2023 war für Wim Wenders ein Ausnahmejahr: Die deutsche Regielegende beendete ihre fünfjährige Langfilm-Abstinenz mit sogleich zwei hervorragenden Werken! Neben der eindringlichen 3D-Kunstdokumentation „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ brachte er sein in Japan spielendes Drama „Perfect Days“ auf die große Leinwand.
Mit dem innerhalb von bloß 17 Tagen gedrehten Film sorgte er für Aufsehen: Die berührend-nachdenkliche, zärtliche Geschichte wurde in Cannes prämiert, für einen Academy Award nominiert und weltweit mit hervorragenden Kritiken überhäuft. Egal, ob ihr das Drama nachholen oder in euren eigenen vier Wänden wiedersehen wollt: Seit dieser Woche ist „Perfect Days“ im Heimkino erhältlich.
Auf der Blu-ray und DVD findet ihr als Extra Wenders' Kurzfilm „Some Body Comes Into The Light“. Falls ihr auf die haptische Komponente und das Bonusmaterial verzichten könnt: „Perfect Days“ gibt es zudem als VOD bei Prime Video*.
"Perfect Days": Ein besonnener Film über Routine und Gewissenhaftigkeit
Der wortkarge, einzelgängerische Hirayama (Kōji Yakusho) arbeitet in Tokio als Toiletten-Reinigungskraft. Sein Alltag ist durchstrukturiert, dennoch wirkt er von inniglicher Leichtigkeit erfüllt: Hirayama lässt sich nicht aus der Fassung bringen, spricht wenig, ist zuvorkommend. Er lauscht Audiokassetten, liest abends Bücher und gelegentlich macht er Natur-Schnappschüsse. Doch als Personen aus seiner Vergangenheit unangemeldet in sein friedfertig-eingefahrenes Leben platzen, muss er seine Routine anpassen...
FILMSTARTS-Kritiker Michael Meyns bezeichnet „Perfect Days“ als Wim Wenders' besten Spielfilm seit 30 Jahren und lobt den minutiösen, nahezu dokumentarischen Erzählstil sowie Hauptdarsteller Kōji Yakusho. Dank seiner wortkargen, dennoch freundlichen Performance gerate die Hauptfigur „absolut liebenswürdig und charmant“.
Der Verfasser dieses Heimkino-Tipps ist ebenfalls schwer von Yakushos Darbietung angetan, und von der Tiefenentspannung, die Wenders' Inszenierung sowie das von Wenders und Takuma Takasaki verfasste Skript ausstrahlen: „Perfect Days“ ist ein Film über die Schönheit im Alltäglichen und das Wohlgefühl, das davon ausgeht, wenn man in sich ruht, statt sich ständigem Wettbewerb hinzugeben.
Sagt Stefan Raab bald Netflix & Co. den Kampf an – mit einer Idee, die schon 2020 kolossal gescheitert ist?Hirayama lebt in eher bescheidenen Verhältnissen: Seine Wohnung ist minimal eingerichtet. Ramen zu essen und ein gebrauchtes Buch zu lesen, stellt für ihn einen vollkommenen Feierabend dar. Statt am hedonistischen Besitztum-Wettrüsten teilzunehmen, genießt er seine kleine, feine, jahrzehntealte Musikkassettensammlung, das Hantieren mit seiner kompakten Analogkamera und die Pflege zarter Pflänzlein, die er aus der belebten Innenstadt gerettet hat.
Wenders und Kameramann Franz Lustig fangen dies mit besonnener, unaufgeregter Gewissenhaftigkeit ein. Durch Yakushos Darbietung angefeuert, entfaltet sich so eine beruhigende, inspirierende Wirkung – nicht etwa ein sozialer Abgleich nach unten oder moralinsaure Ermahnungen, sich mit allem zufriedenzugeben, was das Schicksal bereithält. Hirayama ist so vorbildlich ausgeglichen, weil er das hat, was er für ein erfülltes Leben benötigt. Dem ist er sich vollauf bewusst, weshalb er sich weder durch das Ansehen seines Berufs, hibbelige Kollegen oder chaotischen Straßenverkehr beunruhigen lässt.
Trotzdem verkneifen sich Wenders und Takasaki eine Verklärung von Hirayamas Lebensumständen. Weder wird es als inspirierende Bescheidenheit skizziert, dass er zur Körperpflege in eine öffentliche Waschanstalt muss, noch wird suggeriert, dass Glück bedeutet, sämtliche Konflikte freundlich hinfort zu lächeln: Wenn Hirayamas Arbeitgeber überzogene Erwartungen äußert oder sich unbequeme Menschen aus Hirayamas Vergangenheit zurückmelden, entsteht Raum für berechtigten Frust.
Ausgeglichenheit bedeutet nicht, stets zu verharren, sondern auszubalancieren
Über diese Konfliktmomente, die allem zum Trotz nur minimal ausfallen, lässt sich diskutieren. FILMSTARTS-Kritiker Meyns steht ihnen kritischer gegenüber und urteilt, dass der Film durch diese Zuspitzungen Magie verliert. Für den Verfasser dieses Textes sind sie dagegen eine Abrundung des Gesamtwerks, die es umso bezaubernder machen:
„Perfect Days“ lebt Seligkeit vor, dennoch verleugnet das Drama nicht die Realität, indem es predigt, man solle stets negative Gefühle sofort abstreifen. Wenders, Takasaki und Yakusho gestatten ihrem Protagonisten, der in Routine Geborgenheit gefunden hat, ebenso Augenblicke, in denen er sich über biografische Sackgassen, Missverständnisse und Enttäuschungen ärgern und an Veränderung denken darf.
Günstiger als ein Big Mac, besser als Netflix: Tausende Filme, 250 HD-Sender und HBO-Serien für nur 5 EuroDas sind Momente eines kurzen, tröstlichen Schmerzes. Schließlich ist es menschlich, nicht ausschließlich positive Emotionen zu verspüren. Allerdings zeugt es von Ausgewogenheit, zu wissen, wie man mit ihnen umzugehen hat. Ganz gleich jedoch, wie man zu den emotional dezent raueren, kniffligeren Momenten in „Perfect Days“ steht:
Wenders' international umjubeltes Werk lädt mit seiner stillen, kleinteilig-alltäglichen Narrative und seinem magnetischen Hauptdarsteller zur Identifikation sowie zur Selbstreflexion ein. Wer sich darauf einlässt, wird zweifelsohne eigene Stärken und Schwächen wiederentdecken, und an Hirayama Wesenszüge oder Angewohnheiten finden, die inspirieren und in raren Passagen mahnen. Das ist paradoxerweise gerade wegen der ungezwungenen Machart des Films so intensiv, dass man kaum anders kann, als während des Abspanns über Hirayamas Befinden zu grübeln, als sei er ein inniger Freund.
Zugleich regt „Perfect Days“ dazu an, kritisch über das eigene Leben nachzudenken – über unnötige Aufreger, über Wege, ausgeglichener zu werden, und die schlechte Angewohnheit, anderen ständig etwas beweisen zu wollen. Wenn man doch so viel glücklicher sein kann, wenn man sich selbst genügt und Mitmenschen durch Freundlichkeit und gute Gesten den Tag versüßt, statt sich einzureden, man müsse sie übertrumpfen.
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