Den Wüterich Klaus Kinski hat er tatsächlich (!) ein Schiff über einen Berg im Urwald schleppen lassen, ein Interview führte er nahezu unbekümmert weiter, obwohl er mittendrin angeschossen wurde - und einst verspeiste er sogar seinen Schuh, nachdem er eine Wette verloren hat. Werner Herzog ist ein Mann der Extreme, der geradezu süchtig ist, über die eigenen Grenzen hinauszugehen...
Nur logisch also, dass er für den Kriegsfilm „Rescue Dawn“, der jetzt neu im Abo von Netflix steht, mit einem anderen Extremkünstler zusammengearbeitet hat: Christian Bale. Der oscarprämierte „The Dark Knight“-Star hungerte sich für „Der Maschinist“ unglaubliche 31 Kilo herunter, um sich für „Vice“ fast 20 Kilo anzufuttern. Dass Bale zudem auch für seine Tobsuchtsanfälle am Set bekannt ist, erklärt ihn in gewisser Weise sogar zu einem Klaus-Kinski-Nachfolger.
Darum geht es in "Rescue Dawn"
Dieter Dengler (Christian Bale) möchte nichts anderes als fliegen. Deswegen nimmt er mit 18 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und schreibt sich bei der NAVY ein. Im Jahre 1965 wird er im Golf von Tonkin stationiert, um an einem Bombardement in Laos teilzunehmen. Niemandem war zu diesem Zeitpunkt klar, dass sich der begrenzte Konflikt in Vietnam zu einem echten Krieg auswachsen würde.
Direkt über dem Dschungel wird Dieter im Einsatz vom Himmel geholt und in ein Gefangenenlager gesteckt, wo man ihn tagtäglich foltert und demütigt. Hier trifft er mit Duane (Steve Zahn), Gene (Jeremy Davies) und einigen weiteren Insassen des Camps auf Schicksalsgenossen. Zusammen beginnen sie, Ausbruchspläne zu schmieden, um nicht nur das Lager, sondern auch den Dschungel hinter sich zu lassen…
Werner Herzog kehrt in den Dschungel zurück
Schon 1997 beschäftigte sich Werner Herzog für das ZDF mit der wahren Geschichte des Dieter Dengler und inszenierte die Dokumentation „Flucht aus Laos“. Dengler, ursprünglich dem Schwarzwald entstammend, ist der einzige von 500 Soldaten, der es aus eigener Kraft vollbracht hat, aus laotischer Gefangenschaft zu entkommen. Kein Wunder, dass Herzog von dieser Geschichte begeistert gewesen ist: Das Außergewöhnliche steht wieder einmal im Zentrum!
Ein besonderer Film ist „Rescue Dawn“ auch deswegen geworden, weil Werner Herzog ein Budget von zehn Millionen US-Dollar zur Verfügung hatte, um zurück in die grüne Hölle zu kehren. Gedreht wurde im majestätischen Dschungel Thailands, den nur Werner Herzog in dieser faszinierenden Art und Weise in Szene setzen kann: Ein gleichermaßen paradiesischer wie bedrohlicher Organismus, der atmet, brodelt und verschlingt.
Ohnehin ist „Rescue Dawn“ vor allem ein Film geworden, den man physisch erfahren kann. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Werner Herzog hier auf Schauspieler zurückgreifen konnte, die die Bereitschaft an den Tag legten, an ihre Grenzen und darüber hinaus zu gehen: Ex-Batman Christian Bale, Steve Zahn und Jeremy Davies haben sich bis auf die Skelette heruntergehungert und tragen die psychische Marter der Gefangenschaft mit ihren Körpern nach außen.
Christian Bale, der hier auch einen Topf voll lebendiger Maden verschlingt und seine Zähne in das Fleisch einer Schlange schlägt, sagte über die Zusammenarbeit mit Werner Herzog, dass dieser der zupackendste Regisseur sei, den er persönlich kenne. Am Ende der Dreharbeiten soll Herzog nahezu alle Zehennägel verloren haben. Man merkt „Rescue Dawn“ an, dass es nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera um das Ausreizen der eigenen Leistungs- und Leidensfähigkeit ging.
"Rescue Dawn" funktioniert blendend als Abenteuerfilm
Sieht man einmal davon ab, mit welcher Leidenschaft Werner Herzog den Dschungel porträtiert und damit das Tempo der Erzählung immer wieder gezielt entschleunigt, bekommt man mit „Rescue Dawn“ meiner Meinung nach noch eine andere Sache geboten: Einen hervorragenden Abenteuerfilm. Ganz im Geiste eines „Papillon“ oder „Gesprengte Ketten“ geht es auch hier um Freundschaft und Flucht.
Der Zusammenhalt, der gerade zwischen Christian Bale und Steve Zahn entsteht, wird von Minute zu Minute deutlicher zum emotionalen Kern der Handlung. Der Kampf zwischen Mensch und Natur, ein Leitmotiv in der Vita Werner Herzogs, entfaltet sich hier nicht aus größenwahnsinniger, sondern aus kameradschaftlicher Perspektive: Man fiebert mit den beiden Männern mit.
In den letzten Minuten wird „Rescue Dawn“ dann ganz und gar zur Hollywood-Heldenmär. Werner Herzog liebt die überwältigende Stärke, die auch „normale“ Menschen unter extrem Umständen zu entfesseln vermögen. Im Falle von „Rescue Dawn“ kann er nun auch von Erlösung sprechen: Dieter Dengler ist die Flucht gelungen – und überlebte in seinem Leben noch vier weitere Flugzeugabstürze. Ein echter Herzog-Charakter, deren Leben eigentlich immer nur am Limit stattfinden.
Bei Dreh eines anderen Kriegsfilmes hat Christian Bale ebenfalls einzigartige Erfahrungen gesammelt. Diese brachten ihn sogar fast dazu, seine Karriere zu beenden. Mehr dazu hier:
Dies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.