Richard King ist eine der Hollywood-Legenden zum Thema Sound. Seit den 80er-Jahren und Actionfilmen wie „Delta Force“ mit Chuck Norris und „Murphys Gesetz“ mit Charles Bronson verleiht der Sound-Designer und Tontechniker Filmen die richtige akustische Begleitung. Vier Oscars brachte dies King bereits ein – für „Master & Commander“ sowie für drei Zusammenarbeiten mit Christopher Nolan: „The Dark Knight“, „Inception“ und „Dunkirk“. Der fünfte Goldjunge könnte bald folgen – für „Oppenheimer“.
Denn wie King und Christopher Nolan hier den Sound nutzen, um uns als Publikum in den Film und vor allem die Gedankenwelt von Protagonist J. Robert Oppenheimer zu ziehen, ist ziemlich einzigartig. Im Rahmen eines großen Pressetermins in Los Angeles zum Heimkinostart wollten wir von Richard King nicht nur wissen, wie ihnen das gelungen ist, sondern auch, wie sie sicherstellen, dass „Oppenheimer“ auch zu Hause gut klingt. Nachfolgend gibt es unser Interview, das euch hoffentlich einen guten Einblick in einen Bereich des Filmemachens gibt, der viel zu wenig beachtet wird.
Ich will nicht, dass das Publikum meine Arbeit bemerkt
FILMSTARTS: Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Tonarbeit an einem Film sehr gerne unterschätzt wird. Der Ton wird einfach als selbstverständlich hingenommen. Bei „Oppenheimer“ habe ich nun aber bemerkt, dass sehr viele Leute über ihn reden – vor allem auch, weil er einen so richtig in den Film zieht. Gleichzeitig ist er aber trotzdem ein sehr selbstverständlicher Bestandteil dieser Welt. Wie war da euer Ansatz?
Richard King: Wir haben wirklich sehr hart daran gearbeitet, den Ton so zu nutzen, dass das Publikum in den Film einbezogen und Teil dieser Welt wird. Weißt Du, wenn Chris [Nolan] seine Idealvorstellung umsetzen könnte, hätten wir im ganzen Film nur den Produktionssound vom Set genutzt. Den bevorzugt er. Er mag es nicht, nachträglich Sound zu loopen oder ähnliche Effekte einzubauen.
Wir haben uns daher bemüht, das komplette Sounddesign so klingen zu lassen, wie der Produktionssound klingt. Es sollte alles so wirken, als wäre es am Tag des Drehs direkt vor Ort aufgenommen worden.
Und zur Selbstverständlichkeit: Das ist das Ziel, richtig? Ich will in meinem Beruf gar nicht, dass das Publikum meine Arbeit bemerkt, dass es überhaupt mitbekommt, dass hier was am Sound gemacht wurde. Es soll sich für euch um die Welt handeln, in welcher sich die Figuren befinden. Meine Aufgabe ist es, diese Welt zu erschaffen – und zwar auf eine Weise, die es dem Publikum ermöglicht, sich in die Figuren hineinzuversetzen, sich wirklich mit ihnen zu identifizieren. Wenn mir das gelingt, habt ihr das Gefühl, mit diesen Menschen zu sympathisieren, ihnen Nahe zu sein, Zeit mit ihnen zu verbringen – und sie auf diese Weise besser zu verstehen.
Mein Ziel war daher von Anfang an, das Publikum mit dem Ton einzubeziehen. Wir haben dafür auch nichts Synthetisiertes oder so. Alle Sounds, die wir verwendet haben, wurden ganz klassisch und praktisch erzeugt und aufgenommen.
Wie ein Sound euch eine Explosion spüren lässt
FILMSTARTS: Die größte Herausforderung war doch sicher der Trinity-Test. Ich hatte das Gefühl, die Druckwelle der Explosion zu spüren, obwohl wir ja noch kein 4D-Kino haben, sondern ich vor einer flachen Leinwand saß. Und der Ton hatte einen großen Anteil daran, dieses Gefühl zu erzielen. Wie hast du das erreicht?
Richard King: So eine Nuklearexplosion ist keine chemische Explosion, sondern eine Superkettenreaktion, die innerhalb von ein oder zwei Millisekunden stattfindet. Deshalb dachte ich mir, dass die Druckwelle wie eine Wand sein muss. Es muss sich anfühlen, als würdest du von einem festen Gegenstand getroffen werden. Ich wollte also eine Art von sehr scharfem, sehr hartem, sehr heftigem Aufprall vermitteln.
Das Ende von "Oppenheimer" erklärt: Darum ist es das erschütterndste Finale aller ZeitenIch habe mich sehr mit den originalen Berichten von Augenzeugen beschäftigt. Sie wurden alle innerhalb eines Tages nach dem Test interviewt. Fast alle erwähnten in diesen sehr frischen Schilderungen neben den visuellen Elementen wie dem weißen Licht den Ton – und zwar beschrieben sie ihn auf eine interessante und ungewöhnliche Weise. Es war nicht einfach nur ein großer Knall, es klang wie ein vorbeifahrender Güterzug oder ein Donner – aber kein natürlicher, sondern ein künstlich erzeugter Donner. Mir war daher klar, es muss in gewisser Weise einzigartig klingen.
Dazu gibt es natürlich technisch einfach ein paar Dinge, die man machen kann, um diese von dir beschriebene Wirkung zu erzielen. Du kannst bestimmte Frequenzen und bestimmte spezielle Lautsprecher im Lautsprecherarray verwenden. Da haben wir sehr viel daran gearbeitet, bis wir einen Effekt erreicht haben, bei dem du das Gefühl hast, als würden deine Hosen wackeln, wenn die Bombe hochgeht.
FILMSTARTS: Das Studieren der Augenzeugenberichte ist eine interessante Info. Denn ich hatte mir schon die Frage überlegt, woher ihr wusstet, wie es sich damals anhörte und was ihr als Referenzpunkt genommen habt...
Richard King: Natürlich hat Chris keinen Dokumentarfilm gemacht. Doch trotzdem finde ich es immer gut, wenn man ein gewisses Verständnis für die Fakten hat. Deshalb habe ich viel recherchiert und viele Berichte aus erster Hand über die Erfahrungen der Menschen gelesen. Das hat mir ein besseres Gefühl dafür gegeben, was die Menschen emotional empfunden haben.
Ein Knall mit Verzögerung
FILMSTARTS: Wenn wir über Ton sprechen, müssen wir auch über die Abwesenheit von Ton, also über Stille sprechen. Die spielt in „Oppenheimer“ ebenfalls eine große Rolle. Wie haben Du und Christopher Nolan entschieden, wann mehr Stille eingebaut werden sollte?
Richard King: Das war vor allem natürlich die Entscheidung von Chris, wie er den Abschnitt dann final designt hat. Wir hören die Explosion erst, wenn die Druckwelle den Bunker trifft. Das ist auch korrekt so, aber gleichzeitig ziemlich kontraintuitiv. Denn eigentlich erwartet man den Knall zu hören, wenn das Licht ausgeht.
Diese Verzögerung bringt eine Menge mit sich: Der Moment ist eine kleine Überraschung für das Publikum und gibt diesem die Möglichkeit, das Wunder, welches gerade passiert ist, den Schock, das Staunen und die Ehrfurcht darüber zu verarbeiten, ohne überfordert zu werden.
Erst einmal nur Oppenheimers Atmen, die kleinen Bewegungen und den Produktionssound zu hören, verleiht dir im Publikum ein viszerales Gefühl dafür, was Oppenheimer gefühlt haben muss. Es vermittelt den Unglauben darüber, was er getan hat.
FILMSTARTS: Den ganzen Weg hin zum Trinity-Test nutzt ihr den Ton, um „Oppenheimer“ zu einem richtigen Thriller zu machen. Diese Klickgeräusche, tickende Uhren vermitteln wunderbar dieses Rennen gegen die Zeit. Aber auch hier agiert ihr gleichzeitig so subtil, dass das unterbewusst stattfindet und ich nicht die ganze Zeit denke: Hier tickt 'ne Uhr, ich muss mitfiebern...
Richard King: Ja, „Oppenheimer“ ist ein Thriller. Der Film soll dem Nervenkitzel sehr ähnlich sein, den die Wissenschaftler bei der Arbeit an diesem Experiment empfunden haben. Sie haben in ihren Gedanken völlig beiseitegelassen, was passieren wird, wenn sie mit dem Bau fertig sind. Für sie war es ein wissenschaftliches Experiment.
Dazu schneiden wir bei jedem Szenenwechsel auch den Ton sehr abrupt. Wir haben versucht, jedem Ortswechsel ein anderes, bestimmtes Gefühl mitzugeben. Das Wichtige war, jede Einstellung einzeln zu betrachten und zu versuchen, einen Sound und natürlich auch einen musikalischen Score zu finden, der genau diesen Moment und Schauplatz vermittelt. Und dabei treibt man die Geschichte auch klanglich voran, indem man sich von visuellen Elementen inspirieren lässt.
Wie der Sound die Luft rauslassen kann
FILMSTARTS: Eine wahrscheinlich unterschätzte Stelle, die mich aber sehr begeistert hat: Wenn die treibende Kraft des Tons plötzlich verschwindet. Die Bomben sind fertig, sie werden auf die Lastwägen verladen – und all die vorherige Dynamik von Sound und Musik sind entschwunden. Wie wichtig war es hier plötzlich den Ansatz für den Ton so radikal zu ändern?
Richard King: In dem Moment ist es so, als sei die ganze Luft aus der Situation gewichen. Die Wissenschaftler werden nicht mehr gebraucht. Sie haben ihren Teil getan. Ihnen wird gesagt, dass sie jetzt zur Seite treten sollen und die „großen Jungs“ die Dinge in die Hand nehmen.
Und viel davon erzählen wir auch über die Musik. Es ist, als ob der Thriller endet. Die Figuren sind in einem Schwebezustand, sie wissen nicht mehr, was ihre Rolle ist.
Wir haben ein paar subtile Dinge mit dem Sound getan, um das zu erreichen. Wir haben da zum Beispiel die Ketten, die gegen den Lastwagen schlagen, als dieser wegfährt. Das Geräusch nehmen wir in die nächste Szene mit, so als wäre es nur in Oppenheimers Vorstellung, in seinem Kopf.
Aber vor allem wird es in diesem Moment sehr ruhig – wie auch der Stützpunkt sehr ruhig wurde. Die gesamte Thriller-Sektion haben wir in Los Alamos sehr geschäftig erlebt. Es gibt unglaublich viel Aktivität. Wir haben vorher konstant Geräusche von Menschen und von Fahrzeugen im Hintergrund. Diese vermitteln immer: Das ist ein sehr, sehr aktiver Ort. Doch das ist plötzlich weg, es wird sehr ruhig. Alle haben ihre Arbeit getan. Sie warten nun selbst auf die Dinge, die da kommen werden.
FILMSTARTS: Du hast kurz gerade schon die Musik erwähnt. Wie war eigentlich die Zusammenarbeit mit Komponist Ludwig Göransson? Wie läuft der Entscheidungsprozess ab, wann mehr Platz für den Ton und wann mehr Platz für den Score ist?
Richard King: Das ist ein sehr langer Entwicklungsprozess. Erst einmal brachte Ludwig einen kompletten Score und ich ein komplettes Sounddesign mit. Und dann geht es um die Abstimmung. Da ist aber Chris die treibende Kraft. Er entscheidet, was für das Publikum in jedem Moment am effektivsten sein würde. Und da geht es auch hin und her. Das waren sicher sechs oder sieben sehr intensive Wochen des Mischens und Ausprobierens, bis wir schließlich an dem Punkt gelandet sind, wo wir jetzt sind: einer meiner Meinung nach ziemlich guten Kombination aus Musik und Sounddesign.
Ich persönlich sehe den Score als jene Geräusche, die das Publikum hört und mein Sounddesign als jene Geräusche, welche die Figuren hören. Und es geht darum, dass beide effektiv zusammenwirken. Das Ideal ist, dass sich der Klang der realen Welt um die Figuren herum so anfühlt, als wäre man mit ihnen in ihrer Welt. Die Musik, die wir meines Erachtens unbewusst von den Geräuschen trennen, funktioniert dagegen auf einer anderen Ebene.
Klingt "Oppenheimer" auch zu Hause so phänomenal?
FILMSTARTS: Wir führen dieses Interview anlässlich der Home-Entertainment-Veröffentlichung. Nun habe ich bislang „Oppenheimer“ nur mehrfach im Kino gesehen und mich gefragt, wie ihr sicherstellt, dass der Film auch später zu Hause gut klingt. Denn schließlich werden „Oppenheimer“ von nun an sehr viele Leute über Monate und Jahre dann fast ausschließlich zu Hause sehen.
Richard King: Ich als Sounddesigner bin erst einmal verantwortlich für die Herstellung der Töne selbst - das ist unabhängig vom Format. Doch unsere Mischer Gary Rizzo und Kevin O'Connell haben den Ton für die Heimkino-Veröffentlichung noch einmal angepasst. Gary musste da am Ende aber nur subtile Anpassungen vornehmen.
Wir haben hier ja auch keinen Dolby-Atmos-Sound sondern ganz klassisches 5.1 und das lässt sich nicht nur gut für ein ordentliches Heimkino-System, sondern sogar für Stereo übersetzen. Chris und ich haben extra diese Stereoversion überwacht, sodass sich „Oppenheimer“ auch bei euch zu Hause toll anhören wird. Wir haben also wirklich separate Mischungen erstellt - für IMAX, fürs reguläre Kino wie auch nun erneut fürs Heimkino.
„Oppenheimer“ gibt es ab dem 22. November für euer Heimkino – als 4K-Blu-ray, als reguläre Blu-ray, auf DVD und sowie natürlich auch Digital. Anlässlich der Heimkinoveröffentlichung haben wir übrigens auch mit Christopher Nolan über seinen Film und seine Herangehensweise gesprochen. Das Interview, in welchem er uns unter anderem sehr anschaulich erklärt, warum er hier durchweg auf CGI verzichtet hat, obwohl er bei „The Dark Knight Rises“ bereits eine Nuklearexplosion aus dem Computer hatte, könnt ihr hier lesen:
"Das ist Missbrauch der Kunst": Christopher Nolan erklärt uns, warum er bei "Oppenheimer" auf CGI verzichtet hat*Bei dem Link zum Angebot von Amazon handelt es sich um einen sogenannten Affiliate-Link. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision.