohne großen Bildschirm großgeworden bin. Kino und Theater kannte ich auch nicht so, aber mit neun Jahren war ich in einem Kinderzirkus. Vielleicht ist dadurch eine bestimmte Faszination entstanden. In Bielefeld war ich dann auf derselben Schule wie Paula Kalenberg und habe sie gefragt, wie man Schauspielerin wird. Sie hat mir die Adresse ihrer Kinderagentur Maria Schwarz in Köln gegeben, und da habe ich mich beworben.
FILMSTARTS: Mit „Das Lehrerzimmer“ bist du auch international bekanntgeworden. In „September 5“ mit Stars wie Peter Sarsgaard und Ben Chaplin vor die Kamera zu treten, scheint der nächste Schritt zu sein. Wie sehr interessiert dich eine internationale Karriere?
Leonie Benesch: Genug, dass ich auf eine britische Schauspielschule in London gehen wollte. Der deutsche Markt erschien mir etwas limitiert. Ich will damit nicht sagen, dass es bei uns keine tollen Filmemacher*innen gibt. Im Gegenteil. Aber indem man eine andere Sprache, vor allem Englisch, akzentfrei zu sprechen lernt, erschließt man sich ganz andere Spielplätze. Das war natürlich schon der Hintergedanke.
FILMSTARTS: Kannst du uns schon etwas über deinen nächsten Film verraten?
Leonie Benesch: Als nächstes kommt „Heldin“ im Februar in die Kinos. Ein Film von der Schweizerin Petra Volpe über eine Pflegefachkraft, die von Anfang bis Ende ihrer Schicht begleitet wird. Judith Kaufmann hat den Film fotografiert.
FILMSTARTS: „September 5“ ist ja als Gewinner unserer Aktion „Deutsches Kino ist [doch] geil!“, in der wir jeden Monat einen deutschen Film – egal welcher Größe – redaktionell wie einen Blockbuster behandeln. Was könnte man deiner Meinung nach noch tun, damit das deutsche Kino hierzulande wieder so geschätzt oder gar gefeiert wird, wie es das in vielen Fällen auch einfach verdient hat?
Leonie Benesch: Ich bin gespannt auf die Änderung des Filmförderungsgesetzes und möchte wissen, was das mit sich bringt. Ansonsten ist das eine Produzentenfrage, glaube ich. Es wäre schön, wenn junge Talente gefördert werden, anstatt Rezept XY wieder aufzuwärmen, weil es schon zehntausend Mal so funktioniert hat.
FILMSTARTS: „Barbie“ und „Oppenheimer“ haben ja 2023 gezeigt, dass Kinofilme vom gegenseitigen Erfolg profitieren können. Die Leute haben wieder Bock aufs Kino. Welchen aktuellen deutschen Kinofilm sollten sie sich also nach „September 5“ anschauen?
Leonie Benesch: Zunächst möchte ich gerne einen litauischen Animationsfilm empfehlen: „Flow“, einer der schönsten Filme, die ich in den letzten Monaten gesehen habe. Und aus Deutschland empfehle ich „In Liebe, Eure Hilde“ mit der wunderbaren Liv Lisa Fries in der Hauptrolle und ebenfalls von Judith Kaufmann fotografiert.
Wenn ihr noch mehr zu „September 5“ wissen wollt, empfehlen wir euch unbedingt die aktuelle Folge unseres Podcasts, denn in der haben wir den Regisseur Tim Fehlbaum zu Gast: Wie er mit dem plötzlichen Awards-Trubel umgeht, ob er seine Reise nach L.A. schon gebucht hat und welche Tipps er sich von seiner Oscar-erfahrenen Hauptdarstellerin Leonie Benesch geholt hat, verrät uns Tim Fehlbaum in der neuesten Folge von „Leinwandliebe“:
Nachdem er seine Weltpremiere beim Filmfestival in Venedig gefeiert hat, läuft „September 5 – The Day That Terror Went Live“ am 9. Januar 2025 offiziell bundesweit in den Lichtspielhäusern. Wenn ihr nachschauen wollt, welche Kinos in eurer Nähe den Film zum Start spielen, dann könnt ihr das in unserem Kinoprogramm zu „September 5“ tun.