Nicht besonders originell, aber effektiv
Von Oliver KubeAls Schauspieler hat der 1972 in Rom geborene Andrea Di Stefano noch keine allzu großen Bäume ausgerissen. Dabei war er ehrgeizig genug, um bereits früh in seiner Karriere nach New York zu gehen, um dort Unterricht zu nehmen. Die einzigen Hauptrollen, die er bisher verkörperte, waren in kaum gesehenen Independent- und Low-Budget-Produktionen. Ansonsten musste der Italiener sich mit Kurzauftritten in Filmen wie „Nine“, „Life Of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ oder „Eat Pray Love“ begnügen.
Ohne große Schauspielrollen hatte Di Stefano in der Fremde allerdings genügend Zeit, um sich auf sein Regiedebüt „Escobar - Paradise Lost“ vorzubereiten. Der erstaunlich vielschichtigen Gangsterballade folgt nun mit „The Informer“ ein knallhartes Thriller-Drama, das auf einem Roman der schwedischen Autoren Anders Roslund und Börge Hellström basiert. Eine gradlinige Umsetzung und ein Händchen für Darsteller geben Anlass zur Hoffnung, dass Di Stefanos Karriere hinter der Kamera auch in Zukunft um einiges erfolgreicher verlaufen könnte als die davor.
Obwohl er unschuldig im Knast gelandet ist, wird Pete Koslow vom FBI eiskalt ausgenutzt.
Der Ex-Elitesoldat Pete Koslow (Joel Kinnaman) muss nach einem Vorfall, bei dem er eigentlich nur seine Frau (Ana de Armas) beschützen wollte, wegen Totschlags ins Gefängnis. Um hinter Gittern zu überleben, schließt er sich einer Bande von polnisch-stämmigen Schwerkriminellen an. Diesen Umstand will das FBI ausnutzen, um endlich deren von allen nur „Der General“ genannten, noch immer auf den Straßen von New York sein Unwesen treibenden Anführer Klimek (Eugene Lipinski) hochnehmen.
Spezialagentin Wilcox (Rosamund Pike) setzt Koslow also auf freien Fuß. Er soll die Organisation unterwandern und die nötigen Beweise liefern. Doch die Operation geht schief und ein Polizist wird erschossen. „Der General“ bedroht unterdessen Petes Familie und verlangt, dass er zurück in den Knast geht und dort für ihn den Drogenverkauf hinter Gittern neu regelt. Widerwillig folgt Pete der Anweisung, zumal seine zuständige Agentin ihm zusagt, ihn auch dort zu beschützen. Der Gangsterboss und Wilcox‘ Vorgesetzter Montgomery (Clive Owen) verfolgen allerdings längst ganz andere Pläne...
Die Geschichte vom unschuldig auf die schiefe Bahn geratenen Familienvater, der sein kriminelles Dasein gern hinter sich lassen will, dabei jedoch nur immer tiefer in die Bredouille gerät, ist nicht gerade ein Ausbund an Originalität. Aber das Tempo stimmt und die Spannungsschraube wird clever und stetig angezogen. Das ist mehr, als man von den meisten Thrillern dieser Preiskategorie behaupten kann. Zudem steht mit Joel Kinnaman („Suicide Squad“) ein charismatischer Schauspieler im Zentrum des Projekts, der es versteht, der vom Drehbuch recht dünn gezeichneten Hauptfigur Leben einzuhauchen und das Publikum auf seine Seite zu ziehen.
Ein völliges Derivat aus Altbekanntem ist das Ganze aber ohnehin nicht. Es werden zwischendrin auch einige einfallsreiche Momente geboten. Schon der ungewöhnliche Weg, wie die Drogen in den Knast gelangen, ist bemerkenswert. Und auch den großen Showdown haben wir, selbst wenn er etwa arg konstruiert zustande kommt, zumindest in dieser Form so noch nicht gesehen - und das, obwohl Clive-Owen-Fans, die den Briten bereits in „Inside Man“ gesehen haben, zumindest ein wichtiges Detail durchaus bekannt vorkommen dürfte.
In ein paar Monaten dann als Bond-Girl zu sehen: Ana de Armas als hilflos zuschauende Ehefrau.
Einige der besten Szenen des in zwei Hälften – einen Mafia- und einen Knastfilm-Teil – teilbaren Werks kommen nur mit wenig Worten aus. Und das liegt nicht daran, dass die Dialoge der Drehbuchautoren Rowan Joffe („The American“) und Matt Cook („Boston“) ansonsten schlecht wären. Vielmehr liegt es daran, wie geschickt Di Stefano, sein Cast und seine Crew zusammenarbeiten, um Stimmungen und Spannung zu erzeugen. Die Sequenz, in der Koslow in den völlig überfüllten Knast einfährt, ist ein solcher Moment: Kinnaman begeistert dabei mit enormer Präsenz, während Kameraführung (Daniel Katz, „My Friend Dahmer“) und Schnitt (Job ter Burg, „Elle“) gekonnt dafür sorgen, dass der Zuschauer sofort einen Eindruck von der dort vorherrschenden Atmosphäre aus Enge, Bedrücktheit und Gefahr bekommt.
Eine weitere, von allen Beteiligten sehr gut umgesetzte Szene ist das überraschende Auftauchen von Detective Grens (Common) beim FBI, um sich nach dem Protagonisten zu erkundigen. Die unterschwellige Feindseligkeit zwischen den Regierungsbeamten der verschiedenen Behörden wird dabei förmlich greifbar – gerade weil die Beteiligten nicht so viel sagen oder tun. Die Akteure erreichen mit Blicken, Mimik und Gestik viel mehr, als sie es mit vielen Worten könnten.
Bei den körperlichen Auseinandersetzungen geht es ungeschönt blutig zur Sache. Geprügelt, bedroht und gekillt wird in und außerhalb des Gefängnisses mit allem, was gerade zur Hand ist. Erfrischenderweise werden die Kämpfe dabei nicht unrealistisch in die Länge gezogen, sondern kurz und knapp präsentiert. Wenn jemand niedergeknüppelt wird, bleibt er erst einmal benommen liegen und springt nicht gleich wieder auf die Füße, als wäre nichts gewesen, nur um weiterfighten zu können. Die nicht nur hier sehr gradlinige Inszenierung trägt viel zur Glaubwürdigkeit bei und findet bei der Illustration der recht unspektakulären Arbeit der FBI- und Polizei-Mitarbeiter ihre Fortsetzung.
Der oscarnominierte „Gone Girl“-Star Rosamund Pike wird auf Plakaten und in den Credits zwar gleichberechtigt mit Kinnaman genannt, hat aber den klar passiveren Part inne. Pike markiert mit ihrer Performance allerdings das authentisch emotionale wie moralische Zentrum des Films und ist für das Publikum als zweite Identifikationsfigur neben dem Protagonisten deshalb durchaus wichtig. Ihre Rolle ist auch deutlich dankbarer als die von Ana de Armas. Die gebürtige Kubanerin kann meist leider nur staunend mit ansehen, was in ihrer Umgebung passiert, ohne aktiv eingreifen zu dürfen. Zumindest nutzt sie die Chance, sich noch mal von einer komplett anderen Seite zu zeigen als zuletzt in „Knives Out - Mord ist Familiensache“ – in „The Informer“ wirkt sie viel erwachsener und tougher. Und in ein paar Monaten steht für sie dann ja eh die neue Rolle als Bond-Girl in „Keine Zeit zu sterben“ an...
Fazit: Gute Schauspieler und eine erfrischend gradlinige Inszenierung machen den nicht gerade originellen, dafür aber effektiven Thriller zu einem angenehm kurzweiligen Videoabend-Kandidaten.