Wenn das Sterben nicht klappt, wird’s lustig!
Von Christoph PetersenIn seinem 2015 veröffentlichten Debütroman „Sophia, der Tod und ich“ (» gibt’s hier bei Amazon*) erzählt Thees Uhlmann von einem jungen Mann, der ganz plötzlich an einem Herzfehler sterben soll, dann aber doch noch eine zweite Chance erhält, weil der Tod das mit dem Abmurksen einfach nicht rechtzeitig auf die Kette kriegt. Es ist eine skurrile und makabre Geschichte, bei der man immer wieder laut Lachen muss. Vor allem in der zweiten Hälfte geht sie aber auch zu Herzen und wartet mit der Lebensklugheit auf, welche auch viele der Songtexte des Musikers (u.a. Gründungsmitglied und Sänger der kultigen Hamburger Indie-Rockband Tomte) auszeichnet.
Acht Jahr später wird aus dem Debütroman nun ein Spielfilm-Regiedebüt – und zwar das des Schauspielers Charly Hübner, der u.a. zwölf Jahre lang als Rostocker „Polizeiruf 110“-Kommissar Bukow tätig war und 2018 für seine Titelrolle in „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ mit dem Ernst-Lubitsch-Preis für die beste komödiantische Leistung in einem deutschsprachigen Kinofilm ausgezeichnet wurde. Nachdem er die Romanverfilmung „Mittagsstunde“ bereits im vergangenen Jahr mit seiner ihm eigenen Flachland-Störrigkeit zum Kinohit veredelte, bringt er nun auch als Regisseur seinen unverkennbar-norddeutschen Humor mit ein. Fast noch wichtiger ist allerdings, dass sich Hübner bei „Sophia, der Tod und ich“ auch inszenatorisch unerwartet ambitionierte Ziele gesteckt zu haben scheint.
Nachdem Reiner (Dimitrij Schaad) doch nicht gestorben ist, unternimmt er mit seiner Ex Sophia (Anna Maria Mühe) und „seinem“ Tod Morten (Marc Hosemann) einen Ausflug nach Norddeutschland.
Der in Berlin lebende Altenpfleger Reiner (Dimitrij Schaad) ist es gewohnt, dass seine Klient*innen das Zeitliche segnen. Er selbst ist dafür natürlich noch viel zu jung – und so hält er es auch für einen Irrtum, als der Tod Morten (Marc Hosemann) bei ihm an der Tür klopft und ihm eröffnet, dass er nun sterben wird. Erst als sein aschfahler Gast das Schlagwort „unentdeckter Herzfehler“ erwähnt, fällt bei Reiner der Groschen – schließlich war das auch schon der Grund für den frühen Tod seines Vaters. Allerdings verstreicht bei der Diskussion einiges an Zeit – und so überschreitet Morten die für das Ableben vorgeschriebene Maximaldauer von drei Minuten. Reiner bleibt also – zumindest vorerst – am Leben.
So richtig mit seiner neuen Lage auseinandersetzen kann er sich aber dennoch nicht. Denn schon im nächsten Moment klingelt es an der Tür: Seine Ex-Freundin Sophia (Anna Maria Mühe) will ihn für einen lange geplanten Trip zum Geburtstag von Reiners Mutter Lore (Johanna Gastdorf), die noch nichts von der Trennung der beiden weiß, abholen. Das Problem ist nur: Solange die Sache nicht geklärt ist, darf sich Morten nicht mehr als 300 Meter von seiner Zielperson entfernen – denn sonst könnte das nicht nur das endgültige Aus für Reiner, sondern gleich auch noch von Sophie bedeuten. Und so geht es eben gemeinsam im polnischen IC in Richtung norddeutsche Provinz – mit gleich ein paar Flaschen Wodka im Gepäck, an denen vor allem Morten einen ausgesprochenen Gefallen zu finden scheint…
Morten ist übrigens nicht der einzige Tod. Es gibt gleich ein ganzes Heer, das sich allmorgendlich noch vor Sonnenaufgang vor der Imbissbude trifft (direkt sympathisch: Wurst, Bier und Kaffee kosten jeweils nur 0,99 Euro) ihrer Chefin Michaela (fantastisch: Lina Beckmann) versammelt. Schon die erste Kamerafahrt hin zum Dach neben dem S-Bahn-Hof Gesundbrunnen sowie die aus dem schwarzen Nichts aufpoppenden Tode machen dabei unmissverständlich klar: „Sophia, der Tod und ich“ ist ganz sicher keine durchschnittliche Hochglanz-Komödie! Die Bilder sind körnig und minimal verschrammt wie bei einer frischen 35mm-Kopie – so entsteht trotz der erstaunlich überzeugenden visuellen Effekte direkt ein gewisser Indie-Vibe, der sich dann auch in den – anfänglicher Schauplatz Berlin hin oder her – wunderbar norddeutsch-lakonischen Dialogen widerspiegelt:
Wenn Reiner mit einer Seniorin im Rollstuhl über den (Lakritz-)-Geschmack von Asphalt diskutiert, dann fallen dabei so wunderbare Beobachtungen wie diese: Das ist wie Norddeutscher Nieselregen – du spürst ihn zwar nicht, aber dann bist du doch komplett durchnässt. In der lustigsten Szene des Films stehen wenig später die Zeugen Jehovas vor der Tür – nur reicht denen nicht, dass Reiner zumindest beim Fußball betet, weshalb er sie ohne mit der Wimper zu zucken fragt, ob er dann nicht im Fall der Fälle vielleicht bei ihnen mitkönne. Und wenn dann auch noch der Tod aufschlägt, dann nimmt Dimitrij Schaad („Aus meiner Haut“) den unerwünschten Besuch mit derselben entwaffnend-elegischen Dann-ist-das-halt-so-Attitüde hin wie vor drei Jahren, als in „Die Känguru-Chroniken“ plötzlich ein kommunistisches Beuteltier bei ihm eingezogen ist.
Gott nennt sich hier nur G (Josef Ostendorf) – und kann alles außer Autofahren.
Marc Hosemann („Die Discounter“) schrammt mit seiner theatergeschminkten Performance unterdessen immer wieder am puren Slapstick vorbei und verleiht seinem beruflich ins Schwimmen geratenen Sensenmann so neben der schieren Komik zugleich auch eine gewisse melancholische Doppelbödigkeit. Zum allgemeinen Understatement des Films passt die zentrale „Action“-Sequenz besonders gut. In der nimmt es Morten mit seinem finsteren Kollegen Morck Mortus (Carlo Ljubek) auf - und plötzlich weht ein Hauch von „Matrix“ durch den kleinen Garten des schleswig-holsteinischen Einfamilienhauses von Reiners Mama. Weil die beiden Kontrahenten trotz des wenig Showdown-würdigen Settings und der wenig vorteilhaft anmutenden Fight-Moves mit allem verfügbaren Pathos zur Sache schreiten, ist dieser ganz spezielle Todeskampf inklusive Flamenco-Duell ein gleichermaßen faszinierendes wie schrulliges Highlight.
Bleibt noch Anna Maria Mühe („Die Geschichte einer Familie“), die mit ihrer pragmatisch-schlagfertigen Art noch mal eine ganz andere Energie in das Roadtrip-Trio hineinbringt – und es so erst richtig rund werden lässt: Nach dem Abstecher in den Norden geht es noch weiter ganz tief in den Süden, wo ein Sohn aus einer noch früheren Beziehung wartet, dem Reiner zwar jeden einzelnen Tag einen Brief schreibt, den er seit Jahren aber nicht mehr gesprochen geschweige gesehen hat. Gerade in dieser zweiten Hälfe ist Charly Hübners Version noch mal deutlich nachdenklicher als die Romanvorlage – aber genau so eine eigene Note will man ja auch haben von einem Neu-Regisseur. Und zu Lachen gibt es auch so genug, schließlich schaut ja auch noch G (Josef Ostendorf) persönlich vorbei – und der kann tatsächlich alles … - außer Autofahren.
Fazit: Charly Hübner setzt mit seinem Spielfilm-Regiedebüt direkt ein Ausrufezeichen! Der „Mittagsstunde“-Star würzt die eh schon lebensklug-komische Romanvorlage von Thees Uhlmann mit jeder Menge trockenem norddeutschen Humor, einer makabren Melancholie sowie inszenatorischen Ambitionen, die man aus dem deutschen Komödien-Kino ansonsten nicht unbedingt gewöhnt ist.
PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Sophia, der Tod und ich“ ist der erste Film, dem wir dieses Siegel verleihen.
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