Bei gelungenen Filmdebüts werden junge Regisseure und Regisseurinnen schnell und gern zu den Hoffnungsträgern für eine strahlende Kinozukunft erklärt. Jeder Nachwuchspreis bringt neben warmen Worten und idealerweise etwas Geld die Erwartung mit sich, dem vielversprechenden Erstling weitere künstlerische Glanztaten folgen zu lassen. Wenn man sich die Souveränität ansieht, die Sonja Maria Kröners „Sommerhäuser“ ausstrahlt, dann besteht wenig Sorge, dass sich die Filmemacherin von solchem Lob und solcher Aufmerksamkeit unter Druck setzen lässt. Dennoch wollen wir hier nur am Rande erwähnen, dass „Sommerhäuser“ ihr preisgekrönter erster Langspielfilm ist und vielmehr ganz schlicht betonen, dass ihr von einer ganz besonderen Atmosphäre erfülltes Familiendrama zu den Höhepunkten des deutschen Kinoherbstes 2017 gehört.
Nach der Beerdigung von Urgroßmutter Sophie versammeln sich im Sommer 1976 ihre Nachfahren aus drei Generationen im Garten des Familiengrundstücks nahe München, in dem man traditionell einen Großteil der Ferien verbringt. Da sind Sophies Kinder: Ilse (Ursula Werner, „Wolke 9“) hatte sich bis zuletzt um die dominante Mutter gekümmert und blieb wie ihre gern nacktbadende Schwester Mathilde (Inge Maux, „Paradies: Liebe“) ledig - wenn auch aus anderen Gründen. Nur Bruder Erich (Günther Maria Halmer, „Familienfest“) heiratete seine Frieda (Christine Schorn, „Das Leben ist nichts für Feiglinge“), die das Grundstück nun am liebsten verkaufen würde. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen: Die von älteren Liebhabern mit teuren Geschenken verwöhnte daueraufgedrehte Gitti (Mavie Hörbiger) ist mit ihrer Tochter Inga (Anne-Marie Weisz) gekommen, während der genügsam-phlegmatische Bernd (Thomas Loibl, „Toni Erdmann“) seine Frau Eva (Laura Tonke) und die beiden gemeinsamen Kinder mitgebracht hat. Lorenz (Elliott Schulte) und Tochter Jana (Emilia Pieske, „24 Wochen“) sind schon in der Schule und damit etwas älter als die kleine Inga, mit der sie sich nur ungern abgeben...
Die Handlung ist weitgehend auf die kleinen, immer wieder aufbrechenden Familienstreitigkeiten beschränkt, die sich aus tiefsitzendem Neid, Minderwertigkeitsgefühlen und Missgunst speisen. Im Hintergrund begleitet werden die Animositäten von einer in der Schwüle des „Jahrhundertsommers“ aufkommenden Wespenplage und von der dramatischen Geschichte um ein entführtes Mädchen, von dem die Älteren aus der Boulevardpresse erfahren (mit zunehmend grausigeren Details), während die Kinder schnell den mysteriösen Nachbarn Herrn Flachs verdächtigen, der als „Künstler“ sein gruseliges Waldgrundstück mit Puppenteilen dekoriert hat (einschließlich eines geschmückten Grabs) und der offenbar aus irgendwelchen Gründen die Zeitungsartikel über die verschwundene achtjährige Nina aus München sammelt.
„Sommerhäuser“ erinnert in seiner elliptischen, oft minimalistischen Erzählweise durchaus an thematisch ähnliche Werke der „Berliner Schule“ wie Angela Schanelecs „Nachmittag“ oder Thomas Arslans „Ferien“ (auch das akribische Sounddesign und der Verzicht auf eine herkömmliche Filmmusik passt in dieses Muster), aber Kröners Film ist zugleich sehr viel dramatischer. Als würde ein Sommergewitter in der Luft liegen, lädt sich die Atmosphäre immer stärker auf und die Unruhe wächst. Fast wie in manchen Filmen von Michael Haneke („Funny Games“, „Das weiße Band“) erwartet man stets eine große, fatale „Entladung“. Über den unbekümmert mit Hüpfbällen (tolle traumtänzerische Steadicamaufnahmen!) durch die Gegend stromernden Kindern, die einen Wettbewerb daraus machen, wer mehr Wespen töten kann, oder wie Jung-Detektive à la „TKKG“ das Nachbarsgrundstück erkunden, scheint eine dunkle Gefahr zu schweben. Die Erwachsenen sind dankbar, wenn sie mal eine Viertelstunde Ruhe haben, aber wenn ein Kind 20 Minuten nicht zu sehen ist, entsteht auch schnell mal eine kleine Panik.
Fast wie ein von Humor durchzogener sonniger Horrorfilm ist die Sache mit dem Wespennest inszeniert, das an Ilses Häuschen entdeckt wird, und um das sich die drei „Männer“ der Familie kümmern wollen. Nebenbei holt sich aber auch Mathilde einen Sonnenbrand, Ilse wird von einer freundlichen Nachbarin beinahe zum Coming-Out gebracht, kurzum: alle zehn Hauptfiguren geraten immer mal wieder in den Fokus dieses dramaturgisch sehr gut durchdachten Ensemblefilms. Wobei aber die mittlere Generation mit dem Zwist zwischen Eva und Gitti (Laura Tonke und Mavie Hörbiger spielten schon in „Axolotl Overkill“ zusammen), in den erst Bernd, der sich am liebsten „aus allem heraushalten“ würde, hineingezogen wird und der dann auch die Kinder erfasst, bald in den Mittelpunkt gerät. So greifen die Konflikte von einer Generation auf die andere über und die versammelte Sippe kommt nie wirklich zur Ruhe.
„Sommerhäuser“ hat etwas von einem gefilmten Familienalbum, das man mit mehr oder weniger nostalgischen Gefühlen durchblättert: Jedes liebevoll arrangierte Detail, jeder Pulli, jede Frisur, jedes Fußballplakat im Kinderzimmer evoziert eine fast vergessene Zeit, die man aber - ähnlich wie in der Fernsehserie „Mad Men“ - aus heutiger Sicht oft anders bewertet, etwa das rassistische Kinderlied über kubanische Kannibalen, generelle Praktiken der Kindererziehung oder einen Kommentar wie „Bei uns sollten sie die Todesstrafe auch wieder einführen. Unter dem Hitler hätt's das nicht gegeben!“. Die 1979 geborene Regisseurin fängt die spezifische Stimmung der Handlungszeit vorzüglich ein, zugleich beschwört sie Sommergefühle aus der eigenen Kindheit, die man ganz altersunabhängig wiedererkennen kann.
Fazit: Ein bisschen wie in David Lynchs „Blue Velvet“ lauert hier zwischen Erdbeerrolle, Frankfurter Kranz und orangen Hüpfbällen eine latente, aber nicht greifbare Gefahr, die den nostalgischen Ferien-Müßiggang perfide zu vergiften droht. Und während sich eine schwer beschreibbare Spannung über das Geschehen legt, fügen sich scheinbare Kleinigkeiten und genau beobachtete Momentaufnahmen zu einem ebenso faszinierenden wie komplexen Familienporträt.