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    Psycho-Killer im Thriller-Meisterwerk: Das große FILMSTARTS-Interview mit "Verbrannte Erde"-Bösewicht Alexander Fehling
    Markus Tschiedert
    Markus Tschiedert
    Markus Tschiedert arbeitete schon während seines Studiums für die Berlinale und ist heute freier Journalist. Er leitet den ‚Club der Filmjournalisten Berlin‘, organisiert den Ernst-Lubitsch-Preis und veranstaltet Filmevents.

    Für Juli haben wir uns den kühl-präzisen Thriller-Noir „Verbrannte Erde“ für unsere Initiative „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt – da gehört ein Interview mit Schurken-Darsteller Alexander Fehling natürlich zwingend dazu...

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    Verbrannte Erde“ von Thomas Arslan ist der beste Gangsterfilm des Jahres – und für Fans puren Kinos ein absolutes Muss (-> zur ausführlichen FILMSTARTS-Kritik). Mišel Maticević spielt den abgeklärten Provi-Verbrecher Trojan, der den ausgeklügelten Diebstahl eines Gemäldes von Caspar David Friedrich organisiert – und dabei dermaßen cool zur Sache geht, dass selbst George Clooney sich da noch einiges abgucken kann. Aber ein starker Protagonist braucht auch einen starken Gegenspieler – und den verkörpert diesmal Alexander Fehling („Im Labyrinth des Schweigens“), der als eiskalter Auftragskiller Victor absolut gnadenlos zur Sache geht…

    FILMSTARTS: In „Verbrannte Erde“ spielst du einen ziemlich beeindruckenden Schurken. Vor diesem unberechenbaren Victor kriegt man richtig Angst. War das für dich neu, dir eine solche Rolle zu erarbeiten?

    Alexander Fehling: Na ja, ich habe schon öfters Schurken gespielt, etwa in Robert Schwentkes „Der Hauptmann“ oder in der Serie „Beat“. Das war auch schon sehr abgründig, aber vielleicht nicht in dieser Länge wie in „Verbrannte Erde“, wo sich die Figur bis zum Schluss durchzieht. Obwohl, in „Beat“ war das eigentlich auch so. Egal - aber man muss natürlich auch sagen, dass die anderen Figuren im Film letztlich auch nicht viel besser sind. Das sind ja fast alles Verbrecher.

    FILMSTARTS: Du sprichst diesen Victor auch mit tieferer Stimme, und das wirkt schon bedrohlich, obwohl im Film generell alle Charaktere eher wenig sprechen…

    Alexander Fehling: Ja, weil alle Figuren zwar ganz klare Ziele verfolgen, die Motivationen aber weitestgehend unklar bleiben. Es geht eben nicht darum, warum jemand etwas tut, sondern darum, ‚dass‘ und vor Allem ‚wie‘ er oder sie es tut. Ich habe mich auch gefragt, ob ich das irgendwie gegen den Strich spielen sollte. Aber dann dachte ich: Nein, das Genre will das, das steht so im Drehbuch geschrieben. Natürlich passiert das in Absprache mit dem Regisseur, der einen Film über Berufsverbrecher drehen will, der eben nicht auf dicke Hose macht.

    Deshalb wird auch so wenig geredet, und umso mehr kommt es dann auf jedes Wort und auf jeden Laut an. Ich finde es dann schon entscheidend, mit welcher Frequenz die Figur zum Ausdruck bringt, was sie will. Ich habe mit Thomas oft darüber gesprochen, ihn immer wieder angerufen. Zum Beispiel als ich nach einigen Wochen gemerkt habe, dass der Sprachrhythmus noch nicht ganz stimmt für mich. Wir haben da ewig lange herumgedoktert. Und ich muss sagen, dass mich Realismus oder Naturalismus in diesem Fall überhaupt nicht interessiert hat. Für mich ist Victor eine Kunstfigur.

    FILMSTARTS: Deutsche Thriller im Kino sind eher selten. Würdest du dir mehr von solchen Genrefilme wie „Verbrannte Erde“ wünschen?

    Alexander Fehling: Wenn ich einen Wunsch hätte, würde ich mir erst mal das Publikum dafür wünschen. Ich will jetzt nicht die Schuld auf die Leute schieben, aber bei uns in Deutschland wissen wir ja nicht immer, was das Publikum im Kino verlangt. Dann gibt es vielleicht mehr Genrefilme, aber keiner guckt sie sich an. Ich würde mir also wünschen, dass das die Leute aus Deutschland interessiert und sie sich nicht nur den Fernsehkrimi ansehen, der mal auf Film-noir macht. Wenn Kino überhaupt eine größere Bedeutung in Deutschland hätte, das fände ich gut.

    FILMSTARTS: Hast du denn das Gefühl, dass Kino hierzulande keine so große Bedeutung hat?

    Alexander Fehling: Also weniger als in anderen Ländern wie Frankreich, Spanien, Dänemark oder Amerika. Wir sind eine Fernsehnation.

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    Saumäßig cool, unglaublich atmosphärisch und absolut auf den Punkt inszeniert: „Verbrannte Erde“ mit „Drive“ zu vergleichen, ist definitiv nicht zu weit hergeholt.

    FILMSTARTS: Aber mit den Streamingdiensten sitzt doch mittlerweile die ganze Welt vorm häuslichen Bildschirm…

    Alexander Fehling: Das ist nicht Fernsehen, das ist Streaming. In Amerika, Frankreich oder Dänemark kommt das noch zum Kino dazu, was ja nicht schlecht ist. Im Gegenteil: Ich habe jetzt in der Sky-Serie „Helgoland 513“ von Robert Schwentke mitgespielt. Dagegen ist nichts zu sagen. Ich bin überhaupt dagegen, immer alles Scheiße zu finden. Nein, das soll es doch alles geben. Auch Komödien und Pferdefilme für Mädchen, die ja auch viel Arbeit kosten. Wenn Leute das sehen wollen, ist doch gut. Schade ist es nur für manch andere Filme, die kämpfen müssen, um gesehen oder überhaupt gemacht zu werden. Da fehlt uns einfach eine Kultur.

    FILMSTARTS: Musste auch für „Verbrannte Erde“ gekämpft werden?

    Alexander Fehling: Es musste sicher um die Finanzierung gekämpft werden. Ich habe das in diesem Fall nicht so sehr mitbekommen, bei anderen Projekten aber schon. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele gute Ideen, Projekte, Drehbücher ich in den letzten Jahren gesehen habe, die auf halbem Weg verendet sind. Es ist wirklich ein Drama. Wir müssen uns ja nichts vormachen. So ein Film wie „Verbrannte Erde“ entsteht nur, weil alle Beteiligten das unbedingt wollen. Was man dafür aber an Geld zur Verfügung bekommt, reicht gerade mal so und schrammt wirklich am Existenzminimum vorbei.

    FILMSTARTS: Kann dein Name den Ausschlag geben, ob ein Film realisiert wird oder nicht?

    Alexander Fehling: Manchmal vielleicht schon, aber Garantien gibt es keine. Ich hoffe aber, dass es nicht schadet, wenn mein Name auf der Besetzungsliste steht (lacht). In meinen Anfängen habe ich auch in Studentenfilmen mitgemacht. Aber das ist schon lange her. Ich bin aber weiterhin offen, wenn mich die Geschichte oder die Figur interessiert.

    FILMSTARTS: Was spricht dich denn an? Was braucht eine Geschichte, was eine Figur?

    Alexander Fehling: Das klingt immer so komisch, wenn man das begründen soll. Ich weiß das manchmal selber nicht so genau. Klar muss ich wissen, was das für eine Geschichte ist und was überhaupt erzählt werden soll. Ich frage mich dann auch ziemlich schnell, was ich zu dem Projekt beitragen kann oder ob auch jemand anderes die Rolle spielen könnte. Vielleicht darf ich ja auch mal was ausprobieren, etwas anders machen. Wenn ich dann an den Punkt komme, an dem ich denke, es darf kein anderer machen, entwickelt sich bei mir so etwas wie ein Beschützerinstinkt der Geschichte oder der Figur gegenüber. Ich weiß dann genau, wie alles sein müsste oder ich will mich halt damit beschäftigen, wie es sein könnte. Das hat man nicht oft, aber wenn es passiert, dann wird der Appetit auf die Arbeit richtig groß und das ist ein gutes Gefühl.

    André Hercher / Piffl Medien
    FILMSTARTS-Redakteur Björn Becher mit Alexander Fehling bei der Premiere zu "Verbrannte Erde".

    FILMSTARTS: War das auch bei „Verbrannte Erde“ so?

    Alexander Fehling: Eigentlich ziemlich schnell, wobei ich beim Drehbuchlesen einen Moment gebraucht habe, um zu verstehen, wohin die Reise gehen soll. Im Film wird ein Gebiet erzählt, daraus entstehen Bilder, und in diesen Bildern bewegen sich Körper mit bestimmten Zielen. Das klingt jetzt ein bisschen abstrakt, aber das ist so sehr Kino für mich. Ich bin sowieso der Meinung, dass in Filmen oft zu viel gequatscht wird. Alles wird immer im Text verhandelt, und dann auch gerne ohne doppelten Boden, aber das will ich gar nicht wissen.

    Ich will selber darauf kommen, worum es geht. Ein Auto fährt rein, eine Tür geht auf, ein Körper kommt heraus – aber wer ist das? Was denkt er, was macht er als nächstes? Diese Art von Kino erschließt sich auf dem Papier erst langsam. Dann habe ich aber ziemlich schnell eine Fantasie dafür entwickelt, dass meine Figur nicht wie so eine psychopathische Maschine agiert, trotzdem aber als sehr eigenartiger Mann wahrgenommen wird. Er geht da so durch, durch diese Geschichte und man kann ihn nicht aufhalten.

    FILMSTARTS: Gibt es filmhistorisch eine Figur, die du dir zur Vorbereitung auf deine Rolle ein wenig zum Vorbild genommen hast?

    Alexander Fehling: Spontan fällt mir „Vier im roten Kreis“ von Jean-Pierre Melville mit Alain Delon in der Hauptrolle ein. Das ist natürlich ein ganz anderer Film, den ich aber sehr schätze. Also zur Vorbereitung auf meine Figur habe ich eigentlich überhaupt nicht gesucht. Es gab also kein Vorbild, und das ist auch der Punkt. Wenn ich verstehe, wie etwas geschrieben ist, erzählt sich mir, wie die Figur denken und auftreten könnte. Die eigentliche Arbeit ist es dann, dass ich dieser Fantasie nachjage, während natürlich die ganze Zeit Neues und Überraschendes passiert. Und diese, sich immer wieder verändernde Jagd sozusagen, die sieht man dann im Film.

    FILMSTARTS: Viele meinen, Schurkenrollen seien sowieso die dankbareren Rollen…

    Alexander Fehling: Dankbar trifft es ganz gut, denn offensichtlich sind es die Menschen, die Schurken lieben, und das nicht nur in den realpolitischen Medien, in denen Schurken die meisten Klicks bekommen. Sonst würde ja nicht jahrelang über jeden Scheiß berichtet werden, den Trump so fabriziert. Die Leute lieben es zu sehen, wie die Dummen oder die Gefährlichen oder die Schurken, wie auch immer man das nennen will, agieren und Grenzen übertreten, die sie selbst nie überwinden könnten. Obwohl es diese verbotenen Wünsche ja gibt.

    Offensichtlich steckt das tief in uns drin. Und das macht uns selbst zu Zerstörern, denn Macht wird ja auch vergeben. Unter anderem von uns, durch unsere Aufmerksamkeit. Insofern ist es eben das Publikum, was darauf reagiert. In einer Geschichte ist der Antagonist der Sand im Getriebe, der immer knirscht. Mir hat es auf jeden Fall total Freude gemacht, diesen Victor zu spielen. Und ich fürchte, genau aus denselben Gründen.

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    „Verbrannte Erde“ ist auch ein Berlin-Film – allerdings ein echter und ganz ohne die üblichen Touristen-Einstellungen aus der Konserve.

    FILMSTARTS: Eine weitere Hauptrolle in „Verbrannte Erde“ spielt Berlin. Allerdings bekommt man nicht die Postkartenidylle der Stadt zu sehen, sondern die abgeranzten Ecken und Kanten. Wie hast du das empfunden?

    Alexander Fehling: Ich war ja beim Location Scouting nicht dabei, aber selbst ich habe mitbekommen, wie lange nach solchen Schauplätzen gesucht wurde. Regisseur Thomas Arslan war es wahnsinnig wichtig, dass man überhaupt mal Berlin erzählt bekommt. Es ist so eine Mischung, einerseits die Überhöhung einer Kinogeschichte, die ja immer inszeniert ist, aber gerade bei den Autofahrten sieht man, dass ist einfach nur Berlin auf der Autobahn. Es wird nicht so getan, als wäre man in irgendeiner amerikanischen Kleinstadt, sage ich jetzt mal übertrieben. Trotzdem spürt man, wie tief der Film in dem Genre sitzt. Das ist ein unheimlich schmaler Grat. Aber Thomas beherrscht das sehr gut.

    FILMSTARTS: Du bist gebürtiger Berliner, kennst deine Stadt. Konnte dich mancher Schauplatz dennoch überraschen?

    Alexander Fehling: Es gibt am Anfang eine Begegnung mit der von Marie-Lou Sellem gespielten Rebecca in diesem Parkhaus am Alex. Da war ich vorher noch nie und dachte beim Hochfahren mit dem Fahrstuhl, das sieht super interessant aus. Ansonsten gab es auch Schauplätze, wo ich dachte: Okay, hier gehe ich immer einkaufen, und dort habe ich früher immer gesessen. Zum Beispiel dort, wo die Schlägerei um Leben und Tod gedreht wurde. Das war an der Warschauer Brücke, und die Ecke kenne ich natürlich gut. Wir haben nachts gedreht irgendwann im November oder Dezember. Es war saukalt, trotzdem fand ich es immer spannend, in diesen abgerissenen Gegenden zu drehen.

    FILMSTARTS: „Verbrannte Erde“ ist ja als Gewinner unserer Aktion „Deutsches Kino ist [doch] geil!“, in der wir jeden Monat einen deutschen Film – egal welcher Größe – redaktionell wie einen Blockbuster behandeln. Was könnte man deiner Meinung nach noch tun, damit das deutsche Kino hierzulande wieder so geschätzt oder gar gefeiert wird, wie es das in vielen Fällen auch einfach verdient hat?

    Alexander Fehling: Ich bin jetzt nicht der Experte und es ist sicher kompliziert, aber ich möchte jetzt schon mal wissen, wann die geplante Reform der Filmförderung nun kommen soll. Und vor Allem, was sie dann für die Filmemacher wirklich bedeutet. Ich weiß, es gibt einen Gesetzesentwurf und trotzdem, bisher höre ich da von der Kulturstaatsministerin vor allem warme Worte und Allgemeinplätze, davon allerdings viele. Ich frage mich auch, ob es dann endlich eine Unterscheidung zwischen einer wirtschaftlichen und einer kulturellen Filmförderung geben kann? Sind dann mehr ästhetische Experimente möglich? Können wir endlich aufhören, immer auf der richtigen Seite stehen zu wollen?

    Ein Film muss nicht ein scheinbar aktuelles Thema aufklärerisch verhandeln, wir sind nicht die Tagesschau. Bekommen die Kinobetreiber und Verleiher mehr Unterstützung? Wie kann ein Film auch außerhalb von Marktregeln entstehen? Gibt es dann mehr konkrete Förderung für Nachwuchstalente? Sowieso gibt es zu wenig Vertrauen in die Künstler, man kann nicht alles vorher beweisen. Einen Film zu machen, heißt einen Film zu suchen! Es gibt bei uns sehr viele Filme mit guten Absichten, aber die, die etwas anderes Wollen, die uns herausfordern und verunsichern, werden in Deutschland systematisch untergraben. Übrigens eure Aktion hier, ich finde das einfach nur toll!

    FILMSTARTS: Barbie“ und „Oppenheimer“ haben ja 2023 gezeigt, dass Kinofilme vom gegenseitigen Erfolg profitieren können. Die Leute haben wieder Bock aufs Kino. Welchen aktuellen deutschen Kinofilm sollten sie sich also nach „Verbrannte Erde“ anschauen?

    Alexander Fehling: Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber: „Ivo“ von Eva Trobisch.

    „Verbrannte Erde“ läuft seit dem18. Juli in den deutschen Kinos – und wenn ihr das Interview mit Alexander Fehling spannend fandet, dann hört unbedingt mal rein, wie wir in unserem Podcast Leinwandliebe mit Regisseur Thomas Arslan über die hohe Kunst der Inszenierung von Autofahren und Vorbilder wie „Drive“ diskutieren:

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