Woran denkt ihr, wenn ihr an die ländlichen Bundesstaaten in den USA denkt? An Utah, Arkansas, Colorado, Oklahoma, Texas? Die Chancen stehen hoch, dass es nicht unbedingt etwas Positives ist. Rednecks, Landeier, Rassisten, intolerante, geifernde Trump-Wähler*innen mit roten MAGA-Baseballcaps. Und wie lange ist es eigentlich her, dass ihr zuletzt ein positives Bild der ländlichen USA oder ihrer Bewohner im Kino gesehen habt? Man kann sich kaum noch daran erinnern, so lang scheint das her zu sein – aber das war keineswegs immer der Fall.
So war etwa in den Neunzigern für eine gewisse Zeit ein gewisser Kevin Costner der größte Kinostar der Welt – ein Schauspieler, der alle positiven Eigenschaften, die man seinerzeit mit dem amerikanischen Heartland verband, in sich vereinigte, egal ob als Farmer, als Cowboy – nicht von der genozidalen Sorte, sondern eher als new-age-spiritueller, zivilisationmüder Zurück-zur-Natur-Aussteiger – oder als Baseballer, als Zen-Philosoph der Americana-Sportkultur also.
Die Menschen, die dieses Heartland bevölkerten, galten dem Hollywood-Kino des 20. Jahrhunderts nicht immer, aber oft als bodenständig, aufrichtig, mitunter knorrig zwar, aber unter der rauen Schale hilfsbereit, und zwar tendenziell libertär, aber irgendwo trotzdem community-orientiert. Nicht nur, versteht sich, hatte sich doch mit dem Backwoods-Film bereits Jahrzehnte zuvor ein ganzes Horror-Subgenre etabliert über Stadtmenschen, die Angst haben vor der Landbevölkerung.
Aber was die gesamte Repräsentationsbreite im amerikanischen Kino angeht, kommt man doch nicht umhin zu konstatieren, dass da schon vor längerer Zeit etwas ins Rutschen geraten ist. Wann genau wurde das amerikanische Heartland zu den „Flyover States“ zwischen den Metropolen an der West- und Ostküste?
"Twisters": Auf wohltuende Art altmodisch
Vielleicht verbirgt sich hinter diesem Wegrutschen ein wesentlicher Grund, dass das Wirbelsturmblockbuster-Legacy-Sequel „Twisters“ heute auf so wohltuende Art altmodisch wirkt. Ebenso wie übrigens schon Jan de Bonts Vorläufer „Twister“, der beim heutigen Wiedersehen wie eine Zeitkapsel aus einer anderen, klassischeren Ära des Kinos wirkt. Dabei sollte er im Sommer 1996 in erster Linie ein Versprechen für eine Zukunft der damals noch in den Kinderschuhen steckenden CGI-Spezialeffekte sein.
Tatsächlich waren all die fliegenden Kühe und wirbelnden Hurricanes für die damalige Zeit absoluter state of the art, und ganz sicher auch das Hauptverkaufsargument für das zeitgenössische Kinopublikum, das „Twister“ in großer Zahl ansah und zum riesigen Kassenerfolg machte. Wegen der recht klassischen Katastrophenfilmdramaturgie verliebte es sich mutmaßlich eher nicht in den Film, die wurde eher hingenommen als: nun ja, ausreichend halt. Auch ein Starvehikel war „Twister“ nicht, mit dem Texaner Bill Paxton kam sein Hauptdarsteller eher mit hemdsärmeliger Rustikalität zur Geltung.
Bereits "Twister" war eine Liebeserklärung an die amerikanische Landschaft
Das, was aus heutiger Sicht tatsächlich in Erinnerung bleibt von „Twister“, hatte damals vielleicht überhaupt nur Regisseur Jan de Bont auf dem Schirm. Der hatte nämlich damals schon sein Ziel erklärt, den vielleicht letzten an Originalschauplätzen gedrehten Actionfilm der Hollywood-Geschichte zu inszenieren. Eine letzte Zeitkapsel vor der Ära, in der nicht nur die Stürme, sondern auch die Landschaften gleich mit aus dem Rechner kommen sollten und die Darsteller nicht Wind(maschinen) und Wetter unter freiem Himmel zu trotzen hatten, sondern sich zunehmend vor Greenscreens im Filmstudio abstrampeln sollten. Als man ihn 1996 gesehen hat, beeindruckte „Twister“ mit Spezialeffekten aus der Zukunft des Kinos. Sieht man ihn 2024 wieder, verblüfft er mit einem Gefühl für Drehorte und das Setting, der dem Kino zwischenzeitlich, und für viele vielleicht auch ein wenig schleichend und unmerklich, verloren gegangen ist.
Gerade deshalb entpuppt sich auch die vielleicht zunächst etwas überraschende Wahl des Regisseurs Lee Isaac Chung für die späte Fortführung – ein echtes Sequel ist „Twisters“ nicht, ein Remake aber auch nicht, obgleich sich die erzählten Geschichten sehr ähneln – als hervorragend. Denn mit seinem oscarnominierten, in den Weiten von Arkansas spielenden Familiendrama „Minari“ hatte sich Chung zwar in keiner Hinsicht als Action- oder Spektakelkinoregisseur empfohlen – wohl aber als ein Filmemacher mit einer großen Sensibilität für ebenjenes Orts- und Landschaftsgefühl der ruralen Bundesstaaten.
"Twisters": Ein waschechter Oklahoma-Film
Und so ist „Twisters“ dann auch ein waschechter Oklahoma-Film geworden. „City Girl“ wird die von Daisy Edgar-Jones wunderbar verkörperte Protagonistin darin öfter genannt – dabei war sie eigentlich nur traumabedingt ins ferne New York City geflüchtet, um nun zu ihrer eigentlichen Bestimmung und in die mütterliche Scheune zurückzukehren. Und natürlich um auf Glen Powell zu treffen, den hoffentlich nächsten überlebensgroßen Hollywood-Kinostar, der jenseits seiner Leinwandrollen mit Nachdruck an einem positiven Image als stolzer Texaner arbeitet.
Natürlich sind auch das Klischees: Wer im Hollywood-Kino arbeitet, kommt nicht drumherum, mit Klischees zu handeln, aber im großen Ganzen hielten sich diese Klischees oft irgendwie die Waage. Für jeden kaltschnäuzigen Backwoods-Horrorfilm um mordende Hinterwäldlersippen gab es ein Südstaatenmelodram mit goldenem Herzen. Das seit etlichen Jahren aber schon vorherrschende Stadt-Land-Gefälle im Hollywood-Kino aber sorgt nur dafür, Kulturkämpfe immer weiter anzuheizen. Denn wer sich auf der Leinwand stets nur mit Herablassung porträtiert sieht, der wird wenig geneigt sein, auf den tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner zuzugehen.
"Mehr Glen Powell, weniger J.D. Vance"
J.D. Vance, der als erklärter Kritiker ebensolcher Herablassung und Trump-Erklärer berühmt wurde, hat sich in den acht Jahren seit der Veröffentlichung seines autofiktionalen und von Ron Howard als grandioses Missverständnis verfilmten Bestsellers „Hillbilly Elegy“ derart radikalisiert, dass er als treuester Trump-Gefolgsmann vielleicht schon in wenigen Monaten als Vizepräsident ins Weiße Haus einzieht. Das Racheprojekt der „Flyover States“ schreitet voran, und was vom sozialen Frieden innerhalb der amerikanischen Gesellschaft übrig bleibt, wenn es wie ein Hurrican über die USA gefegt ist, bleibt noch abzuwarten.
Vielleicht ist es an der Zeit, die Herablassung zu beenden und jenseits des Trumpismus und rassistischer Redneck-Karikaturen wieder positive Werte und (Kino-)Bilder der ländlichen USA zu entwerfen. Mehr Glen Powell, weniger J.D. Vance.
Übrigens hat sich „Twisters“-Star Glen Powell bereits die nächste Rolle im Remake eines 90er-Jahre Kultfilms geschnappt. Mehr dazu erfahrt ihr in diesem Artikel:
Im Remake eines 90er-Jahre-Kultfilms: "Twisters"-Star Glen Powell schnappt sich die nächste Hauptrolle