Weil Tod Morten (Marc Hosemann) nicht rechtzeitig zu Potte kommt, darf der Berliner Altenpfleger Reiner (Dimitrij Schaad) – zumindest erst mal – doch noch weiterleben. Was folgt, ist ein fantastisch-melancholischer Roadtrip mit Ex-Freundin Sophia (Anna Maria Mühe) erst in den Norden und dann in den Süden von Deutschland – immer mit Morten im Schlepptau.
Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Tomte-Sänger Thees Uhlmann, liefert „Mittagsstunde“-Star Charly Hübner mit „Sophia, der Tod und ich“ sein Spielfilm-Regiedebüt – und das erinnert uns vom Tonfall nicht nur an die Filme von Kultregisseur Aki Kaurismäki („Fallende Blätter“), sondern ist auch sonst sehr gut gelungen. Mehr als genug Grund, zwei der drei Hauptdarsteller*innen in einem Berliner Hotel zum ausführlichen Gespräch zu treffen:
FILMSTARTS: „Sophia, der Tod und ich“ ist nun der erste Film, den wir für unsere Aktion „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt haben – da nehmen wir jeden Monat einen deutschen Film, den wir besonders spannend finden, und behandeln ihn redaktionell wie einen Blockbuster. Also wird er ähnlich umfangreich mit Artikeln abgedeckt, wie zum Beispiel das neue Marvel-Abenteuer. Warum haben wir uns richtig entschieden?
Anna Maria Mühe: Weil wir alles zu bieten haben – Tränen und Lachen!
Dimitrij Schaad: Ein Thema, das jede und jeden etwas angeht. Dazu einen fantastischen Cast – mit Lina Beckmann als Erzengel Michaela oder Josef Ostendorf als Gott. Und natürlich Rocko fucking Schamoni. Zudem ist es das Regiedebüt des sympathischsten Schauspielers diesseits des Andromeda-Nebels. Was will man mehr?
FILMSTARTS: Wenn ein Schauspielkollege oder eine Schauspielkollegin anruft und ankündigt, jetzt ein Regiedebüt angehen zu wollen – sagt man da besonders schnell zu oder ist man im Gegenteil vielleicht sogar besonders skeptisch?
Anna Maria Mühe: Es kommt immer drauf an, welcher Kollege da anruft (beide lachen) …
Dimitrij Schaad: … aber Charly ist eben ein Mensch, der vollkommen zu Recht universally beloved ist und über den nirgendwo irgendetwas Schlechtes gesagt wird. Wenn also jemand anruft, der so lange dabei ist und so viel Liebe ausstrahlt, ist das schon mal sehr toll. Und bei mir geschah das dann auch noch direkt zu Beginn der Corona-Zeit, wo man eh auf einmal so im Niemandsland stand. Da war das gerade mit „Die Känguru-Chroniken“ – der ist in die Kinos gekommen und zehn Tage später war alles dicht. Und da saß ich eineinhalb Monate einfach im Nichts und dachte, ob es das jetzt war mit der Karriere. Dann kriegt man plötzlich eine Mail mit einem Anschreiben von Charly. Man skypt also mit ihm, was sich in dem Moment aber völlig irreal anfühlt – und bekommt diesen irrsinnig tollen Stoff angeboten! Volltreffer!
FILMSTARTS: Wenn man sich die Schauspielrollen von Charly anschaut, denkt man in der Regel sofort, was für ein liebenswerter Typ – und das deckt sich ja auch voll mit seinem Image in der Branche. Gab es denn für euch trotzdem Überraschungen in der Art, wie er Regie führt?
Anna Maria Mühe: Ich fand wirklich toll, wie wahnsinnig umarmend und wohlwollend er bei der Arbeit ist. Wenn man eine Szene mal anders spielt, als er sich das vielleicht im Vorhinein vorgestellt hat, dann hat er das total ernstgenommen – er war immer auf der Suche, und zwar mit uns gemeinsam. Ein echtes Miteinander auf Augenhöhe – und nicht wie bei einem Regisseur, der dir einfach sagt, wo es langgeht.
FILMSTARTS: Neben euch beiden spielt Marc Hosemann als Tod Morten die dritte Titelrolle – und er ist ja ganz bewusst auf seinem eigenen Planeten unterwegs. Wie war das für euch?
Anna Maria Mühe: Ich habe das eigentlich alles so auf mich einprasseln lassen und das war wahnsinnig toll und spannend, wie so eine Art Wundertüte. Jeden Tag am Set hatte er neue Ideen – und so lief er eben plötzlich rückwärts. Und wir dachten irgendwie alle: „Ja, klar!“
FILMSTARTS: Wieso „Ja, klar!“?
Anna Maria Mühe: Wir können ihm ja schlecht vorwerfen, dass der Tod sowas nicht macht – denn wer weiß das schon? Ich glaube, er hat schnell verstanden, dass er eine unglaubliche Narrenfreiheit mit dieser Figur besitzt – und das ist natürlich ein Geschenk.
FILMSTARTS: Er ist ja auch die ganze Zeit aschpfahl-weiß geschminkt. Aber wenn man den Film so schaut, vergisst man irgendwann trotzdem, dass er der Tod ist. Er hängt mit euch ab und ist halt einer von der Gang. Ist euch das beim Dreh auch mal so ergangen, dass man irgendwann vergisst, dass man es da gerade mit „dem Tod“ zu tun hat?
Dimitrij Schaad: Nicht nur das. Bei Marc vergisst man mitunter sogar, dass man gerade in einem Film spielt. Er dreht nicht irgendwann plötzlich auf und ist dann so, wie man ihn aus seinen Filmen kennt – er ist die ganze Zeit wirklich so: Er gehört zu den merkwürdigsten und unterhaltsamsten Personen, die ich kenne. Und genauso strange sind die Begegnungen mit dem Tod – und das macht ihn für mich zur absolut perfekten Besetzung. Der Tod ist die Rolle seines Lebens. Er spielt das wirklich super süß und wahnsinnig berührend.
FILMSTARTS: Eine besonders gelungene Szene ist die Kampfszene in einem kleinen Garten hinter einem Häuschen irgendwo in Norddeutschland, in der zwei Tode gegeneinander antreten. Die ist total witzig, aber auch ganz schön verstörend – wenn da erst aus dem Nichts Flamenco getanzt wird, dann aber mit den gewitternden Spezialeffekten auch schnell düsterere Töne angeschlagen werden. Aber am Set selbst, noch ohne die Effekte, muss das doch echt albern ausgesehen haben?
Dimitrij Schaad: Ich muss sagen, bei der Flamenco-Nummer habe ich am Set echt Bauklötze gestaunt. Charly lässt einfach die Kamera laufen und auf einmal ruft er aus dem Nichts: „Jetzt spielt Flamenco!“ Marc fängt also damit an – und Carlo Ljubek reagiert sofort darauf. Da steht man dann daneben und denkt: „Das ist so far out.“ Aber das stand nie im Drehbuch, das ist einfach so entstanden – deshalb hätte ich Charly für sein Debüt deutlich mehr Budget gegönnt, einfach um an bestimmten Tagen noch mehr solcher Freiheiten zu haben. Sowas kann nur am Set selbst entstehen – und plötzlich hat man so einen ganz besonderen Moment, der aber bei deutschen Filmbudgets eben gar nicht so leicht möglich ist, obwohl man sich doch noch so viele mehr davon wünscht.
FILMSTARTS: Dimitrij, nach dem kommunistischen Känguru klingelt in „Sophia, der Tod und ich“ nun direkt die nächste merkwürdige Gestalt an deiner Berliner Klingel – diesmal eben der Tod persönlich. Ist das jetzt deine Rolle? Wer klingelt als nächstes?
Dimitrij Schaad: Es ist interessant, dass du das fragst. Ein Stück weit stimmt das tatsächlich: Ich kriege glaube ich früher oder später alle Drehbücher auf den Tisch, in denen ein unterambitionierter Typ mit einer extrem wilden Frau, einem Tier, einem Alien oder einem sphärischen Wesen zu tun hat und von ihnen herausgefordert wird. Alle.
Mehr Genre-Kino wagen?!
FILMSTARTS: Also diese deutschen Filme mit Aliens, die dir angeboten wurden, haben wir dann aber nie im Kino gesehen, oder? Mir fallen da jetzt leider keine ein, selbst wenn ich tatsächlich sehr gern mehr deutsches Genrekino sehen würde…
Dimitrij Schaad: Ich habe mal ein Drehbuch zu einem merkwürdigen Horrorfilm bekommen, bei dem ein Laborant von so einem Alien-artigen Wesen heimgesucht wird. Aber ins Kino hat es der Film bisher noch nicht geschafft.
FILMSTARTS: Hast du deswegen auch mit deinem Bruder [Regisseur Alex Schaad] das Skript zu „Aus meiner Haut“ geschrieben, weil du da ja mal ganz andere Figuren spielen konntest?
Dimitrij Schaad: Mit dem Drehbuch haben wir ja schon angefangen, da hatte ich „Die Känguru-Chroniken“ noch nicht mal auf dem Radar. Zumal auch lange gar nicht klar war, ob ich in „Aus meiner Haut“ überhaupt selbst mitspiele. Wenn ich mit meinem Bruder etwas gemeinsam schreibe, dann gucken wir immer: Was soll die Story sein? Welche Figuren braucht sie, um erzählt zu werden? Und wenn dann das Drehbuch steht und wir einen besseren Schauspieler für eine bestimmte Rolle finden, dann bin ich nicht dabei. Und wenn nicht, dann springe ich halt kurzfristig mit rein.
FILMSTARTS: In Deutschland steckt zwar bei vielen Kinofilmen auch TV-Geld mit drin – aber gerade bei „Sophia, der Tod und ich“ habe ich mir direkt gedacht: Als Fernsehfilm hätte es sowas einfach nicht geben können, alleine schon wegen des wunderbar körnigen Look des Films und natürlich auch wegen des lakonischen Humors. Wenn das Erste den Montagabend um 20.15 Uhr zeigt, da glühen dann die Telefone und die Leute beschweren sich, was da denn los ist?
Anna Maria Mühe: Ich glaube schon, dass das Kino nach wie vor mutiger ist als das Fernsehen. Ich finde auch immer, dass die Senderbeauftragten dem Zuschauer zu wenig zumuten und zutrauen. Das finde ich relativ schade. Und trotzdem darf man da auch nicht aufgeben, sondern sollte weiter dran arbeiten. Und es gibt schon auch Menschen, die noch was erzählen wollen, und zwar mit Hand und Fuß und nicht nur seicht. Die muss man finden – und wenn man sie erst einmal gefunden hat, dann kann man sich auch gut mit ihnen austauschen und Sachen verändern.
Dimitrij Schaad: Das Ding ist, Sender haben nun mal eine bestimmte Zuschauerschaft, die sie bedienen – und das ist auch gut so. Schwierig ist es erst dann, wenn die Sender Kinofilme koproduzieren – und zwar teilweise nur, um sie dann drei Jahre später einmal nachts um 00.30 Uhr für zwölf Wachgebliebene auszustrahlen. Sie stecken nur einen kleinen Teil des Budgets rein, haben aber überproportional viel Einfluss drauf, schleifen interessante Ecken und Kanten ab, nur um sie zum Teil am Ende ganz stiefmütterlich zu versenden. Warum? Das bessere System wäre es, Kinofilme unabhängig davon zu fördern – und dem Kino so auch wieder seine ganz eigene, auch radikalere Sprache zu ermöglichen…
Warum werden deutsche Filme mitunter im Ausland mehr gefeiert als bei uns?
FILMSTARTS: Im Kino wiederrum gibt es oft das Problem, dass speziell auch mal Genrefilme, selbst wenn sie wie „Der Nachtmahr“, „The Ordinaries“ oder eben „Aus meiner Haut“ im Ausland gefeiert werden, hierzulande längst nicht den Hype entwickeln, den sie eigentlich verdient haben. Was meint ihr, ist da der Unterschied zu den USA oder auch Frankreich? Was könnte man tun, dass da der Funke wieder häufiger überspringt?
Dimitrij Schaad: Das ist eine sehr komplexe Frage, bei der ich mich auch an die eigene Nase fassen muss. Bis ich selbst im Business war, habe ich auch keine deutschen Filme geguckt. Als Arthouse-Fan schaut man eben zuerst „Triangle Of Sadness“, „The Banshees Of Inisherin“ und „Die Frau im Nebel“ – bevor dann irgendwann „Aus meiner Haut“ dran wäre. Das ist mir total klar und man muss als Macher:in die eigenen Erwartungen runterschrauben. Das lässt sich auch nicht in zwei, drei Jahren komplett umkehren – man muss das Publikum mit einer guten Qualität über einen längeren Zeitraum sozusagen neu sozialisieren …
Anna Maria Mühe: … und ich glaube, Sozialisierung findet auch in der Schule statt. Wenn es da Lehrer geben würde, die da einen besseren Draht zu hätten, wäre das schon viel wert, weil da sind die Massen an jungen Menschen …
Dimitrij Schaad: … und deshalb ist es toll, dass es in diesem Jahr auch einen Film wie „Sonne und Beton“ gibt, der sich für eine junge Zuschauerschicht öffnet und einfach auch wahnsinnig gut gemacht ist. Der knackt dann die Millionen Zuschauer – und das macht mich sehr glücklich zu sehen, dass es so geiles Deutsches Kino auch gibt!
Wenn ihr jetzt noch mehr Bock auf einen ordentlichen Schnack rund um „Sophia, der Tod und ich habt“, dann hört doch mal in die dazugehörige Folge unseres Podcasts Leinwandliebe rein – da haben wir nämlich den Schauspieler und Spielfilmregiedebütanten Charly Hübner zu Gast, der uns u.a. verrät, wie er als totaler Anfänger auf diesem Gebiet Spezialeffekte in Auftrag gegeben hat:
„Sophia, der Tod und ich“ läuft seit dem 31. August in den deutschen Kinos – und wir können ihn euch nur wärmstens ans Herz legen, weshalb das Fazit unserer offiziellen 4-Sterne-Kritik dann auch lautet: „Charly Hübner setzt mit seinem Spielfilm-Regiedebüt direkt ein Ausrufezeichen und würzt die eh schon lebensklug-komische Romanvorlage von Thees Uhlmann mit jeder Menge trockenem norddeutschen Humor, einer makabren Melancholie sowie inszenatorischen Ambitionen, die man aus dem deutschen Komödien-Kino ansonsten nicht unbedingt gewöhnt ist.“
PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Sophia, der Tod und ich“ ist der erste Film, dem wir dieses Siegel verleihen.
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