Dank diverser Hollywood-Spektakel steht das Abenteuerkino in vielen Köpfen synonym für kostspielige Produktionen mit ausschweifender Laufzeit. Dass dem nicht so sein muss, führte Werner Herzog zu Beginn der 1970er vor: Mit einem Budget, das sich auf weniger als 400.000 Dollar belief, begab er sich mitten ins Amazonasgebiet. Wieder verlassen hat er es mit „Aguirre, der Zorn Gottes“ – einem Film, der eine Laufzeit von nicht einmal 100 Minuten aufweist.
Allerdings sind diese randvoll mit eindringlichen Bildern und waghalsigen Sequenzen, bei denen man aus dem Staunen nicht herauskommt. Das brachte dem Klassiker völlig verdient einen Platz im FILMSTARTS-Ranking der besten Abenteuerfilme ein. „Aguirre, der Zorn Gottes“ ist via Amazon Prime Video als VoD erhältlich.
Zudem ist der Film beim Prime Video Channel ARTHAUS+* im Abo enthalten – und natürlich Teil der „Werner Herzog 80th Anniversary Edition“*, die viele weitere starke Filme umfasst.
"Aguirre, der Zorn Gottes": Mit Gier, aber ohne Sinn und Verstand ins Herz der Finsternis
Das Inkareich wurde zerstört – doch die spanischen Konquistadoren haben ihre Suche nach Ruhm, Reichtum und Macht noch nicht beendet. So verlässt eine schlecht vorbereitete Gruppe aus Gläubigen, Soldaten, buckelnden Gefolgsleuten und Sklaven die Berge Perus, um El Dorado ausfindig zu machen – die sagenumwobene Stadt aus Gold.
Es dauert nicht lang, bis die Expeditionsgruppe durch innere Querelen und Naturgewalten geschwächt wird. Don Lope de Aguirre (Klaus Kinski) stachelt während einer Erholungsphase eine Meuterei an und führt die Truppe tiefer ins unbarmherzige Dickicht. Dort herrscht er mit eiserner Hand und völliger Überforderung über seine Gefolgschaft. Die zeigt sich zunehmend unbeeindruckt vom Elend, in das sie watet – widerstandsfähig wird sie indes nicht...
Herzog ließ sich lose durch Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ inspirieren – wie später auch Francis Ford Coppola bei seinem legendären Anti-Kriegsfilm „Apokalypse Now“, der sich wiederum zudem an „Aguirre, der Zorn Gottes“ bediente. Kurzum: Für ein Gute-Laune-Abenteuer über El Dorado solltet ihr den folgenden Streaming-Tipp schauen:
Als weitere Inspirationsquelle für „Aguirre, der Zorn Gottes“ diente die reale Geschichte von Lope de Aguirre, der eine verlustreiche Expedition anführte und insbesondere in der lateinamerikanischen Literaturgeschichte zum ruhmlosen Paradebeispiel für Gier, Verrat, Grausamkeit und Irrsinn aufstieg.
Wie für Herzog üblich, verwischt „Aguirre, der Zorn Gottes“ allerdings Authentizität und Fiktion – so erzeugt der Film den Anschein, dass sein Erzähler wortwörtlich aus dem Tagebuch eines Franziskaners zitiert, der die Expedition miterlebte. Allerdings sind diese Kommentare frei erfunden, und auch auf der Handlungsebene nimmt sich Herzog zahlreiche Freiheiten.
Mäuschen spielen bei einem zum Scheitern verdammten Unterfangen
Obwohl man dieses Historien-Abenteuer also nicht mit einem Tatsachenbericht verwechseln sollte, wohnt ihm Wahrhaftigkeit inne: „Aguirre, der Zorn Gottes“ verzichtet auf eine prototypische, dramaturgisch saubere Erzählung, und entgegen der Genrenorm vermeidet es der Film, seine Figuren zu heroisieren – geschweige denn ihre Ziele, Reichtum anzuhäufen und „die Wilden“ zum Christentum zu konvertieren.
Stattdessen zeigt Herzog das Handeln der Konquistadoren als herz- und sinnlose Abfolge von Hybris geprägter Handlungen, die auf Distanz geradezu grotesk wirken. Dieser unmissverständlichen Aussage zum Trotz schafft Herzog enorme Anspannung durch eine unmittelbare, inszenatorische Nähe zu seinen abscheulichen Figuren. So ist der Film nicht etwa trotz, sondern wegen seines Bildformats von 1.37:1 ungeheuerlich eindringlich:
Herzog und sein Kameramann Thomas Mauch pferchen ihr Publikum förmlich in einen engen, überfüllten Kasten. Bereits der Auftakt, der eine lange Reihe von Konquistadoren und Sklaven zeigt, die im Gänsemarsch auf einem schmalen, unsteten Pfad entlang einer tiefen Andenschlucht trampeln, während Nebelschwaden durch das Bild wabern, löst daher immenses Unbehagen aus. Intensiviert wird dies durch die elliptische Erzählweise, die Herzog mit einer fast dokumentarischen Aufmachung verschränkt:
Schon zu Beginn fehlt Kontext, im weiteren Verlauf des Abenteuers wird das Geschehen immer sprunghafter – parallel dazu, wie Aguirre und seine Mannen zunehmend den Bezug zur Realität verlieren. Derweil klebt die Kamera an den Figuren und watet mit ihnen durch die überwältigende Natur, als wäre dies kein Historien-Abenteuer, sondern eine zeitgenössische Reportage über eine inkompetente, toxische Reisegruppe.
Still brodelnde Abscheu, apathisches Schicksal
Kinski vermeidet es als Anführer dieser Truppe, sein Klischee eines Gift und Galle speienden Cholerikers zu erfüllen. Stattdessen ist er eine stille, dessen ungeachtet extrem unheimliche Präsenz. Ein Psychopath, der durch aufgequollene Augen und wenige, abstruse Äußerungen Furcht verbreitet – bis er im leisen, knurrigen Tonfall Gewaltausbrüche ankündigt und unmittelbar darauf ausführt.
Trotzdem wird er nie der personifizierte Zorn Gottes, zu dem er sich ernennt. Allerhöchstens bekommt er den Zorn Gottes zu spüren, wenn seine Crew dezimiert wird – wahrscheinlich ist dies aber die Apathie des Schicksals. Denn die spanischen Aggressoren werden sukzessive zu hilflosen Opfern der Natur, ihrer gegenseitigen Missgunst und von Eingeborenen, deren Pfeil- und Speer-Dauerfeuer effizienter ist als der träge Kanonendonner der Konquistadoren.
Das nimmt teils grotesk-komische Züge an, etwa wenn von ihrer ungewürzten Verpflegung gelangweilte Männer begierig Salz aus dem Boden lecken, während um sie herum Gefährten sterben wie die Fliegen. Vor allem aber ist das Geschehen ein fiebriger Taumel ins Verderben: Egal, ob der Amazonas wild blubbert oder bedrohlich-still vor sich hinfließt, ob gespenstische Musik von Popol Vuh ertönt oder Kinski vor wuselnden Affen einen pathetischen Monolog hält – Empathie kann nicht gedeihen, strafende Häme wird erstickt.
Das macht „Aguirre, der Zorn Gottes“ zu eindrucksvollem Abenteuerkino, das dermaßen gegen den Strich gebürstet ist, dass es unter die Haut geht. Und weiteren Herzog-Wahnsinn gibt es in diesem Streaming-Tipp:
Neu auf Netflix: Beim Dreh für diesen grandiosen Kriegsfilm hat ein Batman-Darsteller echte Maden gegessen*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.