So viel mehr als nur ein weiterer deutscher Panzerfilm
Von Gaby SikorskiMitte des 19. Jahrhunderts kam der Schriftsteller und Journalist Theodor Fontane auf die damals ungewöhnliche Idee, das Berliner Umland zu bereisen und darüber zu schreiben. Der ursprüngliche Grund dafür war pure Neugier, hinzu kam wohl auch seine zeittypische romantische Heimatverbundenheit. Daraus entstanden sind die bis heute bekannten „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Fontanes Beschreibungen von Land und Leuten sind geprägt von seiner scharfen Beobachtungsgabe, viel Sinn für Humor und von der Zuneigung zu den Menschen der Region. Und genau diese Ingredienzien sind es nun auch, die „Another German Tank Story“, das Langfilmdebüt von Jannis Alexander Kiefer, so sehenswert machen. Sein Film spielt in Wiesenwalde, einem kleinen Dorf mitten in Brandenburg, das zwar ziemlich abgewrackt wird, aber in Wahrheit wahrscheinlich noch nie bessere Tage gesehen hat.
Die einzige Sehenswürdigkeit ist das Brunnendenkmal des Komponisten Georg Philipp Telemann, der hier auf der Durchreise durch das örtliche Wasser angeblich von einer schweren Krankheit kuriert wurde. Ansonsten hat Wiesenwalde außer einer Gaststätte, die natürlich „Telemann Klause“ heißt, sowie dem Dorfladen „Minimarkt Wolff“ wenig bis gar nichts zu bieten. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, denn eine US-Produktion hat das verschlafene Dörflein zum zentralen Drehort für einen Blockbuster gewählt, der im Zweiten Weltkrieg spielt. Die bis in die Haarspitzen engagierte Bürgermeisterin Susi (Meike Droste) ist deshalb guter Dinge, dass Wiesenwalde bald zum touristischen Hotspot wird. Ähnlich sieht das auch die geschäftstüchtige Gastwirtin Jenny (Gisa Flake), die – vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte des Ortes – alle Zimmer der „Telemann Klause“ vermietet hat.
Susis Sohn Tobi (Johannes Scheidweiler) hat unterdessen einen Job als Fahrer für die Filmproduktion bekommen. Nur ist er leider durch die Führerscheinprüfung gefallen und kann Autos sowieso nicht leiden, weshalb er ablehnt, schneller als Schrittgeschwindigkeit zu fahren. Tobis bester Kumpel Wolffi (Alexander Schuster) hingegen hat eine Komparsenrolle ergattert und ist überzeugt davon, dass er jetzt für Hollywood entdeckt wird. Während die Dreharbeiten in vollem Gange sind und deshalb immer wieder der Strom ausfällt („Ihr braucht keinen Elektriker, ihr braucht einen Exorzisten“), kommt ausgerechnet Susis Ex-Lover Bert (Roland Bonjour) nach fast 20 Jahren zurück nach Wiesenwalde. Und dann steht da auch noch ein Panzer in ihrer Einfahrt, der einfach nicht abgeholt wird…
Kann ein Film gleichzeitig lieb, böse und witzig sein? Dieses Kunststück vollführt Jannis Alexander Kiefer mit seinem Abschlussfilm an der Filmuniversität Konrad Wolf jedenfalls mit augenzwinkernder Bravour. Er mischt Situationskomik und Dialogwitz mit einem feinen ironischen Blick – und erreicht damit ein ziemlich hohes brandenburgisches Humorniveau, das traditionell vor allem von lakonischen Sprüchen und einer liebenswert lässigen Charme-Verweigerung geprägt ist. In bester Fontane-Tradition möchte man da sagen, wobei ihn neben Wes Anderson offenbar auch die Coen-Brüder beeinflusst haben, wovon einige sehr schöne Tableaus sowie der gleichzeitig humorvolle und kritische Blick aufs Provinzleben à la „Fargo“ zeugen.
Hinzu kommt, dass Kiefer einen sehr eigenen und eigenwilligen Stil pflegt. Er verlangsamt den Film mitunter haarscharf bis an die Grenze des Erträglichen und macht ihn dadurch noch komischer. Dazu kommen die originellen bis schrulligen Charaktere – Wiesenwalde wird zum Mikrokosmos einer abgehängten Provinzgesellschaft, in der alte Leute ihren eigenen Tod planen und vorher noch mit der (Hakenkreuz-)Vergangenheit im Keller aufräumen wollen. In all diesen Menschen, den jungen wie den alten, treffen in knorrig märkischer Manier Originalität und Starrköpfigkeit aufeinander. „Ein Mord mit Aussicht“-Kultpolizistin Meike Droste verkörpert Susi mit tollem Timing und sehr komisch als glühende Optimistin, die sich von nichts aus der Ruhe bringen lässt, nicht einmal von einem riesigen Panzer, der statt am Set in ihrem Vorgarten gelandet ist und dessen Abholung schon fast „Warten auf Godot“-artige Formen annimmt.
Unerschütterlich glaubt Susi an Wiesenwaldes (Wieder-)Aufstieg, mit frisch gebackenem Kuchen sitzt sie regelmäßig zur Bürgersprechstunde im leeren Büro und bleibt positiv bis in die letzte Faser – eher untypisch für die Region. Trotzdem reißt sie andere mit, manchmal sogar ihren Sohn, den Johannes Scheidweiler mit schluffiger Teddybären-Attitude als Landei ohne Perspektive spielt und damit viel Konfliktpotenzial im Verhältnis zu seiner Mutter schafft. Doch darum geht es gar nicht, es geht hier generell nicht um Konflikte, Probleme oder Lösungen und eigentlich um gar nichts Bestimmtes und gleichzeitig um so viel, und vor allem darum, sich irgendwie durchzuschlagen – hier in diesem Nest Wiesenwalde, das man ebenso wie seine Bevölkerung immer mehr liebgewinnt, je länger der Film dauert. Das gilt sogar für den naiven Wolffi, der seine Komparsen-Wehrmachtsuniform gar nicht mehr ablegen will, oder für den vorgeblichen Star-Journalisten Bert, den zumindest das Publikum schnell als armes Würstchen durchschaut.
Über dem gesamten Film liegt eine wunderbar trübetümplige Atmosphäre, die an sich schon komisch ist. Verstärkt wird diese durch die Collagen-hafte Gestaltung der Figuren in ihrer lakonischen Einsilbigkeit, aber auch durch den Gegensatz zwischen dem verpennten Dörflein und dem lauten Geschützdonner des Blockbuster-Sets, das man hinter einer hohen Betonmauer meist nur erahnen kann. Noch dazu spielt der Film im Herbst, was der Komödie neben einem stark erhöhten Melancholie-Level auch eine ordentliche Portion Tristesse gibt, auch durch die Farbgestaltung in matt müden Tönen. Bis ins kleinste Detail wurde hier an alles gedacht: Der Soundtrack ist natürlich von Telemann und der Film ist mit all den wunderbaren Grässlichkeiten ausgestattet, die ein brandenburgisches Provinzkaff zu bieten hat, einschließlich vieler DDR- und NS-Relikte. Vor allem aber präsentiert sich das erfundene Dörfchen Wiesenwalde als Heimat von ziemlich schrulligen und gleichzeitig ziemlich normalen Menschen.
Mit demselben liebevollen Humor zieht Kiefer hier die Filmbranche kräftig durch den Kakao. Besonders fies – und deshalb so schön – ist es, dass hier die Dreharbeiten sozusagen von hinten, also aus der Kulisse beobachtet werden. Der angebliche Filmstar, den Bert für ein Tratschblatt interviewen will, um seine nicht existente Karriere wieder anzuschieben, entpuppt sich schließlich als Lichtdouble. Denn die hoch bezahlten Filmgrößen wohnen natürlich nicht in Wiesenwalde, nur gelegentlich fährt ein Konvoi mit schwarzen Vans durchs Bild. Da sitzen sie dann drin, die Promis, unerreichbar und unfassbar wie die Sterne am Himmel. Oder wie das richtige Leben da draußen.
Fazit: „Wer bist du geworden? Und warum hast du nichts dagegen getan?“, steht auf der einsamen Parkbank zu Beginn dieser Komödie, die nur scheinbar harmlos daherkommt und relativ schonungslos, wenn auch gleichzeitig liebevoll vom Leben in der ostdeutschen Provinz erzählt. Ohne Anklage, ohne Appell, aber mit scharfem satirischem Blick. Denn Wiesenwalde ist überall.
PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Another German Tank Story“ ist unsere Wahl für den April 2025.