Das mit der Selbstwahrnehmung ist ja so eine Sache. Zum Beispiel hielt die steinreiche New Yorker Kunstmäzenin Florence Foster Jenkins (1868 – 1944), die die Musik stets liebte und förderte, sich selbst für eine ungemein talentierte Opernsängerin. Dabei bekam sie tatsächlich keinen einzigen geraden Ton heraus. Von ihrem Umfeld, aus dem es niemand übers Herz brachte, ihr die Wahrheit zu sagen, wurde sie so lange in ihrem Irrglauben bestärkt, bis sie sich im Jahr 1944 sogar schließlich einen Auftritt in der berühmten Carnegie Hall erkaufte und da ließ es sich endgültig nicht mehr verhindern, dass jemand sie auf ihre nicht vorhandenen Gesangskünste hinweist. Die kuriose Anekdote inspirierte bereit die 2015 erschienene französische Tragikomödie „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“, bevor nun eine direkte Verfilmung der skurrilen Geschichte in die Kinos kommt: Mit Meryl Streep in der Titelrolle und einem feinen Gespür für Zwischentöne gelingt dem britischen Regieroutinier Stephen Frears („Die Queen“) mit „Florence Foster Jenkins“ ein sehenswerter Schauspieler- und Kostümfilm, der nicht nur stimmig tieftragische und saukomische Elemente verbindet, sondern auch einige spannende moralische Fragen aufwirft.
New York, Anfang der 1940er Jahre: Die vermögende Opernliebhaberin Florence Foster Jenkins (Meryl Streep) genießt in der Kunstszene ein hohes Ansehen, denn sie fördert Musikprojekte auf besonders großzügige Weise. Zugleich glaubt Jenkins, dass sie selbst ebenfalls mit einem besonderen Talent als Sängerin gesegnet ist. Ihr jüngerer Ehemann St. Clair Bayfield (Hugh Grant) und die anderen Leute aus ihrem engeren Umfeld pflichten ihr brav bei (wenn nicht freiwillig, dann besticht St. Clair sie eben). Als Jenkins nach längerer Pause wieder einmal auftreten will, besorgt Bayfield ihr mit Cosmé McMoon (Simon Helberg) einen Pianisten zum Proben und verkauft die Eintrittskarten ausschließlich an ein sorgfältig ausgewähltes Publikum, damit die Vorstellung nicht in einem Eklat endet. Aber als Jenkins sich schließlich in den Kopf setzt, ein Konzert in der legendären Carnegie Hall geben zu wollen, ist allen Beteiligten (außer ihr selbst) klar, dass das nur zu einer Katastrophe führen kann...
Als 18-Jährige wurde Florence Foster Jenkins von ihrem ersten Ehemann mit Syphilis angesteckt. Als die Handlung des Films einsetzt, lebt sie also schon seit 50 Jahren mit der Geschlechtskrankheit, die damals üblicherweise viel schneller zum Tode geführt hat. Dass sie als Medizin die Gifte Quecksilber und Arsen zu sich nimmt, liefert eine mögliche Erklärung für die krasse Fehleinschätzung ihres Gesangstalents – natürlich sind ihre schiefen Arien amüsant, trotzdem bekommt man nie das Gefühl, dass der Film sie für einen schnellen Lacher der Lächerlichkeit preisgibt. Die Motive derjenigen, die sie nicht über ihren Irrtum aufklären, sind hingegen vielfältig. Manche versprechen sich einfach einen finanziellen Vorteil, wie etwa der hochangesehene Musiklehrer, der nach den Unterrichtsstunden beim Einstecken des stattlichen Honorars darum bittet, dass man sein Engagement doch bitte geheim halten möge. Die Kritiker, die Jenkins‘ Talent in den Zeitungen in höchsten Tönen loben, sind halt geschmiert, während zwei ältere Damen, die bei den Konzerten immer besonders laut klatschen, schlichtweg nichts mehr hören.
Komplexer liegt der Fall bei Jenkins‘ Ehemann, den Hugh Grant („About A Boy“) mit großem Charisma und extrem facettenreich verkörpert: Liebt Bayfield seine ältere Frau wirklich so sehr oder genießt der erfolglose Schauspieler einfach nur den Reichtum, den die Ehe mit sich bringt? Denn während er sich tagsüber wahrhaft fürsorglich um Florence kümmert (ihre Ehe lief wegen ihrer ansteckenden Syphilis-Erkrankung vom ersten Tag an keusch ab), verbringt er die Nächte in seiner eigenen Wohnung mit seiner Geliebten (Rebecca Ferguson, „Mission: Impossible – Rogue Nation“). Das Drehbuch von Nicholas Martin liefert hier keine einfachen Erklärungen, sondern Bayfields Motive bleiben lange in der Schwebe. Dass er so zur spannendsten Figur des ganzen Films avanciert, liegt auch am wunderbar nuancierten Spiel von Hugh Grant, der hier seine beste Performance seit Jahren abliefert (eine Oscarnominierung als Bester Nebendarsteller ist definitiv denkbar).
Neben Hugh Grant brilliert – man ist fast geneigt, an dieser Stelle „natürlich“ zu schreiben – auch Meryl Streep. Wie akkurat die ziemlich gute Sängerin (siehe „Ricki – Wie Familie so ist“ und „Into The Woods“) die schiefen Töne von Florence Foster Jenkins imitiert, zeigt eine Originalaufnahme, die während des Abspanns eingespielt wird. Streeps unsägliches Geplärre sorgt für sehr komische Momente, wobei es der dreifachen Oscarpreisträgerin fast noch höher anzurechnen ist, dass sie ihre Rolle dabei nie zur Witzfigur verkommen lässt. Wenn Jenkins auf der Bühne steht und sich im Publikum erste Unruhe breitmacht, legt Streep eine solche Verzweiflung und Sorge in ihren Blick, dass man nicht umhin kommt, der Opernsängerin trotz ihres nicht vorhandenen Talents ein gutes Gelingen zu wünschen.
Der dank seiner Rolle als Raumfahrtingenieur Howard Joel Wolowitz in der Hit-Sitcom „The Big Bang Theory“ zu den aktuell bestbezahlten TV-Stars zählende Simon Helberg verleiht dem Pianisten Cosmé McMoon einen wunderbar schüchternen Charme: Bei den ersten Proben mit Jenkins klappt dem unvorbereiteten Klavierlehrer die Kinnlade runter und spätestens beim großen Auftritt in der Carnegie Hall sorgt er sich um sein Renommee als Pianist. Trotzdem stattet Helberg seine Figur mit einer großen Menschlichkeit aus, die ihn zur eigentlichen Identifikationsfigur des Publikums macht. Neben den starken Schauspielern lebt „Florence Foster Jenkins“ vor allem von der akkuraten Ausstattung, die den unerhörten Reichtum der untalentierten Sängerin sichtbar macht und die Komödie nebenbei auch noch mit den visuellen Qualitäten eines klassischen Kostümfilms segnet.
Fazit: Stephen Frears findet in seiner Komödie eine stimmige Balance zwischen der allzu menschlichen Lust am Skurrilen und der ehrlich empfundenen Tragik seiner Figuren: kurzweilig-unterhaltsames Schauspielerkino, das zugleich auch nachdenklich stimmt.