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    In voller Blüte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    In voller Blüte

    Der Abschied von gleich zwei Leinwand-Legenden!

    Von Markus Tschiedert

    Am 14. März 2023 feierte Sir Michael Caine seinen 90. Geburtstag. Ein Alter, in dem andere längst ihren wohlverdienten Ruhestand genießen. Caine aber blieb auch nach dem üblichen Renteneintrittsalter fleißig. Nachdem der Brite in „Batman Begins“ den Butler Alfred mimte, durfte er bis zu „Tenet“ in keinem Film von Christopher Nolan fehlen. Aber auch Hauptrollen schulterte Caine noch mit über 80 bravourös. Wobei zumindest in den deutschen Titeln von „Abgang mit Stil“ (2017) und „Ein letzter Job“ (2018) bereits eine gewisse Abschiedsstimmung mitschwang. „The Great Escaper“ (= „Der große Ausreißer“) wiederum hat hierzulande nun ausgerechnet den Titel „In voller Blüte“ verpasst bekommen – obwohl Michael Caine erst vor wenigen Wochen ganz offiziell verkündete hat, dass er mit diesem Film seine Abschiedsvorstellung gibt.

    Die Rolle eines Kriegsveteranen, der aus dem Altersheim ausbüxt, um an den Feierlichkeiten zum D-Day teilnehmen zu können, sei für ihn nun nicht mehr zu übertreffen. Drei Mal lehnte er die Rolle ab, weil er sich bereits im unausgesprochenen Ruhestand sah. Glücklicherweise konnte er dann doch nicht widerstehen. Traurigerweise starb Glenda Jackson, die im Film seine Ehefrau spielt, im Juni 2023 kurz nach den Dreharbeiten im Alter von 87 Jahren. Insofern ist „In voller Blüte“ gleich ein doppelter Abschied von zwei Filmlegenden, der wehmütig stimmt. Zumal das Zusammenspiel der beiden in ihren wenigen gemeinsamen Szenen auch noch tief berührt.

    „In voller Blüte“ wird trotz seines deutschen Titels als letzter Film von gleich zwei absoluten Legenden des Kinos in die Filmgeschichte eingehen.

    Zum 70. Mal soll am 6. Juni 2014 an die Landung der Alliierten in der Normandie gedacht werden. Nur zu gern würde Bernie Jordan (Sir Michael Caine), der als junger Soldat dabei gewesen ist, daran teilnehmen – die geplante Seniorengruppenreise ist bereits ausgebucht. Seine Gattin Rene (Glenda Jackson), mit der er in einem Pflegeheim lebt, bestärkt ihn darin, es doch auf eigene Faust zu versuchen. Am nächsten Morgen ist der 89-Jährige verschwunden – und Rene lässt sich einiges einfallen, um ihrem Mann einen möglichst großen Zeitvorsprung zu verschaffen, bis die Heimleitung davon Wind bekommt.

    Nur knapp erreicht Bernie die Fähre von England nach Frankreich. Unterwegs trifft er andere Kriegsveteranen wie Arthur (Sir John Standing), der Bernie anbietet, das Hotelzimmer mit ihm zu teilen. Im Vertrauen erzählt er Bernie von seinem Kriegstrauma, das ihn in den Alkohol trieb. Auch Bernie plagen schreckliche Erinnerungen, nur hatte er das Glück, dass er mit Rene die Frau seines Lebens fand. Inzwischen weiß in England jeder von Bernies Ausriss – und die Medien erheben ihn sogar zum Nationalhelden…

    Eine wahre Geschichte

    Erst kürzlich kam mit „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ eine ähnliche Story ins Kino, die allerdings auf einem fiktiven Roman basiert, während „In voller Blüte“ ein wahres Ereignis nacherzählt. Bernard Jordan gab es wirklich, und tatsächlich machte er sich 2014 mit 89 Jahren auf den beschwerlichen Weg, um von seiner Altersresidenz in Brighton nach Frankreich zu gelangen, um seinen gefallenen Kameraden aus dem Zweiten Weltkrieg die letzte Ehre zu erweisen. Ein Jahr später starb Bernard Jordan. Michael Caine spielt diesen Mann mit voller Entschlossenheit, haucht ihm aber auch eine Melancholie und tiefe Menschlichkeit ein. Ein wenig erinnert das an seine Rolle als Dr. Wilbur Larch aus „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ (1999), die er hier zu variieren scheint. Nach „Hannah und ihre Schwestern“ (1986) brachte ihm diese Rolle vor 23 Jahren übrigens den zweiten Oscar ein.

    Glenda Jackson war bereits vor 48 Jahren in „Die romantische Engländerin“ seine Partnerin, und schon deshalb ist es schade, dass die beiden in ihrem zweiten gemeinsamen Film nur so wenige Szenen zusammen haben. Aber die wahre Geschichte verlangte das nun mal, obwohl sich Regisseur Oliver Parker („Johnny English - Jetzt erst recht!“) große Mühe gibt, beiden ihre großen Schauspielmomente zu geben, indem er zwischen zwei Schauplätzen hin- und herwechselt, wodurch dem an sich schlichten Plot zudem eine Extraportion Dynamik verliehen wird. Mit Jackson erleben wir ein Kammerspiel, mit Caine ein Roadmovie. Im Zentrum stehen aber natürlich die Belange von Bernard Jordan, der sich auf das Abenteuer eingelassen hat, während seine Frau zu Hause quasi die Stellung hält.

    Gleich drei Mal hat Michael Caine die Rolle abgelehnt – bevor er sich schließlich doch noch umstimmen ließ!

    Das ist womöglich nicht unbedingt ein Film für ein modernes junges Publikum, das konservative Geschlechterklischees hinter sich gelassen hat und vielleicht auch nicht nachvollziehen kann, warum ein altgedienter Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg unbedingt noch einmal an den Ort des Schreckens zurückkehren will. Aber warum sich nicht einfach mal in die Figur des Bernard Jordan hineinversetzen, um ein Verständnis für dessen Schicksal aufzubringen? In Rückblenden sehen wir immer wieder den jungen Jordan (Will Fletcher), der miterleben muss, wie seine Kameraden sterben. In den Erinnerungen des alten Jordan haben sich diese Bilder verfestigt, er wird sie nie wieder los, und den Schmerz darüber erträgt er nur, wenn er an den Gräbern der Gefallenen steht und salutiert.

    Parker gelingt es, Verständnis für seine Hauptfigur aufzubringen, hält sich dabei aber mit Pathos und Patriotismus doch recht zurück. Denn in erster Linie versteht sich „In voller Blüte“ als Tragikomödie, und diesbezüglich hat eindeutig Glenda Jackson die Nase vorn. Permanent scheucht sie das Personal auf, wenn sie mit impulsiven Aktionen ihr Zimmer umkrempelt oder mit ihrer schrullig-schrägen Art kesse Sprüche raushaut. Glenda Jackson wurde übrigens auch mit zwei Oscars ausgezeichnet (für „Liebende Frauen“ und „Mann, bist du Klasse!“). Im Gegensatz zu Caine hat sie diese allerdings nicht für Nebenrollen, sondern als Hauptdarstellerin gewonnen.

    Fazit: In dem Wissen, dass die kürzlich verstorbene Glenda Jackson und der sich nunmehr im Ruhestand befindliche Michael Caine mit „In voller Blüte“ ein letztes Mal im Kino zu sehen sind, schwingen hier ganz viel Abschiedsschmerz und Filmnostalgie mit. Gewiss ist Regisseur Oliver Parker kein Meisterwerk gelungen, dafür ist die Story dann doch zu dünn. Aber man ist wirklich angetan von zwei Menschen, denen man ihr hohes Alter zwar sichtlich anmerkt, die aber auch beim Abschied von der Leinwand noch so viel Lebenslust ausstrahlen.

     

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