Selbst ein François Ozon macht mal einen schlechten Film
Von Teresa VenaGerade erst ist seine sonnig-tragische Coming-of-Age-Geschichte „Sommer 85“ in Deutschland angelaufen, da wird sein neuester Film „Everything Went Fine“ nun auch schon im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes präsentiert. François Ozon dreht also auch nach 25 Jahren weiterhin Filme wie am Fließband, wobei die hohe Produktivität wohl auch damit zusammenhängt, dass er oft auf Vorlagen aus Literatur und Kino zurückgreift, man denke nur an seine Klassiker-Neuinterpretationen von „8 Frauen“ bis „Frantz“.
„Everything Went Fine“ basiert nun auch wieder auf einem Roman. Was Ozon am autobiografischen Werk von Emmanuèle Bernheim fasziniert hat, liegt auf der Hand. Schließlich finden sich darin all die Themen wieder, mit denen sich der Regisseur ohnehin regelmäßig in seinen Werken beschäftigt. Leider findet er aber diesmal nicht das richtige Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Erzählmotiven, weshalb der Film sperrig, fragmentiert und schlichtweg überladen wirkt.
Emmanuèle konnte ihrem Vater noch nie einen Wunsch abschlagen - und das ist längst nicht so positiv, wie es im ersten Moment vielleicht klingt...
Emmanuèle (Sophie Marceau) ist Verlegerin, wohnt in Paris und kommt aus gutem Hause. Eines Morgens erhält sie einen Anruf: Ihr Vater André (André Dussolier) hat einen Schlaganfall erlitten und liegt im Krankenhaus. Er überlebt, doch die Ärzte können noch nicht genau sagen, ob motorische Schäden zurückbleiben werden und André vielleicht für den Rest seines Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sein wird. Auch wenn das Verhältnis zwischen Emmanuèle, ihrer älteren Schwester (Géraldine Pailhas) und dem Vater angespannt ist, kümmern sich die beiden um ihn.
Obwohl es André von Woche zu Woche immer besser geht, merkt er, dass er fortan nicht mehr alleine klarkommen wird. Durch diesen entscheidenden Verlust an Selbstständigkeit hat er das Gefühl, seine Würde zu verlieren. Damit möchte er sich aber nicht arrangieren und äußert deswegen den Wunsch, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Er zieht Emmanuèle ins Vertrauen, die ihm dabei helfen soll…
François Ozon, einst als singuläre Figur des neuen französischen Kinos gefeiert, gelobt vor allem für seinen Mut, dem klassischen Melodrama in Filmen wie „Unter dem Sand“ oder der Fassbinder-Hommage „Tropfen auf heiße Steine“ mit Überspitzung und poppiger Ästhetik satirisch zu begegnen, hat in den vergangenen Jahren zunehmend konventionelle Wege eingeschlagen. Gerade mit seiner Vorliebe fürs Groteske, die einst mit „Sitcom“ einen frühen Höhepunkt erreichte, hat sich der Regisseur in seinen jüngeren Werken entscheidend zurückgehalten, denkt man zum Beispiel an das zwar sehr gute, aber formal vergleichsweise starre Missbrauchsdrama „Gelobt sei Gott“.
„Everything Went Fine“ ist nun ebenfalls eher konventionell – und braucht zudem auch noch lange, bis er zum eigentlichen Kern der Handlung, nämlich dem Euthanasiethema, vordringt. Bis dahin folgt die Kamera zunächst einmal Sophie Marceau („La Boum – Die Fete“) als Emmanuèle, wie sie täglich ins Krankenhaus zum Vater pilgert und vor ihrem inneren Auge die Beziehung zu ihm Revue passieren lässt. In Rückblenden erhält der Zuschauer Einblick in ihre Kindheit und erfährt, dass André schon immer ein eher strenger Vater war, der immer große Erwartungen an seine Töchter hatte. Angesiedelt ist die Geschichte in der französischen Bourgeoisie. Die Mutter – in der winzigen Rolle ist Charlotte Rampling („Dune“) etwas verschenkt – ist Bildhauerin, der Vater Kunstsammler. Genug Geld war immer da für ein bequemes, selbstbestimmtes Leben.
Selbst wenn Emmanuèle (Sophie Marceau) und Pascale (Géraldine Pailhas) um die Gunst ihres Vaters buhlen, geben sie sich doch auch gegenseitig Halt.
Das hätte man sicherlich alles flotter und konzentrierter erzählen können, dennoch ist die Zeichnung des Familienhintergrunds für die Geschichte wichtig. André ist eben jemand, der es nicht gewohnt ist, zurückzustecken. „Meinem Vater kann man nichts abschlagen“, sagt einmal Emmanuèle, als sie gefragt wird, wieso sie sich nicht weigert, für ihn nach Selbstmordmöglichkeiten zu recherchieren. In der Beschreibung der durch die Extremsituation plötzlich wieder hervorbrechenden, mehr oder weniger kleinen seelischen Wunden, liegt die größte Stärke des Films. Subtil zeigt er, wie die längst erwachsenen Frauen, die eigentlich ein eigenes, unabhängiges Leben führen, weiterhin um die Anerkennung des Vaters buhlen – und wie geschickt dieser durch emotionale Erpressung an sein Ziel kommt, selbst wenn es sich dabei um seinen eigenen Tod handelt.
Viel weniger differenziert und inspiriert behandelt Ozon hingegen das Thema des Freitods. Irgendwann kommt heraus, dass dies in Frankreich verboten ist, also muss man dafür in die Schweiz gehen muss. Eine auf ihre Art leb- und farblose ältere Frau (Hanna Schygulla) von einer Sterbehilfe-Organisation trifft sich mit André, um die Formalitäten zu besprechen. Eine richtige Auseinandersetzung, sei es auf der rechtlichen oder emotionalen Ebene, findet kaum statt. Es bleibt wegen der Fülle der Themen schlichtweg kein Platz dafür. Ganz unsinnig gar wirkt der kurze Exkurs in die Nazizeit und zur Judenverfolgung. Eine entfernte Cousine von André sei in einem Konzentrationslager gewesen: So einfach und kontextlos bleibt diese Information im Raum stehen.
Nur etwas stimmiger eingebettet ist das Thema der Homosexualität von André, auch wenn Ozon zwischendrin durchaus auch zu einer Reihe von Klischees greift und irgendwann selbst vor Klamauk-Szenen nicht mehr zurückschreckt. Mit einer explizit femininen, feinen Stimme spricht André Dussolier („Die fabelhafte Welt der Amelie“) seine gleichnamige Figur. Abgesehen davon, dass dies völlig unnötig ist, um die sexuelle Orientierung des Charakters zu unterstreichen, passt es auch nicht zum in den Rückblenden suggerierten eher virilen Bild der Figur.
Auffällig ist die Unausgeglichenheit der beiden Hälften. So gemächlich wie der Film zu Beginn an Fahrt aufnimmt, so dicht ist dann der zweite Teil. Fast wirkt es so, als ob Ozon erst nach einer gewissen Zeit aufgefallen wäre, welche Themen er eigentlich alle noch behandeln möchte. Die Folge ist eine teilweise oberflächliche und charakterlose Argumentation im zweiten Teil. Daran können leider auch die namhaften Schauspieler nichts ändern. Sophie Marceau hat kaum eine Chance, ihrer Figur Tiefe zu verleihen, und André Dussollier, eigentlich eher für seine trockenhumorigen Lebemannrollen bekannt, kann in der Darstellung des Siechtums seiner Figur ebenfalls nicht überzeugen. Die wenigen ironischen Szenen wirken zudem zu forciert, um wirklich zu zünden.
Fazit: Das Vater-Tochter/Sterbehilfe-Drama „Everything Went Fine“ bleibt an vielen Stellen zu oberflächlich, weshalb es sich letztendlich zu kaum mehr als einer wenig originellen Aneinanderreihung von Lebensweisheiten zusammenfügt. Selbst die namhaften Schauspieler können in einem der schwächsten Filme von François Ozon nicht überzeugen.
Wir haben „Everything Went Fine“ auf dem Filmfestival in Cannes gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.