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    Victoria & Abdul
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Victoria & Abdul
    Von Andreas Staben

    Es war eine gefühlte Ewigkeit schweißtreibenden Schweigens“: Als der britische Schauspieler und Drehbuchautor Simon Pegg („Star Trek“) bei einer Veranstaltung der Königin Elizabeth II. begegnete, brachten ihn die Zwänge des höfischen Protokolls doch arg ins Schwitzen, denn die Benimmregeln schreiben unter anderem vor, dass der Untertan erst reden darf, nachdem die Monarchin das Wort an ihn gerichtet hat. Doch Elizabeth machte nach Peggs Verbeugung keinerlei Anstalten, etwas zu sagen, und schaute nur mit leerem Blick in die Ferne. Endlose Sekunden zogen dahin, bis der joviale Königin-Gatte Prinz Philip die unangenehme Situation mit einer heiteren Bemerkung rettete. Peggs in einer Talkshow erzählte Anekdote illustriert nicht nur die anhaltende Faszination für die Institution Monarchie und ihre altmodischen Rituale, sondern verweist zugleich auch darauf, dass die Regenten und Regentinnen, die so sorgfältig den Sphären des gemeinen Volkes enthoben werden, letztlich doch auch nur Menschen sind wie du und ich – und deshalb eben auch vergesslich, lustlos oder verträumt sein können. Diese unter den königlichen Pflichten und Ritualen oft verschüttete Menschlichkeit rückt Regisseur Stephen Frears („The Program – Um jeden Preis“) in den Mittelpunkt seines soliden historischen Dramas „Victoria & Abdul“ und kann sich dabei einmal mehr voll auf seine virtuose „Philomena“-Hauptdarstellerin Judi Dench verlassen.

    1887 sitzt die verwitwete Königin Victoria schon seit 50 Jahren auf dem britischen Thron. Zu ihrem kolonialen Weltreich gehört auch Indien, über das sie als Kaiserin herrscht. Als ihre Statthalter in Agra Einheimische suchen, die sie nach London schicken können, um der Monarchin eine Mohur (eine indische Goldmünze) zu überreichen, fällt ihre Wahl auf den großgewachsenen Abdul (Ali Fazal). Als zweiter Mann reist der gedrungene Mohammed (Adeel Akhtar) mit nach England. Bei der Überreichung der Münze anlässlich eines Banketts im Schloss Windsor verstößt Abdul allerdings gegen die höfische Etikette und sucht den Augenkontakt mit der Königin. Bei der nächsten Begegnung mit ihr fällt er sogar auf die Knie und küsst ihren Fuß. Victoria findet Gefallen an dem 44 Jahre jüngeren Inder und bestellt ihn zu einer Privataudienz. Bald macht sie ihn zu ihrem persönlichen Lehrer, zum Munshi. Ihre Wertschätzung für den exotischen Untertan passt dem Thronfolger Albert (Eddie Izzard), dem Premierminister (Michael Gambon) und dem übrigen Hofstaat überhaupt nicht. Sie versuchen alles, um Abdul in Misskredit zu bringen…

    Die langlebige Dauerregentin Victoria (bis zu ihrem Tod 1901 saß sie für fast 64 Jahre auf dem englischen Thron) war seit 1876 auch Kaiserin von Indien, insgesamt herrschte sie über Hunderte Millionen Untertanen auf fünf Kontinenten. Diese Machtfülle hat ihr nicht nur persönlich offensichtlich gut gefallen, auch Regisseur Stephen Frears kokettiert durchaus mit dem Glanz des einstigen britischen Weltreichs und mit der Nostalgie für königlichen Pomp und koloniale Herrschaft. So zelebriert er etwa das aufwendige Staatsbankett im Schloss aufs Genüsslichste: Üppige Speisen, funkelndes Kristall, Dutzende uniformierte Diener in Reih und Glied lassen dem gewohnheitsmäßigen Kantinenesser das Auge übergehen. Zugleich ist das ganze Spektakel einzig auf die missmutige Person am Kopfende des Tisches ausgerichtet und wenn Victoria ihre Suppe aufgegessen hat, dann werden auch allen anderen unverzüglich die Teller weggenommen. Für die absurden Seiten dieses ganzen feudalen Theaters hat Frears immerhin hin und wieder ein kleines Augenzwinkern übrig, etwa wenn er einen Botenjungen immer wieder durch die Gänge des Schlosses rennen oder einen Pudding ganz seinem Namen entsprechend bedenklich auf dem Tablett wackeln lässt. Aber analytisch oder entlarvend schaut Frears anders als in früheren Filmen wie „Gefährliche Liebschaften“ oder „Die Queen“ weder auf die Standesgesellschaft noch auf die Monarchie. Sie bieten ihm hier lediglich die hübschen Kulissen für eine One-Woman-Show.

    Wenn Judi Dench mit strenger Klarsicht die eigenen Schwächen aufzählt und zugleich ihre aufmüpfigen Untergebenen in die Schranken weist, dann wirkt sie unglaublich souverän und spielt auch über die aufdringliche Fischaugen-Perspektive von Kameramann Danny Cohen („The King’s Speech“) locker hinweg. Diese Souveränität passt natürlich bestens zur Rolle: Die Victoria scheint der Oscarpreisträgerin gleichsam im Blut zu liegen, vor 20 Jahren begeisterte sie in „Ihre Majestät: Mrs. Brown“ schon mal in dem Part und ganz wie damals glänzt die Schauspielerin besonders in den fast mädchenhaften Momenten, etwa wenn sie sich in Anwesenheit des Komponisten Giacomo Puccini (Simon Callow) zu einer Gesangseinlage hinreißen lässt. Und wenn sie in der merkwürdigen, aber anrührenden Beziehung zu ihrem indischen Diener und Mentor förmlich aufblüht, dann erscheint dies als das Natürlichste von der Welt. Umso bedauerlicher ist es, dass Ali Fazal („Fast & Furious 7“) als Abdul an ihrer Seite kaum mehr als ein stattlicher Stichwortgeber sein darf. Der Darsteller zieht sich achtbar aus der Affäre, aber die Filmemacher behandeln die nominell zweite Hauptfigur oft fast so wie die missgünstigen Höflinge den indischen Eindringling: Er steht direkt vor ihnen und sie tun einfach so, als wäre er gar nicht da. Ein wenig mehr Interesse hätten sie dem Mann und seiner indischen Heimat schon entgegenbringen dürfen.

    Fazit: Judi Dench ist grandios als Königin Victoria, aber viel mehr als ihre One-Woman-Show und pompöse Monarchie-Schauwerte hat Stephen Frears‘ Historiendrama nicht zu bieten.

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