Uwe Boll steht sich am Ende doch wieder selbst im Weg
Von Thorsten HanischDer zwischenzeitlich auf Restaurantbetreiber umgesattelte Uwe Boll meldete sich 2021 nach fünfjähriger Regie-Abstinenz mit einem Paukenschlag zurück: Allein die Ankündigung, dass der berüchtigte Regisseur und Drehbuchautor den rechtsextremen Anschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau filmisch aufarbeiten will, sorgte für etliche Schlagzeilen und stark erhitzte Gemüter. Der fertige, einfach nur „Hanau“ betitelte Film ist dann auch wieder typisch für Boll geworden: Durchaus ehrlich gemeint, aber leider steht sich Boll am Ende mal wieder selbst im Weg.
Als der gebürtige Wermelskirchener nach einer Reihe völlig missratener bis bestenfalls mäßiger Videospielverfilmungen wie „House Of The Dead“ oder „Alone In The Dark“ wieder zu seinen Anfängen und damit zu politisch aufgeladenen Stoffen wie „Darfur“, „Rampage“ oder „Auschwitz“ zurückkehrte, brachte ihm das zwar eine gewisse Akzeptanz ein – aber schlussendlich bleibt Boll nun mal Boll. Und wer mal in seine zahlreichen Interviews oder gar seinen Podcast „Boll & Blasberg“ reingehört hat, der weiß, was das bedeutet: Man glaubt Boll sofort, dass er ein hochpolitischer Kopf ist, der bei einigen seiner Filme auch die richtigen Absichten verfolgt. Er will die Ereignisse nicht einfach ausschlachten, sondern meint es gut und ernst. Aber er ist eben auch impulsiv, eher Bauch- als Kopfmensch, was ihn gerade bei sensiblen Stoffen oftmals wie eine Abrissbirne wirken lässt. „Hanau“ bildet da keine Ausnahme.
"Hanau" lässt sich viel Zeit, um den grauen Alltag und die von Verschwörungstheorien befeuerten Wahnvorstellungen von Tobias Rathjen zu schildern.
Am 19. Februar erschoss der 43-jährige Hanauer Tobias Rathjen neun Bürger mit Migrationshintergrund und anschließend seine eigene Mutter und sich selbst. Der Täter war arbeitslos und den Behörden seit Jahren mit paranoiden Wahnvorstellungen aufgefallen. Dass er dennoch seit 2002 legal Waffen besitzen durfte und die Opfer dutzende Male versuchten, die Polizei anzurufen, dort jedoch niemand ranging, gehört zu einer Reihe von kritikwürdigen Umständen, die aber auch in „Hanau“ nur am Rande angeschnitten werden. Stattdessen konzentriert sich der Film in den ersten, betont kühl bebilderten 60 Minuten voll und ganz auf den von Boll-Stammdarsteller Steffen Mennekes (u.a. „Bloodrayne 2“) eindringlich verkörperten Täter.
Der hält sich meistens in seinem Zimmer auf, wo er Gespräche mit eingebildeten Geheimagenten führt. Angetrieben von einer Mischung aus Größen- und Verfolgungswahn gewürzt mit wilden Verschwörungstheorien und gekränktem Narzissmus verfasst er wirre Pamphlete – bis es schließlich zum minutiös geschilderten Anschlag kommt. Das alles wird mit geradezu dokumentarischem Eifer betont kühl geschildert. Der eigentliche Film ist dann zu Ende. Es folgt aber noch ein Anhang, der aus einer etwas willkürlich wirkenden Montage besteht, in der u.a. Szenen mit Donald Trump, Björn Höcke, Anders Breivick und Attila Hildmann gezeigt werden. Schließlich taucht der Regie-Berserker in einem weiteren Abschnitt auch noch persönlich auf und führt das Publikum in den etwas salopp runtergefilmt wirkenden letzten Minuten durch die Originalschauplätze des Geschehens. Am Ende werden alle Opfer auf Schrifttafeln kurz vorgestellt.
Das grundsätzliche Anliegen ist klar. „Hanau“ will die Tat, das ganze Grauen hinter den womöglich nur kurzlebigen Schlagzeilen greifbar machen, er will ein Mahnmal wider dem Vergessen sein und ein Warnung, dass sich Verbrechen dieser Art jederzeit wiederholen können. Das ist grundsätzlich ehrenwert und angesichts des Umstandes, dass die Bundesanwaltsanwaltschaft die Ermittlungen im Fall Hanau Mitte Dezember 2021 mit äußerst unbefriedigendem Ausgang für alle Hinterbliebenen eingestellt hat, sicherlich auch zeitlich nicht unpassend.
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Das Problem ist allerdings, dass Boll wie schon bei „Darfur“ oder „Auschwitz“ viel zu sehr in konventionellen (Genre-)Bahnen denkt oder ihm vielleicht auch einfach nur der Mut fehlt, dem ungewöhnlichen Inhalt mit ungewöhnlichen Mitteln zu begegnen. So verzichtet auch sein Comeback nicht auf schlichte dramaturgische Kniffe (am Anfang wird in einer Szene auf dem Schießstand mittels einer knalligen Montage vorweggenommen, was am Ende passiert). Dazu gibt es dick auftragende Musik und krude Gewalteffekte von Splatter-Masestro Olaf Ittenbach, was den sonst vorherrschenden dokumentarischen Ansatz konsequent torpediert. Der Regisseur wirkt einmal mehr regelrecht schizophren: Es ist durch und durch spürbar, dass er ein echtes Anliegen hat, gleichzeitig plagt ihn aber offenbar die Angst, er könnte seine Zuschauer langweilen, wenn er ihnen nicht die üblichen Exploitation-Ausbrüche liefert.
Bei den Anschlagszenen zeichnet Gore-Pabst Olaf Ittenbach für die Splatter-Effekte verantwortlich - was den an sich so nüchternen Ansatz des Films unterläuft.
Boll hat seinem Film ursprünglich noch mit dem auf Rainer Werner Fassbinder anspielenden Zusatztitel „Deutschland im Winter“ versehen. Auch deshalb ist es schade, dass er sich nicht Fassbinders in Zusammenarbeit mit Michael Fengler entstandenen, inhaltlich und strukturell ähnlichen „Warum läuft Herr R. Amok“ (1970) zum Vorbild genommen hat. Fengler und Fassbinder zeichnen mittels einer durch und durch naturalistischen, regelrecht „faden“, aber gerade deshalb umso beklemmender wirkenden Inszenierung präzise den grauen, von versteckten Aggressionen durchdrungenen Spießbürger-Alltag ihres Charakters nach und machen so überhaupt erst greifbar, wie es zu der irrationalen Bluttat überhaupt kommen konnte. Boll springt hingegen - mit viel zu konventionellen Mitteln – direkt hinein in den Wahnsinn seiner Figur. Wie dieser so unscheinbar aussehende Mann sich so sehr in seinen Gedankenpalast verirren konnte (die extrem umstrittene Rolle des Vaters des realen Attentäters wird leider nur angedeutet), bleibt also weiter unklar.
Natürlich werden die Beschränkungen des Drehbuchs wahrscheinlich auch auf den frühen Zeitpunkt der Produktion und dem Bemühen, möglichst nah an der Realität zu bleiben, zurückzuführen sein. Aber schon im Vorspann steht ja, dass es sich hier nur um eine Interpretation der Ereignisse handelt – etwas mehr Mut zum aus dem Fenster lehnen oder zumindest etwas längeres Warten auf mehr Ermittlungsergebnisse hätte da vielleicht einen inhaltlich etwas reicheren Film ergeben. In dieser Form begnügt sich „Hanau“ eben mehr oder weniger mit einem Nachstellen der Ereignisse sowie dem Statement, dass der Rechtsradikalismus zusehends wieder erstarkt, mittlerweile von einer guten Portion Wahnsinn durchsetzt ist und der Staat nicht genügend dagegen tut.
Fazit: Nein, ein guter Film ist „Hanau“ nicht geworden, dafür ist das Ganze zu unausgegoren. Aber es ist auch kein gänzlich uninteressanter Film. Er ist vor allem von einer gewissen Ehrlichkeit geprägt. Es wäre nur schön, wenn sich Uwe Boll mit eventuellen zukünftigen Projekten dieser Art deutlich mehr Zeit lässt oder sich zumindest einen starken Co-Autoren dazu holt. Auch inszenatorisch wäre etwas mehr Mut und Konsequenz begrüßenswert – der passionierte Boxer mit Doktortitel ist mit Sicherheit zu Filmen fähig, die seinen vorab in Podcasts und Interviews erklärten Visionen dann auch mehr gerecht werden als „Hanau“.
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